»Desselben, der den Kai…, den Bonaparte gekrönt hat.«
Für einen geschickten Burschen wie Fauchelevent war diese Erwähnung ein arger Bock. Glücklicherweise war die Priorin so in ihren Gedanken versunken, daß sie nichts bemerkte.
»Vater Fauvent?«
»Ehrwürdige Mutter?«
»Der heilige Diodorus, Erzbischof von Capadocien, befahl, daß auf seinem Grabe das einzige Wort acarus stehen sollte. Das bedeutet: Wurm auf der Erde. Und es wurde so getan. Ist das etwa nicht wahr?«
»Unzweifelhaft, ehrwürdige Mutter.«
»Der selige Mezzocane, Abt von Aquila, wollte unter einem Galgen begraben sein. Auch seinem Willen wurde gefolgt.«
»Sehr richtig.«
»Der heilige Terentius, Bischof des Hafens an der Tibermündung, verlangte, auf seinem Grabstein solle das Zeichen stehen, mit dem man die Grabsteine der Vatermörder kenntlich machte. Das tat er in der Hoffnung, die Vorübergehenden würden auf sein Grab speien. Und so geschah es. Man muß den Toten gehorchen.«
»So ist es.«
»Der Leichnam des Bernardus Guido, der in Frankreich geboren war, bei Roche-Abbeille, wurde, wie er es verlangt hatte, und obwohl der König von Kastilien Einspruch erhob, in die Dominikanerkirche nach Limoges gebracht, und das, obzwar Bernardus Guido Bischof von Tuy in Spanien war. Darf etwa jemand das Gegenteil behaupten?«
»Gewiß nicht, ehrwürdige Mutter.«
»Plantavit de la Fosse bezeugt diesen Tatbestand.«
Wieder glitten einige Perlen des Rosenkranzes durch ihre Finger.
»Vater Fauvent, Mutter Crucifixion muß in demselben Sarge bestattet werden, in dem sie zwanzig Jahre lang geschlafen hat.«
»Das ist nur recht und billig.«
»Es ist die Fortsetzung ihres Schlafes.«
»Demnach soll ich also diesen Sarg zunageln?«
»Ja.«
»Und den von der Bestattungsanstalt lassen wir beiseite?«
»So ist es.«
»Ich stehe der ehrwürdigen Gemeinde zur Verfügung.«
»Die vier Mütter Sängerinnen werden Ihnen helfen.«
»Um einen Sarg zu vernageln? Dazu brauche ich sie nicht.«
»Nein, aber um ihn hinabzulassen.«
»Wo hinab?«
»In das Gewölbe.«
Fauchelevent fuhr auf.
»In das Gewölbe unter dem Altar?«
»Unter dem Altar.«
»Aber …«
»Sie haben eine Eisenstange.«
»Ja, aber …«
»Sie heben den Stein, indem Sie die Stange in den Ring schieben.«
»Aber …«
»Den Toten muß Gehorsam werden. Es ist der letzte Wunsch der Mutter Crucifixion, in dem Gewölbe unter dem Altar bestattet zu werden und nicht in profaner Erde zu ruhen. Sie hat uns darum gebeten. Das bedeutet: sie hat es uns befohlen.«
»Das ist aber doch verboten.«
»Verboten von den Menschen, befohlen von Gott.«
»Wenn das aber herauskommt?«
»Wir vertrauen Ihnen.«
»Oh, ich bin ein Stein in Ihrer Mauer.«
»Das Kapitel ist versammelt. Ich habe die Mütter befragt, und sie haben entschieden, daß Mutter Crucifixion ihrem Gelübde gemäß in ihrem Sarg und unter unserem Altar bestattet wird. Sagen Sie selbst, Vater Fauvent … wenn hier in diesem Hause Wunder geschehen sollten?! Welcher Ruhm für die Gemeinde! Wunder steigen aus den Gräbern auf.«
»Aber, ehrwürdige Mutter, wenn der Agent der Sanitätskommission …«
»Der heilige Benedictus II. hat in der Begräbnisfrage dem Constantinus Pogonatus Widerstand geleistet.«
»Doch der Polizeikommissär …«
»Chonodemarius, einer der sieben deutschen Könige, die unter der Regierung des Constantinus in Gallien einfielen, hat ausdrücklich das Recht der Klosterinsassen anerkannt, in ihren Klöstern begraben zu werden: also unter dem Hochaltar.«
»Aber der Inspektor von der Präfektur …«
»Die Welt vermag nichts wider das Kreuz. Martinus, der elfte General der Karthäuser, gab seinem Orden diesen Wahlspruch: Stat crux dum volvitur orbis.«
»Amen«, sagte Fauchelevent. Er war nicht davon abzubringen, sich so aus der Affäre zu ziehen, wenn in seiner Nähe Latein gesprochen wurde.
Jeder Zuhörer genügt einem Sprecher, der lange schweigen mußte. Der Rhetor Gymnastoras blieb, als er aus dem Gefängnis entlassen wurde, vor dem erstbesten Baum stehen und gab sich die größte Mühe, ihm alle die Probleme und Syllogismen zu erklären, die er inzwischen hatte bei sich behalten müssen. Auch die Priorin unterstand dem Schweigegebot. Ihre Schleusen waren unter höchstem Druck, und so ergoß sie denn wie einen Strom folgende Rede über den alten Vater Fauchelevent.
»Zu meiner Rechten habe ich Benedictus, zu meiner Linken Bernardus. Wer ist dieser Bernardus? Der erste Abt von Clairvaux. Fontaines in Burgund ist der gesegnete Ort, an dem er zur Welt kam. Sein Vater hieß Tecelin, seine Mutter Alethe. Er begann mit Citeaux und vollendete sein Werk mit Clairvaux. Von dem Bischof von Châlons-sur-Saône, Guillaume de Champeaux, wurde er zum Abt geweiht. Er hatte siebenhundert Novizen und gründete hundertsechzig Klöster. Er war es, der 1140 auf dem Konzile zu Sens Abeilard Pierre de Bruys und seinen Schüler Henry niederkämpfte, später auch noch eine andere Art von Abtrünnigen, die sich Apostoliker nannten. Er widerlegte den Arnoldo von Brescia, sprach den Bann aus wider den Mönch Raoul, den Judenschlächter, beherrschte 1148 das Konzil zu Reims, ließ den Gilbert de la Porée, Bischof von Poitiers, verurteilen, item den Eon de l’Etoile, schlichtete Streitigkeiten zwischen den Fürsten, war der Ratgeber König Ludwigs des Jungen und des Papstes Eugen III., ordnete die Angelegenheiten des Templerordens, predigte den Kreuzzug und tat nicht weniger als zweihundertfünfzig Wunder in seinem Leben; einmal brachte er es an einem Tage bis auf neununddreißig. Und wer ist Benedictus? Der Patriarch von Monte Cassino; er ist der zweite Begründer des Klosterwesens, der Basilius des Westens. Sein Orden hat vierzig Päpste, zweihundert Kardinäle, fünfzig Patriarchen, tausendsechshundert Erzbischöfe, viertausendsechshundert Bischöfe, vier Kaiser, zwölf Kaiserinnen, sechsundvierzig Könige, einundvierzig Königinnen, dreitausendsechshundert kanonisierte Heilige hervorgebracht und besteht über vierzehnhundert Jahre. Hie Sanct Bernardus, hie Sanitätskommission! Hie Sanct Benedictus, hie Inspektorat der Wegepolizei! Der Staat, die Polizei, die Leichenbestattungsanstalt, kennen sie diese Dinge überhaupt? Nicht wenige Leute wären recht erbittert, wenn sie sehen müßten, wie man uns behandelt. Man läßt uns nicht einmal das Recht, unseren Staub Jesus Christus zu geben. Ihre Sanitätskommission ist eine Erfindung der Revolution. Gott als Untergebener des Polizeikommissariats – das ist unser Jahrhundert. Schweigen Sie, Fauvent!«
Fauchelevent fühlte sich unter dieser Dusche nicht gerade wohl, aber die Priorin fuhr fort:
»Das Anrecht des Klosters auf eigene Gräber darf niemand bezweifeln, und nur Fanatiker und im Irrtum Befangene können es leugnen. Wir leben in einer Zeit furchtbarer Unsicherheit aller Begriffe. Man ist unwissend in allen Dingen, die zu wissen verlohnt, aber man weiß alles mögliche, was besser ungewußt bliebe. Man ist kraß und unfromm. Es gibt in dieser Zeit Menschen, die den Unterschied zwischen dem erhabenen Sanct Bernardus und dem sogenannten Bernhard von den armen Katholiken, einem wackeren Priester aus dem dreizehnten Jahrhundert, nicht wissen! Andere wieder sind solche Lästerer, daß sie das Schafott Ludwigs XVI. mit dem Kreuz Christi vergleichen. Ludwig XVI. war doch nur ein König. Hüten wir uns vor Gottes Unwillen! Schon weiß man nicht, was Gut und Böse ist. Man kennt den Namen eines Voltaire, weiß aber nicht, wer César de Bus war! Und doch war César de Bus ein Seliger und Voltaire ein Unseliger! Der letzte Erzbischof, der Kardinal von Périgord, wußte nicht einmal, daß Charles de Gondren der Nachfolger des Bérulle war, und François Bourgoin der des Gondren, und Jean François Senault der des Bourgoin, und Pater de Sainte Marthe der des Jean François Senault. Man kennt den Namen des Pater Coton, nicht weil er einer von den dreien war, welche die Einführung des Oratoriums durchsetzten, sondern weil der hugenottische König Heinrich IV. über ihn unflätige Dinge sagte. Die Weltleute finden unseren heiligen Franz von Sales liebenswert, weil er beim Spiel mogelte. Und man greift die Religion an. Warum? Weil es schlechte Priester gegeben hat, weil Sagittaire, Bischof von Gap, der Bruder des Salone, Bischof von Embrun war und weil beide die Nachfolger Mommols waren. Aber was liegt daran? Ist darum Martin von Tours weniger ein Heiliger, und hat er nicht die Hälfte seines Mantels einem Bettler geschenkt? Man verfolgt die Heiligen, man verschließt die Augen gegen die Wahrheit. Die wildesten Tiere sind die wildesten Bestien. Niemand fürchtet die höllischen Feuer. O über dieses schlechte Volk! ›Im Namen des Königs‹ bedeutet heute ebensoviel wie ›im Namen der Revolution‹. Man weiß nicht, was man den Toten und den Lebenden schuldet. Es ist verboten, als Heiliger zu sterben. Das Begräbnis ist eine Angelegenheit der Zivilbehörde. Es ist schauderhaft. Der heilige Leo II. hat eigens zwei Briefe geschrieben, einen an den Petrus Notarius, den andern an den König der Westgoten, um die Autorität des Exarchen und die Suprematie des Kaisers in allen Fragen der Totenbestattung anzufechten. Gautier, Bischof von Châlons, widersetzte sich in derselben Sache dem Herzog Othon von Burgund. Sogar die Beamten waren auf seiner Seite. Früher hatten wir vom Kapitel auch in weltlichen Dingen etwas zu sagen. Der Abt von Citeaux, ein Ordensgeneral, war erbliches Mitglied des burgundischen Parlaments. Wir tun mit unseren Toten, was wir wollen. Ist etwa der Leichnam des heiligen Benedictus nicht in Frankreich, in der Abtei von Fleury, die jetzt Saint-Benoit-sur-Loire heißt, obwohl er in Italien, in Monte Cassino, starb, und zwar am Sonnabend, dem einundzwanzigsten März 543? Alles das ist unanfechtbar. Ich verabscheue die Psalanten, ich verabscheue die Brüder vom freien Gebet, ich hasse die Ketzer, aber einen Menschen, der meinen Behauptungen widersprechen wollte, würde ich noch mehr verurteilen. Man braucht, um darüber volle Klarheit zu erlangen, nur die Werke folgender Schriftsteller zu lesen: Arnoult Wion, Gabriel Bucelin, Trithemius, Maurolicus und Dom Luc d’Achery.«