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»Legen Sie etwas hinein.«

»Einen Toten? Ich hab doch keinen.«

»Nein.«

»Was dann?«

»Einen Lebenden.«

»Wen denn?«

»Mich«, schlug Jean Valjean vor.

Fauchelevent fuhr auf, als ob eine Bombe unter seinem Stuhle geplatzt wäre.

»Sie?«

»Warum nicht?«

Jean Valjean lächelte so selten, wie die Sonne im Winter scheint, aber jetzt lächelte er.

»Erinnern Sie sich, Fauchelevent, wie Sie gesagt haben: Mutter Crucifixion ist tot. Da habe ich hinzugefügt: und Vater Madeleine begraben. So steht die Sache.«

»Ach so, Sie machen Spaß!«

»Ganz und gar nicht. Ich meine es todernst. Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen auch für mich eine Butte und eine Plane besorgen. Nun, die Butte wird aus Tannenholz sein, ein Sarg, und die Plane ein schwarzes Tuch.«

»Ein weißes Tuch. Nonnen bekommen ein weißes Tuch.«

»Meinetwegen ein weißes.«

»Sie sind kein gewöhnlicher Mensch, Vater Madeleine!«

Diese verwegene, wilde Idee, die typische Erfindung eines Bagnosträflings, die hier den friedlichen Trott des Klosterlebens durchbrechen sollte, versetzte Fauchelevent in kein geringeres Staunen als etwa eine Möwe einen Pariser, der ihr auf der Rue Saint-Denis begegnet.

»Wer vernagelt den Sarg?« fragte Jean Valjean.

»Ich.«

»Wer breitet das Tuch darüber?«

»Wiederum ich.«

»Sind Sie allein?«

»Außer mir und dem Polizeiarzt darf niemand in die Totenkammer. Es steht sogar an der Wand aufgeschrieben.«

»Können Sie mich heute nacht, wenn alles im Kloster schläft, in dieser Kammer verbergen?«

»Nein, aber ich kann Sie in einem kleinen schwarzen Loch verstecken, das zur Totenkammer führt, in dem ich meine Begräbnisgeräte aufbewahre. Nur ich habe den Schlüssel dazu.«

»Wann soll der Leichenwagen kommen, um den Sarg abzuholen?«

»Gegen drei Uhr nachmittags. Das Begräbnis findet auf dem Friedhof Vaugirard statt, kurz vor Einbruch der Nacht. Er ist nicht ganz nahe.«

»Gut, ich bleibe in Ihrem Gerätkasten während der Nacht und über Vormittag. Aber was esse ich? Ich werde Hunger haben.«

»Etwas zu essen findet sich.«

»Dann können Sie mich gegen zwei Uhr vernageln.«

Fauchelevent ließ die Finger knacken.

»Aber das ist doch ganz unmöglich!«

»Pah, einen Hammer nehmen und damit ein paar Nägel in ein Brett schlagen?«

Was Fauchelevent unerhört schien, war für Jean Valjean höchst einfach. Er hatte Schlimmeres erlebt. Wer Gefangener war, beherrscht die Kunst, seine Körperlänge nach dem Loch zu regulieren, durch das man entschlüpfen kann. Sich vernageln und in einer Kiste wie ein Stück Ware transportieren lassen, längere Zeit in einer Holzkiste leben, Luft finden, wo keine ist, stundenlang den Atem sparen, ersticken, ohne zu sterben, alles dies gehörte zu den Talenten Jean Valjeans.

Übrigens hat der Sarg nicht nur Sträflingen, sondern auch einem Kaiser als Transportmittel gedient. Wenn man dem Mönch Austin Castillejo glauben will, bediente sich Karl V. dieses Mittels, als er nach seinem Thronverzicht noch einmal die Plombes sehen wollte, um sie in das Kloster des heiligen Justus und wieder herauszuschmuggeln.

Fauchelevent hatte sich ein wenig beruhigt.

»Wie wollen Sie denn atmen?«

»Ich werde eben atmen.«

»In solch einer Kiste! Wenn ich daran denke, möchte ich ersticken.«

»Sie haben gewiß einen Bohrer. Machen Sie in Mundhöhe ein paar kleine Löcher und nageln Sie den Deckel zu, ohne ihn allzu fest an den Sarg zu pressen.«

»Gut! Aber wenn Sie husten oder niesen?«

»Wer flieht, hustet nicht und niest nicht. Meine einzige Sorge ist, wie sich die Sache auf dem Friedhof regeln läßt.«

»Gerade das beunruhigt mich am wenigsten«, meinte Fauchelevent. »Wenn Sie sicher sind, daß Sie es in dem Sarg aushalten, aus der Grube hole ich Sie schon wieder. Der Totengräber ist ein alter Säufer, ein guter Freund von mir. Vater Mestienne, ein Alter, der gern den alten Wein trinkt. Der Totengräber steckt die Toten in den Graben, ich stecke den Totengräber in den Sack. Wie, das sollen Sie gleich hören. Wir kommen gegen Sonnenuntergang draußen an, etwa drei Viertelstunden, bevor das Gittertor des Friedhofs geschlossen wird. Der Leichenwagen fährt bis zur Grube. Ich hinterher. Das ist meine Pflicht. Ich habe einen Hammer, eine Zange und ein Stemmeisen in der Tasche. Der Wagen hält an, die Träger schlingen ein Seil um den Sarg und lassen ihn in die Grube hinab. Der Priester sagt seine Gebete her, macht das Kreuz, sprengt Weihwasser über den Sarg und geht. Ich bleibe mit Vater Mestienne allein. Jetzt gibt es zwei Möglichkeiten. Entweder ist er schon voll, oder er ist es noch nicht. Im letzteren Falle sag ich zu ihm: Komm, wir heben einen, bevor der gemütliche Winkel gesperrt wird. Dann nehme ich ihn mit, schenke ihm wacker ein, trinke ihn unter den Tisch, nehme seine Legitimation aus seiner Tasche und gehe allein wieder auf den Friedhof. Sie haben weiter nichts zu tun dabei. Ist er schon voll, dann sage ich einfach: Fahr ab, ich mach’s allein. Er geht, und ich ziehe Sie aus dem Loch.«

Jean Valjean reichte ihm die Hand hin, in die Fauchelevent herzlich einschlug.

»Abgemacht, alles wird gut gehen!«

Nicht einmal Säufer sind unsterblich

Als am nächsten Tage die Sonne sich anschickte unterzugehen, begrüßten die spärlichen Passanten des Boulevard du Maine ehrfurchtsvoll einen sehr altmodischen, mit Totenköpfen, Knochen und Tränen verzierten Leichenwagen. In diesem befand sich ein Sarg, der, mit einem weißen Tuch bedeckt, von einem schwarzen Kreuz gekrönt war. Eine Equipage folgte, in der ein Priester im Chorhemd und ein Chorknabe mit einem roten Käppchen saßen. Zwei Leichenträger in grauer Uniform mit schwarzen Aufschlägen gingen zur Rechten und Linken des Leichenwagens. Ganz zum Schluß kam ein alter Mann im Arbeitskittel, der hinkte. Dieser ganze Zug strebte dem Friedhof Vaugirard zu.

Aus der Tasche des Arbeiters ragten ein Hammer, ein Stemmeisen und eine Zange hervor.

Der Friedhof Vaugirard nimmt unter den Friedhöfen von Paris eine Sonderstellung ein. Er hat seine eigentümlichen Gebräuche, zum Beispiel ein besonderes Tor für Wagen und eines für Fußgänger. Die Bernhardinerbenediktinerinnen von Petit-Picpus hatten, wie wir bereits sagten, die Erlaubnis erwirkt, in einer besonderen Ecke bestattet zu werden – dieses Terrain gehörte ganz ihrer Gemeinde. Die Totengräber hatten, da hier auch des Abends Beerdigungen stattfanden, im Sommer spätabends und im Winter sogar des Nachts Dienst und mußten sich einem besonderen Reglement unterwerfen. Die Tore der Friedhöfe von Paris wurden damals mit Sonnenuntergang geschlossen. Das war eine Verordnung des Magistrats, der sich auch der Friedhof Vaugirard nicht widersetzen konnte. Die beiden Tore waren vergittert und lagen neben einem Pavillon, den der Friedhofspförtner bewohnte. Mit unerbittlicher Strenge wurden sie abgeriegelt, sobald die Sonne hinter dem Dôme des Invalides verschwand. Wenn ein Totengräber den Friedhof um diese Zeit noch nicht verlassen hatte, so gab es für ihn nur eine Möglichkeit wieder herauszukommen: seinen Totengräberausweis. Eine Art Briefkasten war am Fenster der Pförtnerwohnung angebracht. Der Totengräber warf die Karte hinein, und der Pförtner, der sie herabfallen hörte, zog an der Schnur, so daß das Fußgängertor sich öffnete. Hatte der Totengräber seine Karte nicht bei sich, so mußte er seinen Namen nennen. Der Pförtner, der oft schon im Bett lag, stand auf, um ihn festzustellen, und öffnete die Tür mit dem Schlüssel. So konnte der Totengräber heraus, mußte aber fünfzehn Franken Strafe zahlen.

Die Sonne war noch nicht untergegangen, als der Leichenwagen in die Straße des Friedhofs Vaugirard einbog.

Mutter Crucifixions Beerdigung unter dem Hauptaltar, Cosettes Wegschaffen aus dem Kloster, Jean Valjeans Einschmuggelung in den Totensaal und in den Sarg – alles war gelungen.