Выбрать главу

Wie manche Kirchen zwei Türme, so hatte der Salon der Baronin T. zwei Löwen. Der eine war Gillenormand, der andere der Graf de la Motte-Valois, von dem man einander mit Hochachtung ins Ohr flüsterte:

»Sie wissen doch, der de la Motte von der Halsbandaffäre!«

Die Parteien erlassen oft recht eigenartige Amnestien.

Gillenormand erschien gewöhnlich in Begleitung seiner Tochter, dieses Fräuleins, das bereits die Vierzig überschritten hatte und wie eine Fünfzigerin aussah, und eines kleinen Jungen von sieben Jahren mit frischer Haut, roten Backen und vergnügten Augen, bei dessen Eintritt die Leute zu flüstern pflegten:

»Wie hübsch er ist! Wie schade! Das arme Kind!«

Und so nannte man ihn, weil er »einen Briganten von der Loire« zum Vater hatte.

Dieser Loirebandit war Herrn Gillenormands Schwiegersohn, und Gillenormand nannte ihn den Schandfleck auf dem Schilde seiner Familie.

Ein »roter Schreck« aus jenen Tagen

Wer zu jener Zeit über die schöne monumentale Brücke des kleinen Städtchens Vernon schritt, das nun, wie wir wohl hoffen, bald auch durch ein neuzeitliches Scheusal aus Eisen ersetzt werden wird, und bei dieser Gelegenheit über die Brüstung hinabsah, konnte einen etwa fünfzig Jahre alten Mann bemerken, der eine Ledermütze, Hosen und Jacke aus grobem, grauem Tuch und Holzpantinen trug; an der Joppe war etwas Braunes, ein Band, das früher einmal rot gewesen, zu erkennen. Das Gesicht des Mannes war sonnenverbrannt, sein Haar weiß. Eine lange Narbe zog sich quer über die Stirn bis zur Backe hin. Er war gebeugt, vorzeitig gealtert und beschäftigte sich fast täglich, einen Spaten und eine Hacke in der Hand, in einem der kleinen Gärtchen unterhalb der Brücke.

Er bewohnte um 1817 ein bescheidenes Häuschen auf dem Ufergelände, lebte einsam und dürftig und hatte nur eine Frau, die weder jung noch alt, weder schön noch häßlich, weder städtisch noch ländlich war, als Dienerin bei sich. Das Stückchen Land, das er seinen Garten nannte, war weit und breit bekannt wegen der Schönheit der Blumen, die er zog. Denn diese Blumen zu ziehen, war seine Beschäftigung.

Bei Morgengrauen ging er schon an die Arbeit, führte einen sehr bescheidenen Tisch, trank eher Milch als Wein. Er war schüchtern, ja sogar fast menschenscheu, ging selten aus und sah fast nur die Armen, die um ein Almosen vorsprachen, oder den Pfarrer des Ortes, den Abbé Mabeuf, einen gutmütigen, alten Mann. Wenn aber jemand aus dem Dorfe oder auch ein Fremder, wer immer es sein mochte, an seiner Tür schellte, um sich die schönen Rosen zu besehen, wurde er freundlich aufgenommen.

Dieser Gärtner war der Brigant von der Loire.

Wenn jemand die Memoirenwerke, die Biographien, Zeitungen und Bulletins jener Zeit aufmerksam studiert, stößt er wohl des öfteren auf den Namen Georges Pontmercy.

Georges Pontmercy war ganz jung in das Regiment von Saintonge eingetreten. Die Revolution hatte ihn mitgerissen. Das Regiment von Saintonge war ein Teil der Rheinarmee. Auch nach dem Sturz der Monarchie behielten die alten Regimenter ihre Namen, erst 1794 wurde die Einteilung in Brigaden durchgeführt. Pontmercy schlug sich bei Speyer, Worms, Neustadt, Türkheim und Mainz, wo er zu den zweihundert Leuten der Nachhut Houchards gehörte. Gegen das Korps des Prinzen von Hessen hielt er mit zwölf Mann Andernach und zog sich erst zurück, als eine feindliche Kanone eine Bresche in die Schanze gerissen hatte. Unter Kléber focht er bei Marchiennes, und bei Mont-Palissel verlor er seinen Arm.

Man sandte ihn nach Italien, und dort war er mit Joubert einer der Verteidiger des Col di Tenda. Joubert wurde dort Generaladjutant, Pontmercy Unterleutnant. Bei Lodi stürmte er mit Berthier mitten ins wildeste Feuer, an jenem Tage, da Bonaparte sagte: Berthier war Kanonier, Grenadier und Kavallerist. Bei Novi sah er seinen alten General Joubert in dem Augenblick fallen, in dem dieser den Säbel zog und schrie:

»Vorwärts!«

1805 gehörte er zur Division Malher, die den Erzherzog Ferdinand aus Günzburg warf, bei Austerlitz zeichnete er sich in jenem berühmten Staffelaufmarsch, der mitten im ärgsten Feuer durchgeführt wurde, aus. Als die kaiserlich-russische Garde ein Bataillon unseres vierten Linienregiments vernichtete, gehörte Pontmercy zu jenen, die Rache übten und jene Garde zerrieben. Der Kaiser gab ihm dafür das Kreuz der Ehrenlegion. Er war dabei, wie Wurmser in Mantua, Melas in Alessandria, Mack in Ulm gefangen wurden. Später gehörte er zu jenem achten Korps der großen Armee, das unter Mortiers Kommando Hamburg eroberte. Er wurde zu den Fünfundfünfzigern, einem flandrischen Regiment, versetzt und stand bei Eylau auf jenem Friedhof, auf dem der heldenhafte Hauptmann Louis Hugo, der Onkel des Verfassers, mit dreiundachtzig Mann zwei Stunden lang eine feindliche Armee aufhielt. Pontmercy war einer der drei Männer, die diesen Friedhof lebendig verließen. Er sah Friedland, Moskau, die Beresina, Lützen, Bautzen, Dresden, Wachau, Leipzig und Gelnhausen; später Montmirail, Château-Thierry, Craon, die Marne und die Aisne. In Arnay-le-Duc war er bereits Kapitän, säbelte zehn Kosaken nieder und rettete zwar nicht seinen General, aber seinen Korporal. Dabei wurde er so jämmerlich zerfetzt, daß ihm allein aus dem linken Arm siebenundzwanzig Knochensplitter geschnitten werden mußten. Acht Tage vor dem Sturz von Paris tauschte er mit einem Kameraden und trat in die Kavallerie ein. Er begleitete Napoléon nach Elba, war bei Waterloo Eskadronchef der Kürassiere von der Brigade Dubois. Damals erbeutete er die Fahne des Lüneburger Bataillons und legte sie dem Kaiser zu Füßen. Er war bereits mit Blut bedeckt. Bei der Eroberung der Fahne hatte er einen Säbelhieb quer durch das Gesicht bekommen. Als der Kaiser ihm zurief: »Du bist Oberst, Baron, Offizier der Ehrenlegion!« antwortete Pontmercy: »Sire, ich danke Ihnen im Namen meiner Witwe.«

Eine Stunde später fiel er in der Schlucht von Ohain. Dort war es, wo er, aus einer Ohnmacht erwachend, einen Leichenfledderer für seinen Retter hielt: Thénardier.

Und dieser Pontmercy war der Brigant von der Loire.

Die Restauration hatte ihn auf Halbsold gesetzt und hatte ihm, wohl um ihn besser überwachen zu können, Vernon als Aufenthaltsort zugewiesen. Ludwig XVIII. wollte alles, was während der Hundert Tage geschehen war, nicht anerkennen, und darum wurde Pontmercy weder als Offizier der Ehrenlegion noch als Oberst, noch als Baron angenommen. Doch unterließ er es nie, seine Briefe zu unterschreiben:

Oberst Baron Pontmercy.