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Der in Lumpen stieß den anderen mit dem Ellbogen an und sagte:

»Wenn Patron-Minette mittut, kann es nicht schiefgehen.«

»Meinst du?« fragte der Bärtige.

Jeder bekommt fünfhundert ab, und die äußerste Gefahr sind fünf Jahre, sechs Jahre, höchstens zehn.«

Zögernd antwortete der mit der Griechenmütze:

»Das ist eine Stange Geld. So was findet man nicht alle Tage.«

»Und ich sage dir, daß es nicht schiefgehen kann. Der Wagen von Papa Dingsda ist schon angespannt.«

Dann wechselten sie das Thema.

Marius setzte seinen Weg fort. Ein Gefühl sagte ihm, daß die dunklen Anspielungen der Männer, die er da hinter der Mauer gehört hatte, vielleicht mit Jondrettes scheußlichen Plänen zusammenhingen.

Er wandte sich nach dem Faubourg Saint-Marceau und erkundigte sich in dem erstbesten Laden nach dem nächsten Polizeikommissariat. Man wies ihn nach der Rue de Pontoise Nr. 14. Dorthin ging Marius.

Ein Polizeiagent und ein Advokat

Der Polizeikommissar war nicht da. Aber da die Sache eilig war, konnte Marius einen Inspektor treffen.

Es war ein hochgewachsener Mann, der an einem Ofen lehnte. Sein Gesicht war breitknochig, zeigte dünne, energische Lippen, einen starken, struppigen, bereits angegrauten Bart und einen Blick, der einem die Taschen umdreht.

Dieser Mensch sah nicht weniger wild und bedrohlich aus als Jondrette. Man begegnet zuweilen der Dogge ebenso ungern wie dem Wolf.

»Was wollen Sie?« fragte er Marius, ohne ihn erst »Herr« anzusprechen.

»Der Herr Polizeikommissar?«

»Ist abwesend. Ich vertrete ihn.«

»Es handelt sich um eine Sache, die streng geheim bleiben muß.«

»Dann sprechen Sie.«

»Und es eilt sehr.«

»Dann sprechen Sie rasch.«

Die Ruhe und Kürze des Mannes war zugleich beunruhigend und doch vertrauenerweckend. Marius erzählte ihm, was er wußte, daß nämlich ein Mann, den er nur vom Sehen kenne, heute abend in einen Hinterhalt gelockt werden sollte, daß er, Marius Pontmercy, Advokat, als Bewohner des Nebenzimmers durch die Wand das Komplott mit angehört habe, daß der Lump, der alles ausgeheckt, ein gewisser Jondrette sei und viele Komplizen habe, wahrscheinlich berüchtigte Verbrecher; unter anderem scheine ein gewisser Panchaud, der auch Bigrenaille genannt werde, in die Sache verwickelt zu sein. Und Jondrettes Töchter stünden Schmiere. Es sei unmöglich, den bedrohten Mann zu warnen, da man ja nicht einmal seinen Namen wisse; und alles das solle heute abend um sechs an einer besonders öden Stelle des Boulevard de l’Hôpital Nr. 50 bis 52 stattfinden.

Jetzt blickte der Inspektor auf und fragte ruhig:

»Das Zimmer am Ende des Korridors?«

»Genau dort. Kennen Sie das Haus?«

Der Inspektor schwieg einen Augenblick lang, dann sagte er: »Es scheint wohl.«

Dabei wärmte er seine Stiefelabsätze an der Ofentür. Mehr als ob er mit sich selbst spräche, fuhr er fort:

»Da ist sicher wieder Patron-Minette ein wenig im Spiel.«

Marius war verblüfft.

»Patron-Minette, ja, diesen Namen hörte ich nennen.«

Und er erzählte dem Inspektor von dem Gespräch zwischen dem Bärtigen und dem Mann in der Arbeiterbluse hinter der Mauer der Rue du Petit-Banquier.

»Der Bärtige ist wohl Demi-Liard, genannt Deux-Milliards, und der andere Wuschelkopf Brujon.«

Er dachte wieder nach.

»Und was den Papa Dingsda betrifft, so weiß ich schon, was es damit auf sich hat. Holla, ich verbrenne mir ja meinen Rockärmel. Haben sie doch wieder den Ofen geheizt. Nr. 50 bis 52. Früherer Besitz Gorbeau. Ich kenne die Baracke. Drinnen können wir uns nicht verstecken, ohne daß diese Fachleute uns entdecken. Dann rücken die Schauspieler aus, bevor das Vaudeville in Szene geht. Die Leute sind so bescheiden. Publikum ist ihnen immer unangenehm. Ich will sie aber doch singen hören und tanzen sehen.«

Dann wandte er sich wieder Marius zu.

»Sind Sie furchtsam?«

»Wovor soll ich mich fürchten?«

»Vor diesen Burschen.«

»Ebensowenig wie vor Ihnen«, antwortete Marius brüsk, denn es war ihm unangenehm, daß der Spitzel ihn nicht Herr nannte.

Der Inspektor sah ihn scharf an und sagte dann fast feierlich:

»Sie sprechen da wie ein tapferer und ein ehrenwerter Mann. Der Mutige fürchtet nicht das Verbrechen, der Ehrenhafte nicht die Obrigkeit.«

»Gut«, unterbrach ihn Marius, »aber was wollen Sie tun?«

»Die Bewohner dieses Hauses haben alle Hausschlüssel. Sie müssen auch einen haben.«

»Ja.«

»Haben Sie ihn bei sich?«

»Ja.«

»Dann geben Sie ihn mir.«

Marius zog den Schlüssel aus seiner Weste und reichte ihn dem Inspektor. »Wenn Sie auf mich hören wollen«, fuhr er fort, »so kommen Sie nicht allein.«

Der Inspektor sah Marius an, wie Voltaire wohl einen Provinzlehrer angesehen hätte, der ihm etwa einen Reim vorschlug; dann vergrub er seine beiden mächtigen Hände in den gewaltigen Taschen seines Rocks und zog zwei kleine Pistolen hervor, Pistolen von jener Art, die man Faustschläger nennt. Er reichte sie Marius und sagte lebhaft und kurz:

»Nehmen Sie diese beiden da. Gehen Sie nach Hause. Verbergen Sie sich in Ihrem Zimmer. Man muß glauben, Sie wären ausgegangen. Die Pistolen sind geladen. Jede hat zwei Schüsse. Sie können durch das Loch in der Wand, von dem Sie sprachen, alles beobachten. Lassen Sie die Sache erst in Gang kommen. Wenn Sie glauben, daß sie soweit gediehen ist, geben Sie einen Schuß ab. Nicht zu spät. Das Weitere besorge ich. Schießen Sie in die Luft, in die Decke, wohin Sie wollen. Jedenfalls nicht zu spät! Warten Sie, bis die Sache in Gang ist, Sie sind Advokat und müssen es ja verstehn.«

Marius steckte die Pistolen in seine Rocktasche.

»Da sieht man sie«, sagte der Inspektor, »tun Sie sie lieber in die Hosentaschen.«

Marius gehorchte.

»So, und jetzt wollen wir keine Minute mehr verlieren. Wenn Sie vorher noch etwas Weiteres mitzuteilen haben, kommen Sie selbst oder schicken Sie jemand. Wenden Sie sich an den Inspektor Javert.«

Marius versteckt sich

Glücklicherweise war das Haus noch nicht verschlossen, als Marius ankam. Auf den Fußspitzen stieg er die Treppe hinan und schlich in sein Zimmer. Es war die höchste Zeit, denn kurz nachher hörte er Frau Burgon fortgehen und das Haustor abschließen.

Er setzte sich auf sein Bett. Sein Puls schlug so laut, daß er ihn wie das Ticken einer Uhr hören konnte. Furcht empfand er nicht, aber er dachte nicht ohne Zittern an die Dinge, die da kommen sollten.

Die Zeit verstrich. Es hatte aufgehört zu schneien. Es dunkelte. Bei Jondrettes war Licht angezündet worden. Marius sah durch das Loch in der Wand einen roten Schimmer, der ihm blutig schien. Jedenfalls konnte er nicht von einer Kerze herrühren. Übrigens rührte sich nebenan niemand, kein Wort wurde gewechselt.

Vorsichtig zog Marius seine Schuhe aus und stellte sie unter das Bett.

Wieder verstrich einige Zeit. Marius hörte die Tür in den Angeln kreischen. Rasch und schwer stieg jemand die Treppe herauf. Es war Jondrette, der nach Hause kam.

Alle begannen zugleich zu sprechen. Offenbar war die ganze Familie in der Stube versammelt. Nur hatte sie bisher geschwiegen, wie es im Wolfsbau still ist, solange der alte Wolf fort ist.

»Guten Tag, Papachen!« riefen die Mädchen.

»Nun?« fragte die Mutter.

»Alles geht wie geschmiert«, erwiderte Jondrette, »aber mir ist schandbar kalt an den Füßen. Du hast recht gehabt, Frau, daß du dich so angezogen hast. Du wirst Vertrauen einflößen müssen.«

»Ich bin fertig und kann sofort gehen.«

»Und du hast nichts vergessen?«

»Sei unbesorgt.«