Выбрать главу

»Du bist aber höflich, Jondrette«, rief seine Frau und zog ein schnippisches Mäulchen.

»Jondrette?« fragte Leblanc, »ich dachte Favantou?«

»Favantou, genannt Jondrette«, erwiderte der Gatte lebhaft. Jondrette ist nur der Künstlername.«

Ohne daß Leblanc es merken konnte, gab er seiner Frau zu verstehen, wie wenig er ihre Ungeschicklichkeit schätzte; gleichzeitig aber fuhr er mit zärtlicher Stimme und emphatisch fort:

»Oh, wir haben immer zusammengelebt wie Täubchen und Täuberich, wir beide! Was bliebe uns denn übrig, wenn wir nicht den häuslichen Frieden hätten! Ach, wir sind ja so unglücklich, bester Herr. Man hat gesunde Arme – aber keine Arbeit! Mut zu arbeiten, aber keine Gelegenheit. Ich weiß nicht, wie die Regierung sich das denkt, und auf Ehre, mein Herr, ich bin kein Jakobiner, aber wenn ich Minister wäre und wenn mein Wort gälte, wäre es anders. Sehen Sie, zum Beispiel, ich wollte meine Töchter Kartonagearbeit lernen lassen. Vielleicht werden Sie sagen: wie, ein gewöhnliches Handwerk? Doch! Einen Broterwerb. Ja, es ist ein großer Sturz, ein tiefer Sturz. Welche Erniedrigung, wenn man bedenkt, was wir früher waren. Aber ach, uns bleibt nichts aus vergangenen guten Tagen. Nur dieses einzige Bild da, das ich nie habe aus den Händen geben wollen und das ich jetzt doch verkaufen werde, denn man muß ja schließlich leben!«

Während Jondrette unzusammenhängend drauflossprach, ohne indessen seine gewöhnliche verschmitzte Miene zu verändern, hielt Marius Umschau und bemerkte im Hintergrund eine Person, die er bisher noch nicht gesehen hatte. Jemand war eingetreten, und zwar so leise, daß man die Tür nicht gehen gehört hatte. Er trug eine Weste aus violettem Wollstoff, ein altes, vielfach zerschnittenes Kleidungsstück, dann breite Samthosen und Stiefel, aber kein Hemd. Der Hals war nackt, und die Arme zeigten ihre Tätowierung. Das Gesicht war rußgeschwärzt. Der Unbekannte saß schweigend und mit gekreuzten Armen auf der Pritsche, und da er sich hinter Jondrette hielt, konnte man ihn kaum sehen.

Aber vermöge jenes Instinkts, der den Blick lenkt, wandte sich Leblanc fast gleichzeitig mit Marius nach jener Richtung. Er konnte sich einer gewissen Überraschung nicht erwehren, die auch Jondrette nicht entging.

»Ach«, sagte Jondrette und knöpfte stolz seinen Rock zu, »Sie sehen wohl Ihren Rock an? Er paßt mir. Meiner Treu, er paßt mir ausgezeichnet!«

»Wer ist denn dieser Mann?« fragte Leblanc.

»Der? Ein Nachbar. Achten Sie nicht weiter auf ihn.«

Dieser Nachbar sah recht sonderbar aus. Aber in der Vorstadt Saint-Marceau gibt es viele chemische Fabriken, und schwarze Gesichter sind in Arbeiterquartieren keine Seltenheit. Überdies schien Leblancs ganze Person Furchtlosigkeit und Vertrauen auszuatmen.

»Verzeihung«, sagte er, »aber wovon sprachen Sie gerade, Herr Favantou?«

»Ich erlaubte mir, zu erwähnen, mein Herr und Gönner«, fuhr Jondrette fort, indem er sich auf den Tisch stützte und Leblanc zärtlich wie eine Boa constrictor ansah, »daß ich ein Bild verkaufen möchte.«

Von der Türe her war ein leichtes Geräusch zu vernehmen. Ein zweiter Mann trat ein und setzte sich auf das Bett hinter die Jondrette. Auch er hatte nackte Arme und ein rußgeschwärztes Gesicht.

So leise er auch eingetreten war, hatte er nicht verhindern können, daß Leblanc ihn bemerkte.

»Achten Sie nicht darauf«, sagte Jondrette, »das sind Leute aus dem Haus. Ich sagte also, daß ich noch dieses wertvolle Bild … sehen Sie, bitte!«

Er stand auf, trat an die Wand, an der jenes Schild lehnte, von dem wir bereits sprachen, und drehte es um. Marius konnte es nicht deutlich erkennen.

»Was bedeutet denn das?« fragte Leblanc.

»Oh, es ist ein Meisterwerk«, versicherte Jondrette, »ich hänge daran, wie an meinen eigenen Kindern, es ist für mich so reich an Erinnerungen. Aber ich habe es Ihnen schon gesagt, es geht mir so schlecht, daß ich mich jetzt dieses Besitzes entschlagen muß.« Sei es aus Zufall, sei es, daß ein erstes Mißtrauen sich in ihm regte, Leblanc hielt, während er scheinbar das Bild betrachtete, im Zimmer Umschau. Jetzt waren schon vier Männer da. Drei saßen auf einer Pritsche, der vierte lehnte am Türpfosten. Einer von denen, die auf der Pritsche saßen, lehnte sich gegen die Wand und hatte die Augen geschlossen. Es war ein Alter, und man hätte glauben können, er schlafe. Sein geschwärztes Gesicht hob sich unheimlich von seinem weißen Haar ab.

Jondrette fing Leblancs Blick auf.

»Lauter Freunde von mir. Nachbarn. Es sind Ofenarbeiter, die Leute haben viel mit Ruß zu tun. Achten Sie nicht weiter auf sie, Sie sollen ja mein Bild kaufen. Erbarmen Sie sich meines Elends, Sie sollen nicht zuviel dafür zahlen. Was halten Sie davon?«

»Aber das ist ein gewöhnliches Wirtshausschild«, meinte Leblanc und fixierte Jondrette, »es ist knapp drei Franken wert.«

Jondrette antwortete liebenswürdig:

»Haben Sie Geld bei sich? Mit tausend Talern würde ich mich begnügen.«

Leblanc stand auf, lehnte sich an die Wand und durchstreifte mit einem raschen Blick das Zimmer. Zur Linken, gegen das Fenster zu, hatte er Jondrette, zur Rechten, gegen die Tür, jene vier Männer. Sie rührten sich nicht und taten, als ob sie ihn nicht sähen. Jondrette begann wieder in kläglich winselndem Ton weiterzureden. Leblanc mußte aus seiner Sprechweise schließen, daß er es mit einem Mann zu tun habe, den die Not eben vor seinen Augen verrückt gemacht hatte.

»Ach, wenn Sie mein Bild nicht kaufen, bester Herr«, sagte Jondrette, »so bleibe ich ohne Hilfsmittel und muß mich einfach in den Fluß werfen. Mir bleibt nichts übrig, als ins Wasser zu springen. Wenn ich bedenke, daß ich doch meine beiden Töchter Kartonagearbeiten lernen lassen wollte. Jetzt kann ich nichts anderes tun, als ins Wasser springen. Neulich bin ich an der Austerlitzer Brücke drei Stufen hinabgestiegen und habe ins Wasser geschaut …«

Plötzlich aber glühte sein erloschenes Auge schrecklich auf, dieser kleine Mann fuhr auf, trat einen Schritt auf Herrn Leblanc zu und schrie:

»Aber um all das handelt es sich nicht: erkennen Sie mich?«

Der Hinterhalt

Plötzlich ging die Türe auf und drei Männer in blauen Leinenblusen wurden sichtbar. Sie trugen Masken aus schwarzem Papier. Der erste, ein magerer Bursche, trug einen eisenbeschlagenen Stock, der zweite, ein wahrer Riese, hielt eine Hacke, wie man sie beim Rinderschlachten gebraucht, am Schaft, der dritte, weniger mager als der erste und doch nicht so plump wie der zweite, trug einen riesenhaften Torschlüssel, der zu einer Gefängnistür gehören mochte.

Offenbar hatte Jondrette noch auf das Erscheinen dieser drei Leute gewartet. Jetzt entspann sich zwischen ihm und dem Mann mit dem eisenbeschlagenen Stock ein kurzes Gespräch:

»Alles bereit?«

»Ja.«

»Wo ist Montparnasse?«

»Der Steiger quatscht draußen mit deiner Tochter.«

»Mit welcher?«

»Mit der älteren.«

»Ist mein Wagen unten?«

»Ja.«

»Wartet er am richtigen Platz?«

»Ja.«

»Gut«, sagte Jondrette.

Leblanc war sehr blaß. Er blickte um sich, prüfte alle diese Gesichter wie einer, der seine Lage erfaßt, aber er schien sich nicht zu fürchten. Schon hatte er sich hinter den Tisch zurückgezogen; wenn er eben erst wie ein alter Biedermann ausgesehen hatte, so war jetzt der Athlet zum Vorschein gekommen, der seine furchtbare Faust vielsagend auf die Stuhllehne legte.

Marius war in diesem Augenblick stolz auf ihn.

Die drei, die Jondrette als Ofensetzer vorgestellt hatte, waren an den Kamin getreten und hatten sich mit den vorbereiteten Schmiedewerkzeugen bewaffnet. Der Alte saß neben der Jondrette auf dem Bett, hatte aber nun die Augen aufgeschlagen.

Jetzt war der Augenblick gekommen, da Marius handeln mußte. Er richtete eine seiner Pistolen nach der Decke.