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Pearson schwieg, und Coleman wartete. Er spürte, daß der alte Pathologe sich mit seinen Worten von einem Teil seiner Vergangenheit löste.

»Und so kann es am nächsten Tag gehen und am übernächsten und am Tag danach«, fuhr Pearson fort. »Bis Sie feststellen, daß ein Jahr vergangen ist und dann das nächste und dann noch eines. Und während Sie alles das tun, schicken Sie andere zu Kursen, um sich über die neuesten Entdeckungen in der Medizin zu unterrichten, weil Sie selbst sich nicht die Zeit nehmen können, fortzufahren. Und nach und nach hören Sie auf, zu forschen und nachzuforschen, und weil Ihre Arbeit so anstrengend ist, sind Sie abends müde, und Sie bringen nicht mehr die Energie auf, Fachliteratur zu lesen. Eines Tages stellen Sie plötzlich fest, daß alles, was Sie wissen, veraltet ist. Und dann ist der Punkt erreicht, an dem es zu spät ist, um das noch zu ändern.«

Von seinem Gefühl überwältigt, versagte ihm die Stimme. Pearson legte eine Hand auf Colemans Arm. Eindringlich fuhr er fort: »Hören Sie auf einen alten Mann, der das alles durchgemacht hat, der den Fehler beging, zurückzubleiben. Lassen Sie nicht zu, daß es Ihnen auch so geht. Schließen Sie sich in einen Schrank ein, wenn es sein muß. Halten Sie sich das Telefon vom Hals und die Ablage und die Papiere, und lesen und lernen Sie, und halten Sie Augen und Ohren auf, und bleiben Sie auf dem laufenden. Dann kann man Ihnen nie etwas anhaben, wird nie von Ihnen sagen können: er ist fertig, überholt, von gestern. Denn Sie werden dann ebensoviel wissen wie die anderen und mehr, und Sie haben zu Ihrem Wissen Ihre Erfahrung. «

Pearson verstummte und wendete sich ab.

»Ich werde es nicht vergessen«, antwortete Coleman. Respektvoll fragte er: »Darf ich Sie bis zur Tür bringen?«

Sie stiegen die Treppe von der Pathologie hinauf. Auf dem Hauptgang des Krankenhauses setzte gerade das lebhafte Hin und Her des frühen Abends ein. Eine Schwester eilte mit einem Tablett an ihnen vorbei, ihre gestärkte Uniform rauschte. Sie traten zur Seite, um einem Rollstuhl Platz zu machen. Darin saß ein Mann in mittlerem Alter, ein Bein in einem Gipsverband, und hielt ein paar Krücken wie in ein Boot eingezogene Ruder. Lachend kamen drei Lernschwestern an ihnen vorbei. Eine Frau, die für einen Wohltätigkeitsverein arbeitete, schob einen Wagen mit Zeitschriften vor sich her. Ein Mann mit einem Blumenstrauß in der Hand ging zu den Fahrstühlen. Irgendwo, nicht sichtbar, weinte ein Kind. Es war die Krankenhauswelt. Ein lebender Organismus, ein Spiegel der großen Welt draußen.

Pearson sah sich um. Coleman dachte, zweiunddreißig Jahre, und vielleicht sieht er das alles zum letztenmal. Er fragte sich, wie wird es sein, wenn meine Zeit kommt? Werde ich mich in dreißig Jahren an diesen Augenblick erinnern? Werde ich es dann besser verstehen?

Durch den Lautsprecher im Gang rief eine Stimme aus: »Dr. David Coleman! Dr. David Coleman bitte zur chirurgischen Abteilung.«

»Es hat angefangen«, sagte Pearson. »Es wird ein Gefrierschnitt sein. Es ist besser, Sie gehen hinauf.« Er streckte seine Hand aus. »Viel Glück.«

Coleman fand es schwer, zu sprechen. »Danke«, sagte er nur.

Der alte Mann nickte und wendete sich ab.

»Gute Nacht, Dr. Pearson.« Das war eine der älteren Schwestern des Krankenhauses.

»Gute Nacht«, antwortete Pearson. Dann blieb er auf dem Weg hinaus unter einem Schild >Nicht rauchen< stehen, um sich eine Zigarre anzuzünden.