Выбрать главу

»Es war ein Unfall. Die Firma wird der Witwe eine Pension bezahlen müssen«, knurrte Pearson dazwischen, schob seine Zigarre im Mund zurecht und kritzelte eine weitere Unterschrift, wobei er fast das Papier zerriß. Es ist beinahe noch mehr Ei als gewöhnlich auf seiner Krawatte, dachte Miss Mildred, und sie fragte sich, vor wie vielen Tagen der Pathologe sein graues, störrisches Haar zum letztenmal gebürstet haben mochte. Im Three Counties Hospital war man sich nicht einig, ob Joe Pearsons äußere Erscheinung als Witz oder als Skandal angesehen werden sollte. Seit seine Frau vor etwas über zehn Jahren gestorben war und er allein lebte, war er äußerlich immer mehr verlottert. Jetzt, mit Sechsundsechzig, ließ seine Erscheinung manchmal eher an einen Landstreicher denken als an den Leiter einer Hauptabteilung des Krankenhauses. Unter dem offenstehenden Ärztemantel bemerkte Miss Mildred eine gestrickte Wollweste mit ausgefransten Knopflöchern und zwei weiteren Löchern, die wahrscheinlich von Säure gefressen worden waren. Seine graue, ungebügelte Hose fiel über ausgetretene Schuhe, die dringend hätten geputzt werden müssen.

Joe Pearson unterzeichnete das letzte Papier und schob den Stoß mit einer fast wilden Bewegung der kleinen Miss Mildred hin. »Vielleicht darf ich jetzt mit meiner wirklichen Arbeit weitermachen, wie?« Seine Zigarre wippte auf und ab und verstreute Asche, zum Teil auf ihn selbst, zum Teil auf den glänzenden Linoleumboden. Pearson war so lange im Three Counties Hospital, daß er sich Grobheiten erlauben konnte, die bei einem jüngeren Mann nie geduldet worden wären, und auch die Schilder >Nicht rauchen< zu ignorieren, die in Abständen gut sichtbar in den Krankenhausgängen hingen.

»Danke, Doktor. Danke vielmals.«

Er nickte kurz und ging weiter zur Haupthalle, um mit dem Fahrstuhl in das Souterrain zu fahren. Aber beide Fahrstühle befanden sich in den oberen Stockwerken. Mit einem unmutigen Brummen eilte er die Treppe hinunter, die zu seiner eigenen Abteilung führte.

In der chirurgischen Abteilung, drei Etagen höher, war die Atmosphäre ausgeglichener. In der gesamten Operationsabteilung wurden Temperatur und Luftfeuchtigkeit sorgfältig kontrolliert, damit die Chirurgen des Krankenhauses, die Assistenten und die Schwestern, die unter ihren grünen Operationsanzügen nur ihre Unterwäsche trugen, unbeeinträchtigt arbeiten konnten. Manche der Chirurgen hatten ihre ersten Operationen an diesem Morgen bereits hinter sich und schlenderten für eine Tasse Kaffee zu dem Aufenthaltsraum, ehe sie zu ihrem nächsten Fall übergingen. Aus den Operationsräumen zu beiden Seiten des Ganges, der vom übrigen Teil des Krankenhauses aseptisch abgeschlossen war, schoben Schwestern Patienten, die noch in der Narkose lagen, in eines der beiden Zimmer, wo die Patienten unter Beobachtung blieben, bis sie wieder zu sich gekommen waren und in die ihnen zugeteilten Krankenbetten gebracht werden konnten.

Zwischen Schlückchen von siedendheißem Kaffee verteidigte Lucy Grainger, eine orthopädische Chirurgin, die Anschaffung eines Volkswagens, den sie sich am Tage vorher gekauft hatte.

»Sie müssen entschuldigen, Lucy«, sagte Dr. Bartlett, »aber ich fürchte, ich bin auf dem Parkplatz versehentlich draufgetreten.«

»Macht nichts, Gil«, antwortete sie. »Aber für Sie ist die körperliche Bewegung nur gesund, wenn Sie um Ihr Ungeheuer aus Detroit herumlaufen müssen.«

Gil Bartlett, einer der allgemeinen Chirurgen des Krankenhauses, war als Besitzer eines cremefarbenen Cadillacs bekannt, den man selten anders als in fleckenlosem Glanz strahlend sah. Im Grunde war der Wagen ein Ausdruck der peinlichen Sorgfalt seines Besitzers, der unbestreitbar einer der bestangezogenen Ärzte am Three Counties Hospital war. Bartlett war auch der einzige Arzt, der sich mit einem Bart präsentierte, einen immer sauber gestutzten van Dyck, der beim Sprechen auf- und abwippte, ein Vorgang, den Lucy faszinierend zu beobachten fand.

Kent O'Donnell kam zu ihnen herübergeschlendert. O'Donnell war Chef der Chirurgie und gleichzeitig Präsident des medizinischen Ausschusses des Krankenhauses. Bartlett begrüßte ihn.

»Sie habe ich gesucht, Kent. Ich halte vor den Schwestern nächste Woche einen Vortrag über Mandeloperationen bei Erwachsenen. Haben Sie ein paar Farbdias von Luftröhrenentzündungen und durch Aspiration verursachte Lungenentzündungen?«

O'Donnell überflog in Gedanken seine Sammlung von Farbfotos für Lehrzwecke. Er wußte, was Bartlett meinte. Er bezog sich auf eine der weniger bekannten Komplikationen, die manchmal nach der Ausschälung der Rachenmandeln bei Erwachsenen auftritt. Wie den meisten Chirurgen war O'Donnell bekannt, daß selbst bei der größten Sorgfalt während der Operation gelegentlich ein winziges Stück der Mandel der Pinzette des Operateurs entging und von dem Patienten in die Lunge eingeatmet wurde, wo es eine Infektion verursachte. Er erinnerte sich, daß er eine Serie von Bildern der Luftröhre und der Lungen besaß, die einen derartigen Fall zeigten. Sie waren während einer Obduktion aufgenommen worden. »Ich glaube ja«, antwortete er. »Ich werde sie heute abend heraussuchen.«

»Wenn Sie keines von der Luftröhre haben, dann geben Sie ihm eins vom Dickdarm«, riet Lucy Grainger. »Er kann es doch nicht unterscheiden.« Gelächter lief durch das Ärztezimmer.

Auch O'Donnell lächelte. Er und Lucy waren alte Freunde, und manchmal fragte er sich, ob sie nicht mehr werden könnten, wenn ihnen Zeit und Gelegenheit gegeben würden. Er hatte Lucy aus vielen Gründen gern, nicht zuletzt wegen der Art und Weise, in der sie sich in einer Umgebung behauptete, die manchmal als eine Männerwelt angesehen wird, und in der sie dennoch niemals ihre Fraulichkeit verlor.

Der Operationsanzug, den sie jetzt trug, ließ sie formlos wie alle anderen, fast anonym, erscheinen. Er wußte aber, daß sich darunter eine hübsche, schlanke Figur verbarg, die im allgemeinen dezent, elegant und modisch angezogen war.

Seine Gedanken wurden von einer Krankenschwester unterbrochen, die geklopft hatte und unbemerkt eingetreten war.

»Dr. O'Donnell. Die Familie Ihres Patienten wartet draußen.«

»Sagen Sie bitte, ich käme sofort.« Er trat in das Umkleidezimmer und begann, seinen Operationsanzug abzustreifen. Auf seinem Programm für heute stand nur eine Operation, die er bereits beendet hatte. Wenn er die Familie draußen getröstet und ihr Mut zugesprochen hatte - gerade hatte er dem Patienten erfolgreich Gallensteine entfernt -, war seine nächste Aufgabe ein Besuch beim Verwaltungsdirektor.

Ein Stockwerk über der chirurgischen Abteilung, in dem Krankenzimmer für Privatpatienten Nr. 28, hatte George Andrew Dunton die Fähigkeit verloren, Wärme oder Kälte wahrzunehmen, und stand fünfzehn Sekunden vor dem Tod. Während Dr. McMahon das Handgelenk seines Patienten hielt und darauf wartete, daß der Puls aussetzte, stellte Schwester Penfield den Ventilator am Fenster auf stark, weil durch die Anwesenheit der Angehörigen die Luft im Zimmer unbehaglich stickig geworden war. Das ist eine ordentliche Familie, dachte sie, die Frau, der erwachsene Sohn, die jüngere Tochter. Die Frau schluchzte leise vor sich hin, die Tochter weinte tonlos, wobei ihr die Tränen über die Wangen liefen, der Sohn hatte sich abgewendet, aber seine Schultern zuckten. Wenn ich einmal sterbe, dachte Elaine Penfield, hoffe ich, daß auch um mich jemand weint. Tränen sind der beste Nachruf, den es gibt.

Jetzt ließ Dr. McMahon das Handgelenk seines Patienten sinken und sah zu den anderen hinüber. Es waren keine Worte erforderlich, und methodisch notierte Schwester Penfield die Todeszeit: zehn Uhr zweiundfünfzig.

In den Krankensälen und den Zimmern der Privatpatienten an diesem Gang gehörte diese Zeit zu den stillen Stunden des Tages. Die Morgenmedikamente waren ausgegeben, die Visiten beendet, und es herrschte vorübergehend Stille, bis die Essenszeit wieder einen Höhepunkt der Betriebsamkeit brachte. Manche der Schwestern waren zur Kantine Kaffee trinken gegangen, andere, die zurückgeblieben waren, füllten ihre Krankenblätter aus. »Klagt über fortgesetzte Leibschmerzen«, hatte Schwester Wilding auf dem Krankenblatt einer Patientin notiert. Sie war im Begriff, eine weitere Bemerkung hinzuzufügen, unterbrach sich aber.