In der Verwaltung gab es allerdings immer noch Dinge, die ihm Sorgen machten. Von einigen Abteilungen wußte er, daß dort besser gearbeitet werden konnte. Es bestanden noch Möglichkeiten, die Pflege der Patienten zu verbessern. Ein großer Teil der alten Einrichtungen mußte verschrottet und ersetzt werden. Es gab neuentwickelte Geräte - die kinematographische Röntgenkamera war ein Beispiel -, die ein Krankenhaus unter idealen Voraussetzungen besitzen mußte. Durch den geplanten Neubau konnte ein Teil der vorhandenen Mängel behoben werden, aber nicht alle. Wie ODonnell war ihm bewußt, daß Jahre der Arbeit vor ihnen lagen und daß manches Ziel vielleicht nie zu erreichen war. Aber das war schließlich der Weg, der zum Erfolg führte: man versuchte immer, etwas mehr anzustreben, als man erfüllen konnte.
Seine Gedanken wurden durch Orden Brown in die Gegenwart zurückgerufen. Der Vorsitzende setzte O'Donnell auseinander: »Natürlich sind im Verlauf der Sammelaktion eine ganze Reihe gesellschaftlicher Veranstaltungen unvermeidlich. Ja, und noch etwas. Ich fände es eine gute Idee, Kent, wenn Sie vor dem Rotary Club einen Vortrag hielten. Sie könnten dort erklären, was mit dem Neubau erreicht werden soll, über unsere Zukunftspläne sprechen und so weiter.«
O'Donnell, der wenig Neigung verspürte, öffentlich aufzutreten, besonders nicht in der reglementiert wohlwollenden Atmosphäre eines Klubs, unterdrückte gerade noch eine Grimasse. Statt dessen sagte er: »Wenn Sie glauben, daß es nützt, bin ich dazu bereit.«
»Einer meiner Leute gehört zum Vorstand des Rotary Clubs«, erklärte Orden Brown. »Ich werde dafür sorgen, daß er alles arrangiert. Am besten in der Woche, in der die Sammelaktion beginnt. In der darauffolgenden Woche könnten wir vielleicht das gleiche bei den Kiwanis versuchen.«
O'Donnell überlegte, ob er dem Vorsitzenden nahelegen solle, ihm noch Zeit zum Operieren zu lassen, weil er sonst kaum seine Beitragsquote erfüllen könne. Aber er ließ es dann lieber.
»Übrigens«, fragte Orden Brown, »sind Sie übermorgen zum Abendessen frei?«
»Ja«, antwortete O'Donnell bereitwillig. Die stille, gediegene Würde eines Abendessens in dem Haus auf dem Berg lockte ihn immer.
»Dann möchte ich, daß Sie mit mir zu Eustace Swayne kommen.« Als er O'Donnells Überraschung sah, fügte der Vorsitzende hinzu: »Es stimmt schon. Sie sind eingeladen. Er bat mich, es Ihnen mitzuteilen.«
»Ja, ich komme gern.« Dennoch überraschte ihn die Einladung in das Haus des konservativsten Mitgliedes des Krankenhausausschusses. Natürlich hatte O'Donnell Swayne ein paarmal gesehen, aber er hatte ihn nie näher kennengelernt.
»Tatsächlich stammt der Vorschlag von mir«, erklärte Brown. »Ich möchte, daß Sie sich mit ihm ganz allgemein über das Krankenhaus unterhalten. Er soll ein paar Ihrer Gedanken verstehen, falls Sie sie ihm klarmachen können. Offen gesagt ist die Zusammenarbeit im Ausschuß mit ihm manchmal problematisch. Aber das wissen Sie natürlich selbst.«
»Ich werde tun, was ich kann.« Nachdem O'Donnell begriff, um was es ging, fand er den Gedanken einer engeren
Beteiligung an der Ausschußpolitik wenig reizvoll. Bisher war es ihm gelungen, sich von ihr fernzuhalten. Aber er konnte Orden Browns Wunsch nicht ablehnen.
Der Vorsitzende griff nach seiner Aktentasche und schickte sich an, zu gehen. Tomaselli und O'Donnell erhoben sich mit ihm.
»Es wird nur eine kleine Gesellschaft«, erklärte Orden Brown. »Vielleicht ein halbes Dutzend Personen. Sollen wir Sie auf dem Weg durch die Stadt nicht abholen? Ich rufe Sie an, ehe wir abfahren.«
O'Donnell bedankte sich murmelnd, während der Vorsitzende mit einem freundlichen Kopfnicken das Zimmer verließ.
Kaum hatte sich die Tür hinter Orden Brown geschlossen, als die große, schlanke Kathy Cohen, Tomasellis Sekretärin, eintrat. »Entschuldigen Sie, daß ich störe«, sagte sie.
»Was gibt es, Kathy?«
Sie wandte sich an den Verwaltungsdirektor. »Da ist ein Mann am Telefon, der Sie unbedingt sprechen will. Ein Mr. Bryan.«
»Ich habe jetzt mit Dr. O'Donnell zu tun. Sagen Sie ihm, ich rufe zurück.« Tomaselli schien überrascht. Normalerweise brauchte er Kathy etwas derartig Grundlegendes nicht zu sagen.
»Das habe ich ihm schon erklärt, Mr. Tomaselli«, antwortete sie zögernd. »Aber er ist sehr hartnäckig. Er sagt, er sei der Mann einer Patientin. Ich hielt es für richtig, Sie zu benachrichtigen.«
»Vielleicht können Sie kurz mit ihm sprechen, Harry.« O'Donnell nickte der Sekretärin zu. »Erlösen Sie Kathy von ihm. Ich warte solange.«
»Also gut.« Der Verwaltungsdirektor griff nach einem seiner beiden Telefone.
»Es ist Leitung vier.« Die Sekretärin wartete, bis die Verbindung hergestellt war, und ging dann in das Vorzimmer zurück.
»Verwaltung.« Tomasellis Ton war freundlich. Dann hörte er mit etwas gerunzelter Stirn dem Mann am anderen Ende der Leitung zu.
O'Donnell konnte die knarrende Stimme aus dem Hörer vernehmen. Er verstand einzelne Worte: ».unmögliche Situation.. .Belastung für die Familie. muß geklärt werden.«
Tomaselli legte seine Hand über die Sprechmuschel. Zu O'Donnell sagte er: »Er ist wirklich in Fahrt. Irgend etwas mit seiner Frau. Ich verstehe noch nicht ganz.« Er hörte noch einen Augenblick zu. »Bitte, Mr. Bryan. Erklären Sie mir von Anfang an genau, um was es sich handelt.« Er griff nach einem Block und nach einem Bleistift und sagte dann: »Ja, Sir.« Eine Pause. »Nun sagen Sie mir bitte, wann Ihre Frau im Krankenhaus aufgenommen wurde.« In dem Hörer rauschte es wieder, und der Verwaltungsdirektor notierte schnell. »Und wer ist Ihr Arzt?« Wieder eine Notiz. »Und das Datum der Entlassung?« Eine Pause. »Ja, ich verstehe.«
O'Donnell verstand die Worte: ».kann keine befriedigende Erklärung bekommen.« Dann sprach Tomaselli wieder.
»Nein, Mr. Bryan, ich entsinne mich im einzelnen nicht an den Fall, aber ich werde nachforschen. Das verspreche ich Ihnen.« Er hörte wieder zu und antwortete: »Ja, Sir, mir ist bekannt, was eine Krankenhausrechnung für eine Familie bedeutet. Aber wie Sie wissen, arbeitet das Krankenhaus zu Selbstkosten.«
O'Donnell konnte immer noch die Stimme in dem Hörer vernehmen, aber sie klang ruhiger, durch Tomasellis entgegenkommenden Ton besänftigt. Jetzt sagte der Verwaltungsdirektor: »Nun, Sir, der Arzt trifft die Entscheidung, wie lange ein Patient im Krankenhaus bleibt. Ich rate Ihnen, noch einmal mit dem Arzt Ihrer Frau zu sprechen, und inzwischen werde ich durch unsere Buchhaltung Ihre Rechnung Punkt für Punkt überprüfen lassen.« Er hörte noch einmal kurz zu. Dann: »Danke, Mr. Bryan. Guten Tag.« Er legte den Hörer zurück, riß das Blatt mit den Notizen ab und legte es in einen Korb mit der Aufschrift >Diktat<.
»Was wollte er denn?« fragte O'Donnell beiläufig. In einem vielbeschäftigten Krankenhaus sind Beschwerden über die Behandlung oder über die Rechnungen nicht selten.
»Er beschwert sich, daß seine Frau zu lange hierbehalten wurde. Nun muß er Schulden machen, um die Rechnung zu bezahlen.«
O'Donnell entgegnete scharf: »Woher weiß er, daß sie zu lange hierbehalten wurde?«
»Er sagt, er habe sich erkundigt, was er damit auch meint.« Nachdenklich fügte Tomaselli hinzu: »Es kann natürlich notwendig gewesen sein, aber die Frau war fast drei Wochen hier.«
»Und was folgt daraus?«
»Normalerweise würde ich dem keine große Bedeutung beimessen, aber wir haben ungewöhnlich viele Beschwerden dieser Art erhalten. Sie sind nicht immer so scharf wie diese hier, liegen allerdings in der gleichen Richtung.«
Ein Gedanke ging O'Donnell durch den Kopf: das Wort Pathologie. Laut fragte er: »Wer war der behandelnde Arzt?«
Tomaselli sah in seine Notizen. »Reubens.«