»Ich verstehe.« Pearson hatte seine Arbeit unterbrochen und musterte ihn aufmerksam.
»Ich wollte Sie fragen, Doktor, ob Sie uns einen Geburtshelfer empfehlen können, den meine Frau aufsuchen soll.«
»Das ist einfach.« Pearson klang erleichtert. Offensichtlich hatte er sich gefragt, was kommen würde. »Doktor Dornberger ist ein sehr guter Arzt. Er hält auch hier im Krankenhaus Sprechstunde ab. Soll ich ihn anrufen?«
»Wenn es Ihnen keine großen Umstände macht.«
Pearson winkte Bannister. »Stellen Sie fest, ob er da ist.«
Bannister nahm den Hörer von dem Telefon hinter ihnen ab und verlangte die Verbindung. Nach einer Pause sagte er: »Er ist da«, und reichte Pearson den Hörer.
Beide Hände in nassen Handschuhen winkte der alte Mann ärgerlich mit dem Kopf. »Halten Sie ihn mir doch.«
Bannister trat näher und drückte die Hörmuschel gegen Pearsons Ohr.
»Bist du da, Charlie?« dröhnte der Pathologe in das Telefon. »Ich habe eine Patientin für dich.«
In seinem Sprechzimmer, drei Stockwerke höher, lächelte Dr. Charles Dornberger und hielt das Telefon etwas von seinem Ohr ab. Er fragte: »Was kann ein Geburtshelfer schon für deine Patienten tun?« Gleichzeitig ging ihm durch den Kopf, daß ihm dieser Anruf gelegen kam. Seit der Zusammenkunft, die O'Donnell gestern einberufen hatte, dachte Charles Dornberger darüber nach, wie er Joe Pearson den Vorschlag am besten unterbreiten könne. Nun schien sich von selbst eine günstige Gelegenheit zu bieten.
Unten in der Pathologie manövrierte Pearson die Zigarre in einen Mundwinkel. Er unterhielt sich gern mit Dornberger.
»Es ist kein toter Patient, alter Esel, es ist ein lebendiger. Die Frau eines meiner Laboranten - Mrs. John Alexander. Sie sind noch fremd in Burlington und kennen hier niemand.«
Als Pearson den Namen nannte, öffnete Dornberger eine Schublade mit einer Kartei und zog eine Karte heraus.
»Einen Moment.« Er klemmte den Hörer zwischen Ohr und Schulter und schrieb in seiner feinen Schrift mit der Rechten, während er mit der Linken die Karte hielt: »Alexander, Mrs. John.« Es war typisch für Dornbergers methodische Organisation seiner Praxis, daß dies seine erste Handlung war. Nun sagte er: »Ich werde gern helfen, Joe. Willst du sie veranlassen, daß sie mich anruft, um einen Termin zu vereinbaren?«
»Sehr gut. Irgendwann nächste Woche. Vorher kommt Mrs. Alexander nicht hierher.« Er grinste Alexander an und fügte, immer noch fast schreiend, hinzu: »Und wenn sie Zwillinge wollen, Charlie, dann sorge gefälligst dafür, daß sie die kriegen.«
Pearson lauschte auf Dornbergers Antwort und kicherte. Dann kam ihm noch ein Gedanke. »Und, he, noch was! Keine deiner phantastischen Honorarforderungen. Ich will nicht, daß der Junge von mir Gehaltserhöhung verlangt, damit er deine Rechnung bezahlen kann.«
Dornberger lächelte. Er antwortete: »Keine Sorge.« Auf der Karte vermerkte er »Angestellter des Krankenhauses«. Das war für ihn ein Zeichen, diesem Patienten keine Rechnung zu schicken. In das Telefon sagte er: »Ich möchte dich noch wegen etwas anderem sprechen, Joe. Wann paßt es dir? Ich komme dann zu dir hinunter.«
»Heute geht es nicht mehr«, sagte Pearson. »Ich habe den ganzen Tag zu tun. Wie ist es morgen?«
Dornberger überprüfte seinen eigenen Terminkalender. »Morgen bin ich selbst den ganzen Tag besetzt. Sagen wir übermorgen. Wie ist es um zehn Uhr vormittags? Ich komme in dein Arbeitszimmer.«
»Läßt sich machen, falls du es mir nicht jetzt am Telefon sagen willst.« Pearsons Stimme klang neugierig.
»Nein, Joe«, antwortete Dornberger, »ich komme damit lieber zu dir.«
In der Pathologie antwortete Pearson: »Schön, Charlie, bis dahin denn.«
Ungeduldig winkte er den Hörer fort, und Bannister legte ihn auf die Gabel zurück.
Zu Alexander sagte Pearson: »Alles geregelt. Ihre Frau kommt hier in das Krankenhaus, wenn es soweit ist. Als Angestellter erhalten Sie eine Ermäßigung von zwanzig Prozent.«
Alexander strahlte. McNeil dachte, ja, nur zu, freu dich, mein Junge. Der alte Mann hat gerade seine glückliche Stunde. Aber laß dich nicht täuschen. Es kommen auch noch andere. An denen wirst du keinen Spaß haben.
»Nur einen Augenblick, bitte.« Dornberger lächelte der Lernschwester zu, die in sein Sprechzimmer gekommen war, während er mit Pearson sprach. Er deutete auf den Sessel neben seinem Schreibtisch.
»Danke, Doktor.« Vivian Loburton brachte ein Krankenblatt, um das Dornberger gebeten hatte. Im allgemeinen wurde den Ärzten dieser Dienst nicht erwiesen. Sie mußten selbst zu den Stationen kommen und die Krankengeschichten dort einsehen. Aber Dornberger war bei den Schwestern beliebt; sie erwiesen ihm immer kleine Gefälligkeiten. Und als er ein paar Minuten vorher angerufen hatte, schickte die Stationsschwester Vivian sofort zu ihm.
»Wenn es geht, tue ich immer gern nur eines zur gleichen Zeit.« Dornberger notierte jetzt mit einem Bleistift auf der Karte die wenigen Fakten, die Joe Pearson ihm mitgeteilt hatte. Später, wenn er von der Patientin mehr erfuhr, würde er diese Notizen ausradieren und die Karte mit Tinte ausfüllen. Immer noch schreibend fragte er das Mädchen: »Sie sind neu bei uns, wie?«
»Ziemlich neu, Doktor«, antwortete Vivian. »Ich bin seit vier Monaten in der Schwesternschule.«
Er bemerkte, daß sie eine sanfte, zwitschernde Stimme hatte. Hübsch war sie auch. Er fragte sich, ob schon einer der Praktikanten oder der Assistenzärzte mit ihr angebandelt habe. Oder sollten sich diese Dinge seit seinen eigenen Studienjahren geändert haben? Gelegentlich kam ihm der Verdacht, daß Praktikanten und Assistenten heutzutage zurückhaltender als früher waren. Bedauerlich. Falls es zutraf, ließen sie sich eine Menge entgehen. Laut sagte er: »Das war Dr. Pearson, unser Pathologe. Haben Sie ihn schon kennengelernt?«
»Ja«, sagte Vivian. »Mein Kurs wohnte einer Obduktion bei.«
»Oje, wie.« Er wollte sagen >gefiel<, aber änderte es in: »Wie fanden Sie es?«
Vivian überlegte. »Zunächst war es ein ziemlicher Schock, aber nachher machte es mir nicht so sehr viel aus.«
Er nickte verständnisvoll. Er war mit Schreiben fertig und steckte die Karte fort. Der heutige Tag war ruhiger als üblich gewesen. Er hatte es gern, wenn er eine Arbeit beenden konnte, ehe er sich der nächsten zuwandte. Er streckte die Hand nach der Krankengeschichte aus. »Danke«, und fügte hinzu: »Ich brauche die Papiere nur einen Augenblick, falls Sie warten wollen.«
»Gern, Doktor.« Vivian war es sehr willkommen, daß sie ein paar Minuten länger Ruhe von dem Betrieb auf der Station fand. Sie lehnte sich in dem Sessel zurück. Hier in diesem Zimmer mit der Klimaanlage war es kühl. Im Schwesternheim kannten sie diesen Luxus nicht.
Vivian beobachtete Dr. Dornberger, während er das Krankenblatt studierte. Er ist wahrscheinlich im gleichen Alter wie Dr. Pearson, dachte sie, aber er sieht doch ganz anders aus. Während der Pathologe ein rundes Gesicht mit einem kräftigen Kinn besaß, war Dr. Dornberger hager und eckig. Auch auf andere Weise stand seine Erscheinung mit der Mähne sorgfältig gekämmten und gescheitelten weißen Haares im Gegensatz zu Dr. Pearson. Sie bemerkte, daß seine Hände gepflegt, seine weiße Krankenhausjacke gut gebügelt und fleckenlos war.
Dornberger reichte ihr das Krankenblatt zurück. »Danke«, sagte er. »Es ist sehr freundlich, daß Sie es mir brachten.« Er hat ein gewisses Etwas, dachte Vivian. Sie hatte gehört, daß er bei seinen Patientinnen sehr beliebt sei. Das wunderte sie nicht.
»Ich nehme an, wir werden uns wieder einmal sehen.« Dornberger war aufgestanden und hatte ihr höflich die Tür geöffnet. »Viel Glück bei Ihrem Studium.«
Sie ging hinaus und hinterließ einen leichten Duft, wie Dornberger schien. Nicht zum erstenmal veranlaßte eine Begegnung mit einem jungen Mädchen ihn, über sich nachzudenken. Er kehrte zu seinem Drehstuhl zurück und ließ sich nachdenklich hineinsinken. Fast geistesabwesend zog er seine Pfeife heraus und begann sie zu stopfen.