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»Also weiter.« Pearson setzte sich wieder vor das Mikroskop, und McNeil kehrte an die andere Seite des Schreibtisches zurück.

Der Assistent schob einen Behälter mit Objektträgern vor Pearson, und während der Pathologe ihn öffnete, nahm McNeil sich ein neues Blatt mit Notizen vor. Während sie arbeiteten, kam Bannister leise in das Zimmer. Nach einem flüchtigen Blick auf die beiden begann er, hinter ihnen in einem Aktenschrank Papiere abzulegen.

»Der Fall befindet sich noch in Behandlung«, erklärte McNeil. »Die Probe kam vor fünf Tagen zu uns herunter, und sie warten oben auf unseren Befund.«

»Es wäre besser, wenn Sie mir diese Fälle zuerst vorlegten« sagte Pearson mürrisch, »sonst blöken sie da oben wieder über uns.«

McNeil war im Begriff zu antworten, daß er vor mehreren Wochen schon vorgeschlagen habe, das Arbeitsverfahren in diesem Sinne zu ändern, Pearson aber darauf bestanden hatte, alle Proben in der Reihenfolge zu untersuchen, wie sie in der Pathologie eintrafen. Der Assistenzarzt unterdrückte diese Bemerkung jedoch. Was geht es mich an, dachte er. Er erklärte: »Eine fünfundsechzigjährige Frau. Die Probe stammt von einer Hautwucherung. Äußerlich erschien sie wie ein Leberfleck. Die Frage lautet: Ist es ein bösartiges Melanom?«

Pearson schob den ersten Schnitt unter das Mikroskop und bewegte ihn hin und her. Dann stellte er das Mikroskop auf die stärkste Vergrößerung um und drehte am Okular. »Könnte sein.« Er nahm den zweiten Schnitt, dann zwei weitere. Danach lehnte er sich nachdrücklich zurück. »Andererseits besteht die Möglichkeit eines Naevus coeruleus. Was halten Sie davon?«

McNeil setzte sich vor das Mikroskop. Die Wichtigkeit dieses Falles war ihm klar. Ein bösartiges Melanom ist eine heimtückische, gefährliche Hautgeschwulst. Ihre Zellen konnten sich schnell und mörderisch im Körper verbreiten. Wenn es aus der kleinen bereits entfernten Probe eindeutig erkannt wurde, bedeutete es eine sofortige schwere Operation für die Patientin. Ein Naevus coeruleus war dagegen ein völlig harmloses Muttermal. Es konnte für den Rest ihres Lebens unbeachtet am Körper der Frau bleiben, ohne ihr zu schaden.

Aus seinen Studien wußte McNeil, daß bösartige Melanome nicht häufig waren, er wußte aber auch, daß ein Muttermal der Gattung Naevus coeruleus äußerst selten auftrat. Mathematisch gesehen bestand die Wahrscheinlichkeit, daß die vorliegende Geschwulst bösartig war. Aber hier ging es nicht um Mathematik, hier ging es um Pathologie in ihrer reinsten Form.

Wie er es gelernt hatte, verglich McNeil im Geist die Merkmale der beiden Geschwulstarten. Sie waren in bedrückender Weise ähnlich. Beide bestanden zum Teil aus Narben, zum Teil aus Zellgewebe und enthielten sehr viel Pigment. Ferner zeigten beide eine sehr klare Zellstruktur. McNeil war auch gelehrt worden, ehrlich zu sein. Nachdem er die Schnitte genau geprüft hatte, sagte er zu Pearson: »Ich weiß es nicht.« Er fügte hinzu: »Wie ist es mit früheren Fällen? Können wir zum Vergleich welche heraussuchen? «

»Es würde Jahre dauern, bis wir sie finden. Ich erinnere mich nicht mehr, wann ich den letzten Naevus coeruleus sah.« Pearson runzelte die Stirn. Seufzend sagte er: »Eines Tages müssen wir uns ein Krankheitsregister anlegen. Wenn wir dann auf zweifelhafte Fälle wie diesen stoßen, können wir die Vergleichsfälle heraussuchen.«

»Das sagen Sie schon seit fünf Jahren«, ließ sich Bannister trocken hinter ihnen vernehmen. Pearson fuhr herum: »Was machen Sie denn da?«

»Ich lege ab«, antwortete der erste Laborant kurz und bündig. »Eine Arbeit für Büropersonal - wenn wir ausreichend Arbeitskräfte hätten.«

Und wahrscheinlich würde sie dann besser verrichtet, dachte McNeil. Er wußte gut, daß die Abteilung zusätzliches Büropersonal brauchte und daß die verwendete Ablagemethode hoffnungslos veraltet war. Auch der Hinweis auf das Krankheitsregister hatte ihm wieder eine klaffende Lücke in ihrer Arbeitsorganisation vor Augen gehalten. Es gab heutzutage wenig gute Krankenhäuser, in deren pathologischer Abteilung dieses Register nicht geführt wurde. Manche nannten es Archiv für Gewebeschnitte, gleichgültig aber, wie es hieß, eine seiner Aufgaben war, bei der Lösung der Art Probleme zu helfen, wie jetzt eines vor ihnen lag.

Pearson studierte wieder die Schnitte. Wie viele Pathologen murmelte er vor sich hin, während er die vorliegenden Symptome registrierte und das Fehlen anderer vermerkte. McNeil hörte: ». ziemlich klein. keine Blutgerinnsel. kein abgestorbenes Gewebe. negativ, aber keine Anzeichen. Ja, ich bin sicher.« Pearson richtete sich auf, zog den letzten Objektträger aus dem Mikroskop, legte ihn in den Behälter zurück und schloß ihn. Er winkte dem Assistenzarzt zu schreiben und diktierte: »Diagnose: Naevus coeruleus.« Die Begnadigung für die Patientin - mit freundlichen Grüßen, die Pathologie.

Methodisch zählte Pearson die Gründe für seine Entscheidung noch einmal auf. Während er den Behälter mit den Schnitten vor den Assistenten schob, fügte er hinzu: »Am besten studieren Sie das noch einmal genau. Es ist ein Fall, den Sie nicht oft zu sehen bekommen.«

McNeil hatte keinen Zweifel, daß die Diagnose des alten Mannes zutreffend war. Das war eine Gelegenheit, bei der die Jahre der Erfahrung ihren Wert bewiesen, und er hatte gelernt, Pearsons Urteil auf dem Gebiet der pathologischen Anatomie zu respektieren. Aber wenn Sie nicht mehr hier sind, dachte er, während er den alten Mann ansah, dann wird hier ein Krankheitsregister benötigt und zwar dringend.

Sie untersuchten zwei weitere Fälle, beide ziemlich eindeutig, und dann schob Pearson den ersten Schnitt der nächsten Serie unter das Mikroskop. Er warf einen Blick durch das Okular, richtete sich auf und fuhr McNeil heftig an: »Holen Sie Bannister!«

»Ich bin noch hier«, erklärte Bannister gleichmütig.

Pearson fuhr herum. »Sehen Sie sich das an«, schnauzte er in seinem lautesten, herrischen Ton. »Wie oft muß ich erklären, wie ich die Schnitte gemacht haben will. Warum begreifen die Techniker in der Histologie das nicht? Sind sie taub oder einfach zu dumm?«

Der erste Laborant nahm den Schnitt und hielt ihn gegen das Licht. »Zu dick, was?«

»Natürlich ist der Schnitt zu dick.« Pearson griff nach einem weiteren Objektträger der gleichen Serie. »Sehen Sie sich das doch an. Wenn ich ein Stück Brot hätte, könnte ich das Fleisch abkratzen und es damit belegen.«

Bannister grinste. »Ich werde den Schneidapparat überprüfen. Wir haben schon lange Ärger damit.« Er deutete auf den Behälter mit den Schnitten. »Soll ich die da mitnehmen?«

»Nein. Ich muß mich eben damit begnügen.« Der alte Mann knurrte nur noch, seine Heftigkeit war verschwunden. »Aber Sie könnten die Arbeit in der Histologie besser überwachen.«

Bannister, jetzt auch gereizt, murmelte auf dem Wege zur Tür: »Vielleicht, wenn ich nicht so viel am Hals hätte.«

Pearson schrie hinter ihm her: »Schon gut, die Platte kenne ich schon.«

Als Bannister die Tür erreichte, ertönte ein leichtes Klopfen, und Charles Dornberger öffnete sie. Er fragte: »Darf ich hereinkommen, Joe?«

»Natürlich.« Pearson grinste. »Du kannst vielleicht sogar noch etwas lernen, Charlie.«