Der Geburtshelfer nickte McNeil freundlich zu und sagte dann beiläufig zu Pearson: »Wir hatten verabredet, daß ich heute morgen zu dir herunterkomme. Hattest du es vergessen?«
»Ja, hab' ich.« Pearson schob den Behälter mit den Objektträgern von sich. Er fragte den Assistenzarzt: »Wie viele Fälle liegen noch vor?«
McNeil zählte die noch nicht geprüften Behälter. »Acht.«
»Die machen wir später.«
Der Assistent schob seine Notizen über die abgeschlossenen Fälle zusammen.
Dornberger zog seine Pfeife und stopfte sie gelassen. Er sah sich in dem großen, kahlen Raum um und schauderte. »Bei euch ist es feucht, Joe. Jedesmal, wenn ich hier herunterkomme, habe ich Angst, mich zu erkälten«, sagte er.
Pearson ließ ein brummiges Lachen hören. Er antwortete: »Wir sprühen hier Grippeerreger aus. Jeden Morgen. Das hält uns Besucher vom Leib.« Er wartete, bis McNeil das Zimmer verlassen hatte, Dann fragte er: »Was gibt es denn?«
Dornberger vergeudete keine Zeit. Er sagte: »Ich bin eine Abordnung, Joe. Ich habe den Auftrag, taktvoll vorzugehen.« Er schob die Pfeife zwischen die Zähne und steckte seinen Tabaksbeutel in die Tasche.
Pearson blickte auf. »Was heißt das? Wieder mal Ärger?«
Ihre Blicke begegneten sich. Dornberger antwortete: »Das kommt darauf an.« Nach einer Pause fügte er hinzu: »Es sieht so aus, als ob du einen neuen Pathologen zur Unterstützung bekämst.«
Dornberger hatte einen Temperamentsausbruch erwartet, aber Pearson blieb merkwürdig ruhig. Nachdenklich fragte er: »Ob ich das will oder nicht, was?«
»Ja, Joe.« Dornbergers Ton ließ keinen Zweifel zu. Es hatte keinen Sinn, Umschweife zu machen. Er hatte seit der Besprechung vor einigen Tagen gründlich darüber nachgedacht.
»Vermutlich steckt O'Donnell dahinter.« Pearson sagte es mit einem verbitterten Unterton, aber immer noch ruhig. Wie immer zeigte er sich unberechenbar.
Dornberger antwortete: »Zum Teil, aber nicht ausschließlich.«
Wieder überraschend: »Und was soll ich deiner Meinung nach tun?« Es war die Frage eines Freundes an einen Freund.
Dornberger legte seine Pfeife unangezündet in einen Aschenbecher auf Pearsons Schreibtisch. Er dachte, ich bin froh, daß er es so aufnimmt. Es beweist, daß ich richtig handele. Ich kann ihm helfen, sich damit abzufinden, sich darauf einzustellen. Laut sagte er: »Ich glaube nicht, daß du eine Wahl hast, Joe. Du bist mit den pathologischen Befunden im Rückstand, oder nicht? Und mit ein paar anderen Dingen auch.«
Einen Augenblick fürchtete er, er sei zu weit gegangen. Das war ein gefährliches Gebiet. Er sah, wie Pearson sich aufrichtete, und wartete auf den Sturm, der ausbrechen mußte. Aber wieder geschah es nicht. Statt dessen sagte Pearson, zwar nachdrücklicher als zuvor, aber einsichtig: »Gewiß, ein paar Dinge müssen aufgeholt werden. Das gebe ich zu. Aber es liegt nichts vor, womit ich nicht allein fertig werden kann. Wenn ich nur die Zeit dazu fände.«
Er hat sich damit abgefunden, dachte Dornberger. Er wehrt sich zwar noch, aber er hat sich trotzdem damit abgefunden. Gleichmütig sagte er: »Nun, vielleicht findest du die Zeit - mit einem zweiten Pathologen.« Ebenso gleichmütig zog er aus der Brusttasche das Papier, das der Verwaltungsdirektor ihm gegeben hatte.
Pearson fragte: »Was ist das?«
»Nichts Endgültiges, Joe. Nur ein Name, den Harry Tomaselli erfahren hat. Anscheinend ein junger Mann, der vielleicht interessiert ist, hierherzukommen.«
Pearson nahm das einzelne Blatt. Er entgegnete unwirsch: »Offenbar haben sie keine Zeit verloren.«
Dornberger sagte leichthin: »Unser Verwaltungsdirektor ist ein aktiver Mann.«
Pearson überflog das Blatt. Laut las er: »Dr. David Coleman.« Darauf folgte eine Pause. Dann fügte der alte Mann bitter, niedergeschlagen und neidisch hinzu: »Einunddreißig Jahre alt.«
Es war zwanzig Minuten nach zwölf, und in der Kantine des Krankenhauses herrschte der lebhafteste Betrieb des Tages. Die meisten Ärzte, Schwestern und Krankenhausangestellten aßen um diese Zeit zu Mittag. An der Stelle, an der die Eintretenden sich ihr Tablett holten, ehe sie zur Ausgabe mit den Wärmtischen weitergingen, wo sie ihr Essen in Empfang nahmen, begann sich eine Schlange zu bilden.
Mrs. Straughan überwachte wie immer um diese Zeit den Betrieb und sorgte, daß von der Küche eine frische Schüssel gebracht wurde, sobald eine leer war, damit die Schlange sich schnell weiterbewegte. Heute standen Irish Stew, Hammelkoteletts und gekochter Heilbutt zur Auswahl. Die Küchenleiterin beobachtete, daß die Hammelkoteletts wenig begehrt waren. Sie beschloß, sie sofort selbst zu versuchen, um festzustellen, ob es dafür einen Grund gebe. Vielleicht war das Fleisch nicht so weich, wie es sein sollte. Dergleichen wurde den Späterkommenden in der Kantine von anderen, die bereits gegessen hatten, oft mitgeteilt. Mrs. Straughan bemerkte einen Teller auf einem Stoß, der einen Schmutzfleck aufwies. Sie trat schnell vor und nahm ihn fort. Tatsächlich, er trug noch Spuren der vorigen Mahlzeit. Wieder diese Geschirrspülmaschinen, dachte sie. Ihre Unzulänglichkeit verursachte ihr ständigen Ärger, und sie nahm sich vor, das Problem sehr bald wieder dem Verwaltungsdirektor vorzulegen.
Von den Tischen, die für den Ärztestab reserviert waren, erklang lautes Gelächter. Es kam von einer Gruppe, deren Mittelpunkt Dr. Ralph Bell, der Röntgenarzt, bildete.
Gill Bartlett, der mit seinem Tablett von dem Serviertisch kam, stellte es ab und ging mit ausgestreckter Hand auf ihn zu. »Herzlichen Glückwunsch, Dingdong«, sagte er. »Ich habe es gerade gehört.«
»Was gehört?« fragte Lewis Toynbee, der Internist, der gleichfalls mit einem Tablett hinter ihm herkam. Als Bell Bartlett dann strahlend eine Zigarre reichte, rief Toynbee aus: »Mein Gott, schon wieder!«
»Natürlich schon wieder. Warum nicht?« Der Röntgenarzt hielt auch ihm eine Zigarre hin. »Kommen Sie her, Lewis. Jetzt sind es genau acht Bells.«
»Acht? Seit wann denn?«
Bell antwortete gelassen: »Seit heute morgen. Noch ein Junge für die Baseballmannschaft.«
Bill Rufiis warf dazwischen: »Seien Sie nicht so kritisch, Lewis. Er tut doch, was er kann. Schließlich ist er erst seit acht Jahren verheiratet.« Lewis Toynbee streckte seine Hand aus. »Drücken Sie sie nicht zu fest, Dingdong. Ich fürchte, Ihre Fruchtbarkeit könnte sich dabei abnutzen.«
»Nur keinen Neid«, entgegnete Bell gutmütig. Er hatte das alles früher schon durchgemacht.
Lucy Grainger fragte: »Und wie geht es Ihrer Frau?«
»Danke, sehr gut«, antwortete Bell.
»Wie fühlt man sich eigentlich als Feind der Liebe?« fragte Harvey Chandler, der Chef der inneren Abteilung, von weiter unten am Tisch.
Bell antwortete: »Ich bin kein Feind der Liebe. Bei uns zu Haus wird jedes Jahr einmal verkehrt. Ich bin nur ein todsicherer Schütze.«
Lucy Grainger stimmte in das ausbrechende Gelächter ein. Dann sagte sie: »Ralph, ich schicke Ihnen heute nachmittag eine Patientin. Sie heißt Vivian Loburton und ist eine unserer Lernschwestern.«
Das Gelächter war verklungen. »Was soll ich denn an ihr röntgen?« fragte Bell.
»Ich möchte ein paar Aufnahmen von ihrem linken Knie«, antwortete Lucy. Dann fügte sie hinzu: »Sie hat dort irgendeine Geschwulst, die mir gar nicht gefällt.«
Charles Dornberger rief Kent O' Donnell von seinem Zimmer aus an, um ihm über den Verlauf seines Gesprächs mit Pearson zu berichten. Zum Schluß sagte er dem Chef der Chirurgie: »Ich habe Joe über den Mann informiert, mit dem schon korrespondiert wurde.«
»Wie hat er es aufgenommen?« fragte O'Donnell.
»Ich möchte nicht behaupten, daß er begeistert war, aber ich glaube, wenn Sie wollen, daß der Mann - wie war sein Name noch? Coleman? -, wenn Sie also wollen, daß er hierherkommt, um sich vorzustellen, wird Joe keine Schwierigkeiten machen. Ich würde aber empfehlen, Joe über alles zu informieren, was Sie von jetzt an unternehmen. «