Выбрать главу

Hinsichtlich meiner Arbeit an dem Krankenhaus besteht ein Punkt, der meiner Ansicht nach nicht völlig geklärt wurde. Ich weise hier in der Hoffnung darauf hin, daß Sie vielleicht in der Lage sind, mit Dr. Pearson noch vor meiner Ankunft darüber zu sprechen.

Ich bin der Ansicht, daß es sowohl für das Krankenhaus als auch für mich selbst vorteilhaft ist, wenn ich einen klar festgelegten Verantwortungsbereich übernehme, in dem ich im Rahmen angemessener Grenzen sowohl hinsichtlich der täglich anfallenden Arbeit als auch bei der Durchführung von Umstellungen in der Organisation und der Technik, die selbstverständlich von Zeit zu Zeit immer notwendig sind, freie Hand habe.

Meine eigenen Wünsche in dieser Hinsicht sind, innerhalb der pathologischen Abteilung die unmittelbare Verantwortung für die Serologie, die Himatologie und Biochemie zu übernehmen, wenn ich auch selbstverständlich Dr. Pearson seinen Wünschen entsprechend in der pathologischen Anatomie und auf anderen Gebieten jederzeit zur Verfügung stehen würde. Diesen Punkt schneide ich, wie gesagt, in der Hoffnung an, daß Sie und Dr. Pearson vor dem 15. August darüber entscheiden können. Seien Sie bitte versichert, daß ich jederzeit bemüht sein werde, in vollem Umfang mit Dr. Pearson zusammenzuarbeiten und dem Three Counties Hospital nach besten Kräften zu dienen.

Ihr sehr ergebener Dr. David Coleman.

Coleman las den sauber getippten Brief noch einmal durch, schob ihn in einen Umschlag und klebte ihn zu. Dann setzte er sich an seine Reisemaschine und tippte einen gleichartigen, wenn auch etwas kürzeren Brief an Dr. Pearson.

David Coleman verließ das möblierte Apartment, das er mit kurzfristigem Mietvertrag für die wenigen Monate, die er in Boston war, gemietet hatte, und brachte beide Briefe zum Briefkasten. Er dachte darüber nach, was er geschrieben hatte. Er war sich immer noch nicht sicher, warum er dem Three Counties Hospital gegenüber den sieben anderen Stellungen, die ihm in den letzten Wochen angeboten worden waren, den Vorzug gegeben hatte. Gewiß wurde sie nicht am besten bezahlt; vom finanziellen Standpunkt aus gesehen, stand sie auf der unteren Hälfte der Liste. Three Counties Hospital war auch kein namhaftes Krankenhaus. Zwei andere medizinische Institute, die ihm ebenfalls ein Angebot gemacht hatten, besaßen internationalen Ruf. Dagegen war das Three Counties Hospital über seine unmittelbare Umgebung hinaus kaum bekannt.

Warum also? War es, weil er fürchtete, in einem größeren Institut unterzugehen, dort nicht zur Geltung zu kommen? Kaum, denn seine bisherige Laufbahn zeigte schon, daß er sich in dieser Art Umgebung durchzusetzen wußte. War es, weil er das Gefühl hatte, daß er an einem kleineren Krankenhaus größere Freiheit zu Forschungsarbeiten besitzen würde? Er hoffte zuversichtlich, Gelegenheit zur Forschung zu finden, aber wenn das sein dringlichster Wunsch gewesen wäre, hätte er ein Forschungsinstitut wählen können - seine Liste hatte eines enthalten - und alles andere lassen. War es der Reiz der Aufgabe, die ihn zu seiner Wahl veranlaßte? Vielleicht. In der pathologischen Abteilung des Three Counties Hospitals war zweifellos vieles unzulänglich. Das hatte er in den zwei kurzen Tagen erkannt, die er in der vorigen Woche dort zugebracht hatte, als er der telefonischen Einladung des Verwaltungsdirektors zu einem Besuch des Krankenhauses folgte, um sich dort umzusehen. Und die Zusammenarbeit mit Dr. Pearson würde nicht leicht werden. Er hatte die Ablehnung des alten Mannes gespürt, als er ihn kennenlernte, und der Verwaltungsdirektor hatte auf Colemans Fragen zugegeben, daß Pearson in dem Ruf stand, es sei schwierig, mit ihm auszukommen.

War es also die Herausforderung der Aufgabe? War das wirklich der Grund, weshalb er sich für das Three Counties Hospital entschied? Wie? Oder lag der eigentliche Grund woanders? Stand noch etwas ganz anderes dahinter? War es Selbstkasteiung? War es immer noch das alte Gespenst, das ihn schon so lange verfolgte?

David Coleman hatte schon lange den Verdacht, sein Hochmut sei sein stärkster Charakterzug. Und darin sah er den Fehler, den er am meisten fürchtete und haßte. Seiner eigenen Ansicht nach war er nie in der Lage gewesen, seinen Hochmut zu besiegen. Er unterdrückte ihn, lehnte ihn ab, aber immer wieder brach er durch - dem Anschein nach stark und unzerstörbar.

Zum größten Teil beruhte sein Hochmut auf dem Bewußtsein seiner geistigen Überlegenheit. In Gesellschaft fühlte er sich häufig über die anderen geistig weit erhaben, im allgemeinen, weil er es tatsächlich war. Und intellektuell hatte ihm alles, was er bisher in seinem Leben getan hatte, bewiesen, daß er recht hatte.

Solange sich David Coleman erinnern konnte, war es ihm leicht gefallen, Wissen zu erwerben. Lernen war so einfach wie atmen gewesen. Auf der Volksschule, der Oberschule, dem College, der medizinischen Fakultät hatte er die anderen weit überragt und die höchsten Auszeichnungen fast als Selbstverständlichkeit hingenommen. Sein Verstand war gleichzeitig aufnahmefähig, analytisch und begreifend. Und hochmütig.

In jungen Jahren auf der Oberschule war ihm sein Hochmut zum erstenmal bewußt geworden. Wie jeder, der von Natur aus brillant begabt ist, betrachteten seine Mitschüler ihn zunächst mit Argwohn. Als er dann nicht versuchte, das Bewußtsein seiner geistigen Überlegenheit zu verbergen, verwandelte sich der Argwohn in Abneigung und schließlich in Haß.

Das hatte er damals gespürt, sich aber nicht bewußt darum gekümmert, bis der Schulleiter, der selbst ein brillanter Geist und verständiger Mann war, ihn eines Tages zur Seite nahm. Noch heute erinnerte sich David Coleman genau daran, was er ihm gesagt hatte.

»Ich glaube, du bist erwachsen genug, um mich zu verstehen. Darum spreche ich es offen aus. Du hast in diesen vier Mauern außer mir nicht einen einzigen Freund.«

Zunächst hatte er das nicht geglaubt. Dann aber, vor allem weil er im höchsten Grade ehrlich war, hatte er sich selbst zugegeben, daß es stimmte.

Weiter hatte der Schulleiter gesagt: »Du hast einen brillanten Kopf. Das weißt du, und es gibt auch keinen Grund, weshalb du es nicht wissen solltest. In der Zukunft kannst du alles werden, was du willst. Du besitzt einen bemerkenswert überlegenen Verstand, Coleman, nach meinen Erfahrungen möchte ich sagen, einen einzigartigen. Doch ich warne dich: wenn du mit anderen Menschen zusammen leben willst, mußt du dich manchmal weniger überlegen zeigen, als du bist.«

Es war gewagt, das einem jungen, beeinflußbaren Menschen zu sagen. Aber der Lehrer hatte seinen Schüler nicht unterschätzt. Coleman ging mit dem Rat fort, verdaute ihn, analysierte ihn und endete damit, daß er sich selbst verachtete.

Von da an arbeitete er noch angestrengter als bisher - um sich nach einem überlegten Programm, das an Selbstkasteiung grenzte, zu rehabilitieren. Er fing mit dem Sport an. Solange David Coleman zurückdenken konnte, hatte er eine Abneigung gegen Sport jeder Art empfunden. Bisher hatte er sich auf der Schule nie am Sport beteiligt und neigte dazu, Leute, die zu Sportveranstaltungen gingen und sich dort hinreißen ließen, begeistert zu jubeln, für ziemlich stumpfsinnige Figuren zu halten. Von da an beteiligte er sich aber selbst aktiv - Rugby im Winter, Baseball im Sommer. Trotz seiner ursprünglichen Einstellung wurde er ein Könner. Auf dem College fand er sich in den ersten Mannschaften wieder. Und wenn er nicht selbst mitspielte, nahm er auf der Oberschule und auf dem College an jedem Spiel als Zuschauer teil und jubelte so laut wie die anderen. Allerdings war er nie fähig, sein Gefühl der Gleichgültigkeit beim Spiel ganz zu überwinden, wenn er es auch sorgfältig für sich behielt. Und er jubelte nie ohne das innere Unbehagen, daß er sich kindisch aufführe. Aus diesem Grund glaubte er auch, daß er seinen Hochmut zwar gelegentlich, aber nie völlig überwunden habe.