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Für Dr. Ralf Bell, den leitenden Röntgenarzt - >Dingdong< nannten ihn die meisten Kollegen am Krankenhaus - bedeutete die Untersuchung nichts anderes als eine weitere Durchleuchtung der Verdauungsorgane, die sich von hunderten anderer in nichts unterschied. Diesmal entschloß er sich aber, >ja< zu tippen und spielte damit mit sich selbst ein Spiel, wie er es manchmal tat. Dieser Patient war der Typ für ein Geschwür. Durch seine Hornbrille mit den dicken Gläsern hatte Bell seinen Patienten unauffällig beobachtet. Der sieht wie einer aus, der sich Sorgen macht, dachte Bell; offensichtlich kocht er jetzt schon. Der Röntgenarzt rückte Bladwick hinter dem Leuchtschirm in die richtige Stellung und reichte ihm ein Glas mit Bariumbrei. »Wenn ich es Ihnen sage, trinken Sie das«, erklärte er.

Als er bereit war, befahl er: »Jetzt.« Bladwick leerte das Glas. Auf dem Leuchtschirm beobachtete Bell den Weg des Bariums, wie es zuerst durch die Speiseröhre, dann in den Magen und von dort in den Zwölffingerdarm lief. Durch den undurchlässigen Brei abgehoben, ließen die Röntgenstrahlen die Umrisse jedes Organs klar erkennen, und bei verschiedenen Stadien drückte Bell auf einen Knopf und hielt das Röntgenbild auf einem Film fest. Nun preßte er auf den Leib des Patienten, um das Barium umherzubewegen. Dann konnte er es sehen: einen Krater im Zwölffingerdarm. Klar und unverkennbar ein Geschwür. Die Wette habe ich wieder mal gewonnen, dachte er. Laut sagte er: »Das ist alles, Mr. Bladwick. Ich danke Ihnen.«

»Nun, Doc, wie lautet Ihr Urteil? Bleibe ich am Leben?«

»Sie bleiben am Leben.« Die meisten wollten wissen, was er auf dem Bildschirm sah. »Zauberspiegel an der Wand, wer ist der Gesündeste im ganzen Land?« Es war allerdings nicht seine Aufgabe, diese Auskunft zu geben. »Ihr behandelnder Arzt erhält morgen die Filme. Ich nehme an, er wird mit Ihnen sprechen.« Pech, mein Freund, dachte er, ich hoffe, Sie genießen gern viel Ruhe und eine Diät aus Milch und weichen Eiern.

Zweihundert Meter vom Hauptgebäude des Krankenhauses entfernt, in einem vernachlässigten Gebäude, das früher einmal eine Möbelfabrik gewesen war und jetzt den Schwestern als Wohnheim diente, hatte die Lernschwester Vivian Loburton Schwierigkeiten mit einem Reißverschluß, der sich nicht reißen lassen wollte.

»Verflucht und zugenäht.« Sie redete den Reißverschluß mit den Worten an, die ihr Vater gern gebrauchte, der durch Holzfällen ein ansehnliches Vermögen erworben hatte, aber darin keinen Grund sah, zu Hause anders zu reden ab in den Wäldern.

Die neunzehnjährige Vivian zeigte manchmal in einem interessanten Kontrast gleichzeitig die Robustheit ihres Vaters und die angeborene neuenglische Zartheit ihrer Mutter, die auch durch das enge Zusammenleben mit den Holzfällern Oregons nicht beeinträchtigt worden war. Während der ersten drei Monate ihrer Ausbildung als Krankenschwester hatte Vivian in ihren Reaktionen auf das Krankenhaus und die Krankenpflege bereits manche Züge ihrer beiden Eltern an sich entdeckt. Gleichzeitig und in gleicher Weise war sie von Ehrfurcht ergriffen und fasziniert, abgestoßen und angewidert. Sie vermutete, daß die erste nahe Begegnung mit Krankheit und Leiden für einen Neuling immer mit einem Schock verbunden sei, aber diese Erkenntnis half nicht viel, wenn sich einem der Magen umdrehen wollte, und es erforderte die ganze Willenskraft, die man besaß, sich nicht abzuwenden und davonzulaufen.

Nach Augenblicken wie diesen fühlte sie die Notwendigkeit eines Tapetenwechsels, eines reinigenden Gegenmittels. Und in gewissem Umfang hatte sie das in einer alten Liebe gefunden: in der Musik. Überraschenderweise besaß Burlington für eine Stadt seiner Größe ein ausgezeichnetes Symphonieorchester, und nachdem Vivian das entdeckt hatte, war sie eine seiner Verehrerinnen geworden. Sie beobachtete, daß der Wechsel im Tempo, die Wohltat guter Musik ihr halfen, fest und ihrer selbst sicher zu werden. Sie bedauerte es, als die Konzerte durch die Sommerpause unterbrochen wurden, und in letzter Zeit hatte es Augenblicke gegeben, in denen sie das Bedürfnis nach etwas empfand, das an deren Stelle treten konnte.

Allerdings war im Augenblick keine Zeit für abschweifende, seltsame Gedanken. Die Pause zwischen dem Vormittagsunterricht und dem Dienstantritt in einem Krankensaal war kurz genug. Und jetzt dieser Reißverschluß!... Sie zerrte wieder, und plötzlich faßten die Zähne, der Reißverschluß schloß sich. Erleichtert lief sie zur Tür, blieb dann stehen, um sich über das Gesicht zu wischen. Himmel, war es heiß. Diese Anstrengung hatte sie in idiotisches Schwitzen versetzt.

So verging dieser Vormittag wie alle anderen Vormittage im ganzen Krankenhaus. In den Kliniken, den Säuglingsstationen, Laboratorien, Operationsräumen; in der Psychiatrie, der Kinderabteilung, der Hautklinik; in der Orthopädie, der Augenklinik, der Frauenklinik, der Urologie, in den Krankensälen der Fürsorge und den Pavillons der Privatpatienten; in den anderen Abteilungen - Verwaltung, Buchhaltung, Einkauf, Haushalt; in den Wartezimmern, Korridoren, Aufzügen. Durch die fünf Stockwerke, das Souterrain und den Keller des Three Counties Hospitals fluteten und ebbten die Wogen und Strömungen der Menschlichkeit und der Medizin.

Es war elf Uhr am fünfzehnten Juli.

II

Zwei Blocks vom Three Counties Hospital entfernt schlug die Uhr vom Turm der Erlöserkirche die volle Stunde, als Kent O'Donnell von der chirurgischen Abteilung zur Verwaltung hinunterging. Die Töne der Glocke, seit eh und je durch einen Fehler bei ihrem lange zurückliegenden Guß verstimmt, drangen durch ein offenes Fenster ins Treppenhaus. Automatisch verglich ODonnell die Zeit auf seiner Armbanduhr und wich einer Gruppe von Praktikanten aus, die eilig an ihm vorbei die Treppe für Angestellte des Krankenhauses heraufdrängten. Ihre Schritte dröhnten laut auf den eisernen Stufen. Die Praktikanten verlangsamten ihr Tempo etwas, als sie den Präsidenten des medizinischen Ausschusses sahen, und grüßten mit einem respektvollen »Guten Morgen, Doktor«, als sie an ihm vorbeikamen. Im Gang auf der zweiten Etage blieb O'Donnell stehen, um eine Schwester mit einem Rollstuhl vorbeizulassen. In ihm saß ein etwa zehnjähriges Mädchen mit einem Verband über einem Auge. Neben ihr ging, schützend hinuntergebeugt, eine Frau, offensichtlich die Mutter.

Die Schwester, der er zulächelte, obwohl er sie nicht wiedererkannte, taxierte ihn verstohlen. Trotz seiner Anfang Vierzig drehten Frauen sich immer noch nach O'Donnell um. Er hatte sich die Form erhalten, dank der er in der Rugbymannschaft seines Colleges ein geschätzter Quarterback gewesen war, seine große, aufrechte Gestalt, mit kräftigen, breiten Schultern und muskulösen Armen. Selbst heute noch hatte er die Eigenart, die Schultern zu heben, wenn er sich bereit machte, eine schwierige Aufgabe anzupacken oder eine Entscheidung zu treffen, als ob er sich unwillkürlich darauf vorbereite, den Angriff eines wild entschlossenen Stürmers abzuwehren. Doch trotz seines Gewichts, vorwiegend Muskeln und Knochen mit kaum einem Pfund überflüssigen Fetts, bewegte er sich leichtfüßig, und regelmäßiger Sport - Tennis im Sommer und Skilaufen im Winter - hatten ihn gesund und elastisch erhalten.