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Während sich David Coleman auf der Fahrt durch die Außenbezirke der Stadt nach allen Seiten umsah, empfand er fast so etwas wie Aufregung über das, was vor ihm lag. Das war ungewöhnlich, weil er meistens alles, was kam, mit sachlicher Nüchternheit hinnahm. Aber schließlich ging es um seine erste Stellung im Ärztestab eines Krankenhauses. Er sagte sich: Über eine ganz allgemein menschliche Regung braucht man sich nicht zu schämen, mein Freund. Dann lächelte er innerlich über diese stumme Selbstkritik. Alte Gewohnheiten im Denken sind schwer abzulegen, dachte er.

Er fragte sich, was der neben ihm sitzende O'Donnell wohl für ein Mann war. Über den Chef der Chirurgie am Three Counties Hospital hatte er nur Gutes gehört. Wie kommt es, wunderte er sich, daß ein Mann mit O'Donnells Ausbildung und Qualifikation sich eine Stadt wie Burlington aussucht? Besaß auch er hintergründige Motive? Oder folgte er anderen Überlegungen? Vielleicht gefiel es ihm hier einfach? Es mußte auch Menschen geben, vermutete Coleman, deren Wünsche gradlinig und unkompliziert waren.

O'Donnell bog aus, um einen Lastzug zu überholen. Dann sagte er: »Ich würde Ihnen gern einiges sagen, wenn ich darf.«

Coleman antwortete höflich: »Aber bitte, gern.«

»Wir haben in den letzten Jahren im Three Counties Hospital eine Reihe von Veränderungen vorgenommen.« O'Donnell sprach langsam, überlegte seine Worte. »Harry Tomaselli sagte mir, daß Sie schon einiges darüber gehört haben. Auch über unsere Pläne.«

Coleman lächelte. »Ja, das stimmt.«

O'Donnell drückte auf seine Hupe, und ein Wagen vor ihnen wich zur Seite. Er sagte: »Die Tatsache, daß Sie zu uns kommen, ist für uns ein wichtiger Schritt, und ich kann mir vorstellen, daß sich daraus Änderungen ergeben mögen, die Sie selbst wünschen werden, wenn Sie sich bei uns eingelebt haben.«

Coleman dachte an die pathologische Abteilung des Krankenhauses, wie er sie während seines kurzen Besuches gesehen hatte. »Ja«, antwortete er, »davon bin ich überzeugt.«

O'Donnell schwieg. Dann fuhr er noch behutsamer fort: »Wenn es irgend möglich war, versuchten wir, Veränderungen friedlich herbeizuführen. Manchmal war das nicht möglich. Ich gehöre nicht zu den Leuten, die bereit sind, nur um des Friedens willen ein Prinzip zu opfern.« Er sah Coleman von der Seite an. »Ich möchte, daß Sie in diesem Punkt klarsehen.«

Coleman nickte, antwortete aber nicht.

O'Donnell fuhr fort: »Trotzdem würde ich Ihnen empfehlen, behutsam vorzugehen, - soweit wie es möglich ist.« Er lächelte. »Tun Sie alles, was Sie können, durch Überredung, und sparen Sie das schwere Geschütz für Dinge auf, die wirklich wichtig sind.«

Unverbindlich antwortete Coleman: »Ich verstehe.« Er war sich nicht sicher, was O'Donnells Worte bedeuteten. Er mußte ihn erst besser kennen, um das entscheiden zu können. Aber war sein Eindruck von O'Donnell falsch gewesen? War der Chef der Chirurgie am Ende doch ein Leisetreter? Wurde ihm hier und jetzt bei seiner Ankunft schon gesagt, den Kahn nicht zum Schaukeln zu bringen? Wenn das der Fall war, so würden sie bald merken, daß sie an den Falschen geraten waren. David Coleman nahm sich vor, keinen langfristigen Mietvertrag für das Apartment, das er in Burlington etwa fand, abzuschließen.

O'Donnell fragte sich jetzt, ob es klug gewesen war, das auszusprechen. Sie hatten das Glück gehabt, diesen Coleman zu bekommen, und er wünschte nicht, ihm von Anfang an Zügel anzulegen. Aber die ganze Zeit hatte das Problem Joe Pearson und Pearsons bekannter Einfluß auf Eustace Swayne O'Donnells Gedanken beschäftigt. Soweit er konnte, wollte O'Donnell Orden Brown gegenüber loyal bleiben. Bisher hatte der Ausschußvorsitzende vieles getan, um den Chef der Chirurgie zu unterstützen. O'Donnell wußte, daß Brown Swaynes Viertelmillion Dollars haben wollte, und natürlich brauchte das Krankenhaus sie dringend. Und wenn das bedeutete, Joe Pearson etwas nachzugeben, war O'Donnell dazu bereit -innerhalb vernünftiger Grenzen.

Aber wo hörte die Krankenhauspolitik auf, und wo begann O'Donnells Verantwortung als Arzt? Das war die Frage, die ihm keine Ruhe ließ. Vielleicht mußte er eines Tages entscheiden, wo die Grenzlinie lag. Spielte er selbst jetzt in der Politik mit? O'Donnell vermutete es. Aus welchem anderen Grund hätte er sich sonst gerade in dieser Weise Dr. Coleman gegenüber geäußert? Macht korrumpiert, dachte er, dem kann man nicht entgehen, gleichgültig, wer man ist. Er überlegte, ob er über dieses Thema noch weiter mit Coleman sprechen und den jüngeren Mann vielleicht in sein Vertrauen ziehen solle. Dann entschied er sich dagegen. Coleman war schließlich ein Neuling, und O'Donnell war sich klar bewußt, daß er noch nicht hinter diese kühlen, grauen Augen gedrungen war.

Sie erreichten jetzt das Stadtzentrum. Die Straßen Burlingtons waren heiß und staubig, die Bürgersteige flimmerten, und die schwarz geteerte Straßendecke war von der Hitze aufgeweicht. Er lenkte den Buick in den Vorhof des Roosevelt Hotels. Ein Hausdiener öffnete die Wagentür und begann, Colemans Koffer hinten herauszuheben.

O'Donnell fragte: »Soll ich mit Ihnen hineinkommen, um mich zu vergewissern, daß alles in Ordnung ist?«

Coleman, der schon ausgestiegen war, antwortete: »Das ist wirklich nicht nötig.« Wieder eine ruhige, aber unmißverständliche Feststellung.

O'Donnell beugte sich über den Sitz. »Nun gut. Wir erwarten Sie also morgen. Viel Glück.«

»Danke.«

Der Hoteldiener warf die Tür zu, und O'Donnell lenkte seinen Wagen in den Stadtverkehr zurück. Er blickte auf seine Uhr. Es war zwei. Er entschied sich, zuerst in seine Privatsprechstunde und später in das Krankenhaus zu fahren.

Elizabeth Alexander saß auf der lederbespannten Bank vor dem Labor für ambulante Patienten des Three Counties Hospitals. Sie fragte sich, warum die Wände des Ganges wohl in zwei verschiedenen Brauntönen gestrichen worden waren, statt in helleren und freundlicheren Farben. Er lag ohnehin in dem düsteren Teil des Krankenhauses. Ein wenig Gelb oder auch ein helles Grün hätte diesen Gang viel freundlicher gemacht.

Solange sie sich zurückerinnern konnte, hatte Elizabeth helle Farben geliebt. Sie erinnerte sich daran, wie sie als kleines Mädchen die ersten Vorhänge für ihr eigenes Zimmer zu Hause genäht hatte. Sie waren aus lichtblauem Chintz mit einem Muster aus eingewebten Sternen und Monden gewesen. Heute war sie der Meinung, daß sie die Vorhänge recht schlecht genäht hatte, aber damals fand sie sie großartig. Um sie aufzuhängen, ging sie damals in den Laden ihres Vaters hinunter und hatte ihre Freude daran, die Dinge zusammenzusuchen, die sie dazu brauchte. Eine Vorhangstange in der richtigen Länge, Ringe und Beschläge, Schrauben und einen Schraubenzieher. Sie erinnerte sich, wie ihr Vater zwischen den anderen Metallwaren nach dem suchte, was sie wünschte. Im Laden war alles in hohen Stapeln unordentlich übereinandergeschichtet, so daß er meistens lange nach allem suchen mußte, was seine Kunden verlangten.

Das war vor langem in New Richmond in Indiana gewesen, zwei Jahre, ehe ihr Vater bei einem Unfall ums Leben gekommen war. Oder waren es drei? Es fiel einem schwer, sich genau zu erinnern; die Zeit verging so schnell. Sie wußte noch, daß es sechs Monate vor dem Tod ihres Vaters gewesen war, als sie John zum erstenmal traf. In gewisser Weise hatte auch das mit Farben zu tun. Er war in den Ferien von der Oberschule und kam in das Geschäft, um rote Farbe zu kaufen. Damals half Elizabeth schon im Laden mit, und sie hatte ihm Rot ausgeredet und statt dessen Grün verkauft.

Oder war es umgekehrt gewesen? Auch das war jetzt schon verschwommen. Sie wußte jedoch, daß sie sich beim ersten Anblick in John verliebte. Vielleicht wollte sie ihn nur länger im Geschäft festhalten, als sie ihm vorschlug, eine andere Farbe zu nehmen. In der Erinnerung schien es ihr, daß es seitdem niemals einen Zweifel gegeben hatte, welche Gefühle sie füreinander hegten. Ihre Jugendliebe überdauerte auch Johns Aufstieg von der Oberschule zum College, und sechs Jahre nach ihrer ersten Begegnung heirateten sie. Seltsamerweise drängte sie niemand, damit zu warten, obwohl keiner von ihnen Geld hatte und John mit einem Stipendium das College besuchte. Alle, die sie kannten, schienen ihre Heirat als natürlich und selbstverständlich anzusehen.