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Manchen Leuten wäre ihr erstes gemeinsames Jahr vielleicht schwierig erschienen. Für John und Elizabeth war es eine strahlende, glückliche Zeit. Im Jahre vorher hatte Elizabeth eine Abendschule besucht, und in Indianapolis, wo John auf dem College studierte, arbeitete sie als Stenotypistin und verdiente den Lebensunterhalt für sie beide.

In diesem Jahr diskutierten sie ernsthaft über Johns Zukunft; ob er sein Ziel höherstecken und versuchen solle, Medizin zu studieren, oder sich mit der kürzeren Ausbildung als medizinischer Laborant begnügen. Elizabeth gab dem Medizinstudium den Vorzug, obwohl es bedeutete, daß es noch einige Jahre dauern würde, bis John zu verdienen anfing. Aber sie war bereit gewesen, weiterzuarbeiten. John war sich dagegen nicht so sicher. Schon immer hatte er sich gewünscht, Arzt zu werden, und vom College konnte er gute Zeugnisse vorlegen, aber er wartete ungeduldig darauf, für ihren Lebensunterhalt zu sorgen. Als Elizabeth dann feststellte, daß sie in anderen Umständen war, war für John die Frage entschieden. Gegen den Protest seiner Frau meldete er sich bei einer medizinischtechnischen Fachschule an, und sie zogen nach Chikago.

Dort bekamen sie ihr Baby und nannten es Pamela. Vier Wochen später starb das Kind an einer Bronchitis, und eine Zeitlang schien Elizabeth die Welt über ihr zusammengestürzt zu sein. Trotz ihrer Festigkeit und ihrer Vernunft brach sie zusammen und nahm an nichts mehr Anteil. John tat alles, was er konnte. Nie war er freundlicher oder rücksichtsvoller gewesen, aber es half nichts. Sie spürte, daß sie fortgehen mußte, und kehrte zu ihrer Mutter nach New Richmond zurück. Aber nach einer Woche empfand sie Sehnsucht nach John und ging wieder zu ihm nach Chikago. Von diesem Tag an gewann sie langsam, aber sicher ihr normales Selbst wieder. Sechs Wochen vor Johns Abschlußexamen wußte sie, daß sie wieder ein Kind erwartete. Das war das Erlebnis, das über ihre endgültige Erholung entschied. Jetzt fühlte sie sich gesund, hatte ihre alte Fröhlichkeit wiedergewonnen, und bei dem Gedanken an das ungeborene Kind in ihr stieg ihre freudige Erwartung. In Burlington hatten sie eine kleine, aber freundliche Wohnung gefunden. Die Miete war billig, aus ihren vorsorglichen Ersparnissen hatten sie die Möbel anbezahlt und konnten die monatlichen Raten aus Johns Gehalt am Krankenhaus decken. Im Augenblick ist alles sehr schön und gut, dachte Elizabeth, außer diesem abscheulichen Braun an den Korridorwänden.

Die Tür des Labors wurde geöffnet, und die Frau, die vor Elizabeth gewartet hatte, kam heraus. Eine medizinische Assistentin im weißen Kittel stand hinter ihr. Die Assistentin sah auf ihre Notiztafel. »Mrs. Alexander?«

»Das bin ich.« Elizabeth stand auf.

»Wollen Sie bitte hereinkommen?«

Sie folgte dem Mädchen durch die Tür.

»Setzen Sie sich bitte, Mrs. Alexander. Es dauert nicht lange.«

An ihrem Schreibtisch studierte die Assistentin das Formular, das Dr. Dornberger ausgefüllt hatte. »Rh-Faktor feststellen und Sensibilitätstest. Gut. Legen Sie bitte Ihren Arm hierher, und ballen Sie die Faust.« Sie ergriff Elizabeths Handgelenk, wischte mit einem antiseptischen Mittel über ihren Arm und schlang dann geschickt einen Gummischlauch um den Oberarm. Von einem Tablett nahm sie eine Spritze, öffnete ein Päckchen mit einer sterilisierten Nadel, die sie auf die Spritze steckte. Schnell wählte sie eine Vene an Elizabeths Arm, führte mit einem kurzen, scharfen Stich die Nadel ein und zog den Kolben der Spritze zurück. Sie zapfte so viel Blut, bis die Skala auf der Spritze sieben Kubikzentimeter anzeigte, zog rasch die Nadel aus der Vene und drückte einen Baumwolltupfer auf den Einstich. Das Ganze hatte weniger als fünfzehn Sekunden gedauert.

»Mir scheint, das haben Sie schon öfter getan«, sagte Elizabeth. Das Mädchen lächelte. »Sicher schon ein paar hundert Male.« Elizabeth sah zu, während die Assistentin ein Reagenzglas beschriftete und die Blutprobe hineinfüllte. Als sie damit fertig war, stellte sie das Reagenzglas auf ein Gestell. Sie verkündete: »Das ist alles, Mrs. Alexander.«

Elizabeth deutete auf das Glas. »Was geschieht jetzt damit?«

»Es kommt in das serologische Labor. Einer der Techniker dort wird die Untersuchung durchführen.« Elizabeth fragte sich, ob das wohl John sein würde.

Mike Seddons, der allein im Aufenthaltsraum der Assistenzärzte saß, war zutiefst beunruhigt. Wenn jemand ihm vor einem Monat gesagt hätte, daß er sich um ein Mädchen, das er bei allem kaum kannte, so sorgen würde, hätte er den anderen für verrückt gehalten. Doch seit achtundvierzig Stunden, seit er das Krankenblatt im Schwesternzimmer auf Vivians Station eingesehen hatte, waren seine Sorgen und seine Qual ständig gewachsen. In der vergangenen Nacht hatte er kaum geschlafen. Stundenlang hatte er wachgelegen, immer wieder die volle Bedeutung der Worte überdacht, die in Dr. Lucy Graingers Handschrift auf dem Krankenblatt standen. »Vivian Loburton, Verdacht auf Osteosarkom, Vorbereitung für Probeexcision.«

Als er Vivian zum erstenmal gesehen hatte - bei der Obduktion -, war sie für ihn nicht mehr als irgendeine hübsche Lernschwester gewesen. Selbst bei ihrer zweiten Begegnung -vor dem Vorfall im Park - hatte er vorwiegend als ein interessantes, aufregendes Zwischenspiel an sie gedacht. Mike Seddons machte sich nie selbst etwas vor, weder über Worte noch über seine Absichten.

Auch jetzt tat er es nicht.

Zum erstenmal in seinem Leben liebte er tief und aufrichtig, und er war von einer quälenden, furchtbaren Angst ergriffen.

In der Nacht, als er Vivian sagte, daß er sie heiraten wolle, hatte er keine Zeit gehabt, die sich daraus ergebenden Folgen zu überdenken. Bis zu diesem Punkt hatte Mike Seddons sich immer selbst gesagt, daß eine Heirat für ihn nicht in Frage kam, ehe er seine Praxis eingerichtet, sich die Hörner abgestoßen und seine Zukunft finanziell gesichert hatte. Aber als er seine Worte an Vivian ausgesprochen hatte, wußte er, daß er sie aufrichtig meinte. Hundertmal hatte er sie seitdem im stillen wiederholt, ohne daß ihm einmal der Gedanke kam, sie zu bedauern.

Und nun das!

Im Gegensatz zu Vivian, die ihr Leiden immer noch für eine kleine Beule unter dem Knie hielt - etwas Lästiges, aber nichts, das nicht durch eine Behandlung auf die eine oder andere Weise behoben werden konnte -, kannte Mike Seddons die Bedeutung der Worte >Verdacht auf Osteosarkome. Er wußte, wenn diese Diagnose bestätigt wurde, bedeutete es, daß Vivian an einem virulenten, bösartigen Knochenkrebs litt, der sich durch ihren ganzen Körper auszubreiten drohte und es vielleicht schon getan hatte. In diesem Fall waren ihre Aussichten, ohne eine schnelle Operation länger als rund ein Jahr zu überleben, gleich Null. Und Operation bedeutete Amputation des Beines - so schnell wie möglich, nachdem die Diagnose bestätigt war, in der Hoffnung, das Umsichgreifen der tödlichen Krebszellen zu verhindern, ehe sie sich weit über den ursprünglichen Herd hinaus verbreitet hatten. Und selbst dann. Nach der Statistik wurden nur zwanzig Prozent der an Knochenkrebs erkrankten Patienten durch eine Amputation von ihrem Leiden geheilt. Mit den übrigen ging es ständig abwärts, manche lebten nur noch ein paar Monate.

Aber es mußte kein Osteosarkom sein. Es konnte ein harmloser Knochentumor sein. Die Chancen standen fünfzig zu fünfzig - die gleichen Aussichten wie beim Werfen einer Münze.

Mike Seddons fühlte, wie ihm der Schweiß bei dem Gedanken ausbrach, wieviel für sie beide, für ihn selbst und für Vivian, von dem Ergebnis der Probeexcision abhing. Er hatte überlegt, ob er zu Lucy Grainger gehen und ihr alles offenbaren solle, sich dann aber dagegen entschieden. Wahrscheinlich konnte er mehr erfahren, wenn er sich im Hintergrund hielt. Wenn er sein persönliches Interesse bekanntwerden ließ, konnte es sein, daß sich ihm einige Informationsquellen verschlossen. Um seine Gefühle zu schonen, konnten die anderen in ihren Äußerungen ihm gegenüber vorsichtig und zurückhaltend sein.