Выбрать главу

O'Donnell galt nie als schön im adonischen Sinn, sondern besaß kräftige, faltige, unregelmäßige Gesichtszüge (seine Nase zeigte immer noch die Narbe von einer alten Fußballverletzung), die Frauen an Männern unbegreiflicherweise so häufig anziehend finden. Nur sein Haar zeigte erkennbare Spuren seiner Jahre; vor nicht langer Zeit noch pechschwarz, ergraute es jetzt schnell, als ob das Pigment plötzlich kapituliert und den Rückzug angetreten hätte.

Jetzt hörte O'Donnell hinter sich seinen Namen rufen. Er blieb stehen und sah sich um. Es war Bill Rufus, einer der älteren Chirurgen des Krankenhauses.

»Wie geht es, Bill?« O'Donnell hatte Rufus gern. Er war gewissenhaft und zuverlässig, ein guter Chirurg mit einer umfangreichen Praxis. Seine Patienten vertrauten ihm wegen seiner aufrichtigen Zuverlässigkeit, die zum Ausdruck kam, wenn er sprach. Er wurde von seinen Kollegen respektiert, Praktikanten und Assistenzärzte schätzten ihn, weil sie fanden, daß Dr. Rufus eine angenehme, nicht verletzende Art besaß, vernünftige Belehrungen zu erteilen und sie dabei als seinesgleichen zu behandeln, ein Verhalten, das bei anderen Chirurgen nicht immer zu finden war.

Seine einzige Absonderlichkeit, wenn man es so nennen wollte, war die Gewohnheit, unmöglich grelle Krawatten zu tragen. O'Donnell schauderte innerlich, als er die Schöpfung sah, mit der sein Kollege sich heute zur Schau stellte: türkisfarbene Kreise und zinnoberrote Blitze auf einem Grund in Mauve und Zitronengelb. Bill Rufus nahm eine ganze Menge Anzüglichkeiten über seine Krawatten hin. Einer der Psychiater hatte kürzlich behauptet, sie stellten einen Eiterherd eines innerlichen Garens unter einer konserva tiven Oberfläche dar. Aber Rufus hatte nur gut gelaunt gelacht. Heute schien er allerdings in Sorge zu sein.

»Kent, ich möchte mit Ihnen reden«, sagte Rufus.

»Sollen wir in mein Zimmer gehen?« O'Donnell war neugierig. Rufus war nicht der Mann, der zu ihm kam, wenn es sich um etwas Unwichtiges handelte.

»Nein, wir können hier so gut reden wie irgendwo anders. Hören Sie, Kent, es handelt sich um die Befunde der Pathologie.«

Sie traten zu einem Fenster, um dem Hin und Her in dem Gang auszuweichen, und O'Donnell dachte: Das habe ich befürchtet. Zu Rufus sagte er: »Was haben Sie für Sorgen, Bill?«

»Die Berichte brauchen zu lange. Viel zu lange.« O'Donnell kannte das Problem gut. Wie andere Chirurgen, operierte Rufus häufig Patienten mit einem Tumor. Wenn ein Tumor freigelegt war, wurde er zur Überprüfung durch den Pathologen des Hospitals, Dr. Joseph Pearson, entfernt. Der Pathologe nahm zwei Untersuchungen des Gewebes vor. Zuerst ließ er einen kleinen Teil gefrieren und untersuchte das Gewebe unter dem Mikroskop. Das geschah in einem kleinen Labor unmittelbar neben dem Operationsraum, während der Patient noch in der Narkose lag. Diese Untersuchung ergab eines von zwei möglichen Urteilen. Lautete es auf >bösartig<, bedeutete es, daß Krebs vorlag, und wies auf die Notwendigkeit einer weiteren großen Operation des Patienten hin. Das Urteil >gutartig< bedeutete eine Erlösung und besagte im allgemeinen, daß der Patient nach der Entfernung des Tumors keiner weiteren Behandlung bedurfte. Wenn die Untersuchung des Gefrierschnittes die Diagnose >bösartig< ergab, wurde die Operation sofort weitergeführt. Andererseits war das Urteil >gutartig< des Pathologen für den Chirurgen das Signal, den Operationsschnitt zu schließen und den Patienten in den Aufwachraum bringen zu lassen.

»Bei den Gefrierschnitten treten doch keine Verzögerungen auf, oder?« O'Donnell hatte noch keine Klage darüber gehört, aber er wollte Gewißheit haben.

»Nein«, antwortete Rufus, »es gäbe auch ein schönes Geschrei, wenn das der Fall wäre. Aber die Befunde über die Gesamtuntersuchung des Gewebes, die brauchen zu lange.«

»Ich verstehe.« O'Donnell versuchte Zeit zu gewinnen, um zu überlegen. Im Geist überprüfte er das Verfahren. Nach der Untersuchung des Gefrierschnittes wurde der entfernte Tumor in das Labor der Pathologie geschickt, wo ein Laborant verschiedene Gewebeschnitte vorbereitete, wobei er gründlicher und unter günstigeren Bedingungen arbeiten konnte. Später untersuchte der Pathologe die Schnitte und gab sein endgültiges Urteil ab. Manchmal erwies sich ein Tumor, der bei dem Gefrierschnitt als gutartig oder zweifelhaft klassifiziert worden war, bei dieser späteren, genaueren Untersuchung als bösartig, und es galt nicht als ungewöhnlich, wenn der Pathologe nach seiner zweiten Untersuchung sein erstes Urteil revidierte. In diesen Fällen wurde der Patient in den Operationssaal zurückgebracht und die notwendige Operation vorgenommen. Ganz eindeutig war es aber wichtig, daß der Pathologe seinen zweiten Befund schnell abgab. O'Donnell hatte bereits erkannt, daß hierin der Kern von Rufus' Beschwerde lag.

»Wenn es nur einmal passiert wäre«, beklagte sich Rufus, »würde ich nicht davon reden. Ich weiß, daß die Pathologie sehr viel zu tun hat, und ich will auch nichts gegen Joe Pearson sagen, aber es ist eben nicht nur dieser eine Fall, Kent. Es ist dauernd so.«

»Nennen Sie mir ein spezifisches Beispiel, Bill«, forderte O'Donnell knapp. Er bezweifelte allerdings keinen Augenblick, daß Rufus seine Beschwerde durch Tatsachen belegen könnte.

»Also gut. Ich operierte in der vergangenen Woche eine Patientin, eine Mrs. Mason, mit einem Brusttumor. Ich entfernte den Tumor, und nach dem Gefrierschnitt erklärte Joe Pearson: gutartig. Später allerdings, in seinem pathologischen Befund, bezeichnete er ihn als bösartig.« Rufus hob die Schultern. »Dagegen ist nichts einzuwenden. Es ist bei der ersten Untersuchung nicht immer eindeutig zu erkennen.«

»Aber?« Jetzt, nachdem O'Donnell wußte, um was es ging, wollte er die Sache hinter sich bringen.

»Pearson brauchte für den pathologischen Befund acht Tage. Als ich den Bericht endlich erhielt, war die Patientin bereits entlassen.«

»So, so.« Das ist tatsächlich böse, dachte O'Donnell. Das konnte er nicht einfach übergehen.

»Es ist nicht einfach«, fuhr Rufus ruhig fort, »eine Frau zurückzuholen und ihr zu erklären, daß man sich geirrt habe, daß sie doch Krebs habe und daß sie noch einmal operiert werden müsse.«

Nein, das war nicht einfach; O'Donnell wußte es nur zu gut. Einmal, ehe er zum Three Counties Hospital gekommen war, hatte er das gleiche erlebt. Er hoffte, daß er es nie wieder tun mußte.

»Bill, wollen Sie mich die Geschichte auf meine Art in Ordnung bringen lassen?« O'Donnell war froh, daß es Rufus war, der ihm den Fall vortrug. Mit einem der anderen Chirurgen wäre es schwieriger gewesen.

»Gewiß, wenn etwas Definitives geschieht.« Rufus' Hartnäckigkeit war gerechtfertigt. »Verstehen Sie, es handelte sich nicht um einen vereinzelten Fall. Zufällig ist es diesmal ein sehr böser.«

Auch hier wußte O'Donnell, daß das stimmte. Das Schwierige war, daß Rufus verschiedene andere Probleme nicht kannte, die damit in Zusammenhang standen.

»Heute nachmittag noch werde ich mit Joe Pearson reden«, versprach er. »Nach der Konferenz über die Todesfälle in der Chirurgie. Sie kommen doch?«

Rufus nickte. »Gewiß, ich komme.«

»Dann sehe ich Sie dort, Bill. Danke, daß Sie mich unterrichtet haben. Ich verspreche Ihnen, daß etwas geschehen wird.«

Etwas, dachte O'Donnell, während er durch den Korridor ging. Aber was? Er dachte immer noch über dieses Problem nach, als er in die Verwaltungsabteilung kam und die Tür zu Harry Tomasellis Büro öffnete.