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Hilda Straughan überlegte: »Ich kann nachsehen, aber ich glaube, es ist etwa sechs Monate her.«

»Dann wäre es gut, wenn es wieder geschähe. Wir wissen dann, woran wir sind.«

»Also gut, Mr. T.« Mrs. Straughan fand sich damit ab, daß sie heute nicht mehr erreichen konnte. »Soll ich mit Dr. Pearson sprechen?«

»Nein, ich werde es tun.« Der Verwaltungsdirektor machte eine Notiz. Wenigstens, dachte er, kann ich Joe Pearson dadurch eine ähnliche zeitraubende Unterhaltung sparen.

»Danke, Mr. T.« Die Küchenleiterin stemmte sich aus dem Sessel hoch. Er wartete, bis sie aus dem Zimmer war, und schob dann sorgfältig den Aktenkorb an seinen ursprünglichen Platz zurück.

David Coleman kam vom Essen in der Kantine in die Pathologie zurück. Auf seinem Weg durch die Gänge und über die Treppe in das Souterrain dachte er über die Zeit nach, die er bisher mit Dr. Pearson verbracht hatte. Er kam zu dem Ergebnis, daß sie bis zu diesem Augenblick unbefriedigend und ergebnislos verstrichen war.

Pearson hatte sich zwar höflich gezeigt, wenn auch nicht von Anfang an, so doch später. Als er Coleman in seinem Zimmer auf ihn wartend vorfand, war seine erste Bemerkung gewesen: »Sie haben es also ernst gemeint, als Sie schrieben, Sie wollten sofort anfangen.«

»Es schien mir nicht viel Sinn zu haben, länger zu warten«, antwortete Coleman und fügte hinzu: »Ich habe mich inzwischen in den Labors umgesehen. Hoffentlich hatten Sie nichts dagegen.«

»Das ist Ihr gutes Recht.« Pearsons Antwort kam halb knurrend, als ob es sich um eine Invasion handele, die ihm zwar nicht gefiel, mit der er sich aber abfinden mußte. Dann, als ob er seine Unfreundlichkeit erkenne, sagte er: »Nun, ich muß Sie wohl wenigstens willkommen heißen.«

Nachdem sie sich die Hände geschüttelt hatten, fügte der alte Mann hinzu: »Als erstes muß ich jetzt einen Teil von dem hier aufarbeiten.« Er deutete auf einen unordentlichen Stapel von Behältern mit Objektträgern, Aktendeckeln und einzelnen Papieren auf seinem Schreibtisch. »Vielleicht können wir uns anschließend über Ihre Arbeit hier unterhalten.«

Coleman hatte dagesessen, ohne daß er etwas anderes zu tun hatte, als eine medizinische Zeitschrift zu lesen, während Pearson sich durch einen Teil der Papiere wühlte. Dann kam ein Mädchen zum Diktat, und anschließend begleitete er Pearson zu einem Kolloquium im Nebenzimmer des Obduktionsraumes. Als er Pearson und den beiden Assistenten - McNeil und Seddons - an dem Sektionstisch gegenübersaß, kam er sich weitgehend wie ein jüngerer Assistent vor. Er konnte zu dem Kolloquium fast nichts beitragen. Pearson führte das Kolloquium durch, als ob Coleman lediglich ein Zuschauer sei, und der alte Mann erkannte auch mit keiner Andeutung Colemans Stellung als neuer stellvertretender Leiter der gesamten Abteilung an.

Später gingen er und Pearson gemeinsam zum Essen, und im Verlauf der Mahlzeit stellte Pearson ihn ein paar Mitgliedern des Ärztestabes vor. Dann entschuldigte sich der alte Pathologe mit der Bemerkung, er habe eine dringende Arbeit zu erledigen, und verließ den Tisch. Jetzt kehrte Coleman allein in die Pathologie zurück und erwog in Gedanken das Problem, das vor ihm zu stehen schien.

Natürlich hatte er bei Dr. Pearson einen gewissen Widerstand erwartet. Aus den verschiedensten fragmentarischen Informationen hatte er sich zusammengereimt, daß Pearson keinen zweiten Pathologen wünschte, aber auf diese Behandlung war er nicht gefaßt gewesen. Als das mindeste hatte er vorausgesetzt, daß bei seiner Ankunft ein Arbeitszimmer für ihn bereitstand und sein Aufgabengebiet klar umrissen war. Gewiß, er hatte nicht erwartet, daß ihm sofort eine große und wichtige Verantwortung übertragen würde. Er hatte nichts dagegen einzuwenden, daß der alte Pathologe ihn eine Zeitlang kontrollierte. Er selbst hätte an Pearsons Stelle einem Neuling gegenüber die gleiche Vorsichtsmaßnahme ergriffen. Aber darüber ging die Situation, wie die Dinge lagen, weit hinaus. Dem Anschein nach hatte sich trotz Colemans Brief niemand mit der Frage abgegeben, worin seine Pflichten bestehen sollten. Anscheinend herrschte die Vorstellung, daß er herumsitzen solle, bis seine Post und seine anderen Pflichten Dr. Pearson genügend Zeit ließen, um ihm ein paar Aufgaben zu übertragen. Nun, in diesem Falle mußten einige Vorstellungen korrigiert werden - und das bald.

David Coleman kannte die Schwächen seines eigenen Charakters seit langem. Aber ebenso war er sich seiner Qualitäten bewußt; die wichtigsten darunter waren seine Kenntnisse und seine Fähigkeiten als Arzt und Pathologe. Kent O'Donnell hatte nur eine Tatsache festgestellt, als er Coleman als hochqualifiziert bezeichnete. Trotz seiner Jugend verfügte er bereits über ein Können und einen Schatz an Erfahrungen, denen viele praktizierende Pathologen kaum Gleichwertiges gegenüberzustellen vermochten. Gewiß bestand für ihn kein Grund, vor Dr. Joseph Pearson in Ehrfurcht zu erstarren, und wenn er auch gewillt war, das Alter und die vorgesetzte Stellung des alten Pathologen zu respektieren, hatte er andererseits aber nicht die Absicht, sich als unerfahrener Grünschnabel behandeln zu lassen.

Er besaß noch eine andere Stärke: ein Gefühl, das alle anderen Überlegungen, ob es nun den Charakter, den Versuch zur Duldsamkeit oder irgend etwas anderes betraf, beiseite schob. Das war seine Entschlossenheit, Medizin kompromißlos, sauber, ehrlich zu praktizieren - und sogar exakt, soweit Exaktheit auf medizinischem Gebiet möglich war. Für jeden, der sich mit weniger begnügte - und selbst in den kurzen Jahren seiner eigenen Erfahrungen hatte er derartige Leute getroffen und kennengelernt: die Kompromißler, die Politiker, die Trägen, die um jeden Preis Ehrgeizigen -, empfand David Coleman nur Zorn und Abscheu.

Wenn man ihn gefragt hätte, woher dieses Gefühl stammte, wäre ihm die Antwort schwergefallen. Keinesfalls war er sentimental, noch hatte er sich der Medizin zugewandt, weil er offensichtlich von dem Wunsch getrieben wurde, der Menschheit zu helfen. Der Einfluß seines Vaters mochte eine gewisse Rolle spielen, aber, wie David Coleman vermutete, keine allzu große. Sein Vater, das war ihm jetzt bewußt, war innerhalb der Grenzen eines praktischen Arztes ein durchschnittlich guter Arzt gewesen, aber im Wesen der beiden bestand ein auffallender Unterschied. Der ältere Coleman war eine warme, aufgeschlossene Persönlichkeit gewesen, die viele Freunde besessen hatte. Der Sohn war kühl, schwer zugänglich, häufig zurückhaltend. Der Vater hatte mit seinen Patienten gescherzt und ihnen mühelos sein Bestes gegeben. Der Sohn hatte als Praktikant, ehe die Pathologie ihn von den Patienten absonderte, nie mit ihnen gescherzt, sondern ihnen gewissenhaft, exakt und überlegen etwas mehr gegeben, als viele andere als ihr Bestes zu geben hatten. Und wenn sich als Pathologe sein Verhältnis zu den Patienten auch verändert hatte, seine Einstellung war die gleiche geblieben.

Manchmal empfand David Coleman in Augenblicken ehrlicher Selbstprüfung den Verdacht, seine Einstellung wäre nicht anders, wenn er statt der Medizin irgendeinen anderen Beruf ergriffen hätte. Im Grunde genommen vermutete er, werde sie durch seine Genauigkeit in Verbindung mit seiner Unduldsamkeit gegenüber Fehlern oder Versagern bestimmt -durch das Gefühl, daß die Person oder die Sache, der immer man dienen wolle, berechtigt sei, das Äußerste zu verlangen, das man geben konnte. In gewisser Weise widersprachen sich diese Gefühle vielleicht. Wahrscheinlich war er von einem Studienkameraden treffend charakterisiert worden, der einmal einen angeheiterten Trinkspruch ausbrachte: »Auf David Coleman - den Burschen mit dem antiseptischen Herz.«

Während er jetzt durch den Gang im Souterrain ging, kehrten seine Gedanken zur Gegenwart zurück, und sein Instinkt warnte ihn, daß ein Zusammenstoß nahe bevorstand.

Er trat in das Arbeitszimmer der Pathologie und fand Pearson über ein Mikroskop gebeugt, vor sich einen geöffneten Behälter mit Objektträgern. »Kommen Sie, und sehen Sie sich das an. Was halten Sie davon?« Er machte vor dem Mikroskop Platz und winkte Coleman heran.