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»Ich kann gut zuhören, Kent.« Denise war mit ihren Gedanken nur halb bei ihren Worten. Die andere Hälfte dachte: Das ist ein Mann - ein ganzer Mann. Ihre Blicke liefen über die große Gestalt, die breiten Schultern, das kräftige Gesicht. Sie fragte sich, ob er sie zum Abschied küssen werde und zu was das später führen könnte. Sie kam zu der Ansicht, daß Dr. Kent O'Donnell interessante Möglichkeiten bot.

O'Donnell erzählte ihr vom Three Counties Hospital, von seiner Arbeit dort und von dem, was er zu vollbringen hoffte. Sie fragte ihn nach seiner Vergangenheit, seinen Erlebnissen, Menschen, denen er begegnet war, und war von der Tiefe seiner Gedanken und Empfindungen, die aus allem sprach, was er sagte, stark beeindruckt.

Sie tanzten wieder. Der Kellner brachte ihnen frische Drinks. Sie unterhielten sich, sie tanzten, der Kellner kam zurück. Die Reihenfolge wiederholte sich. Denise erzählte ihm von ihrer Ehe. Sie hatte vor achtzehn Jahren geheiratet, die Ehe hatte zehn Jahre gedauert. Ihr Mann war Rechtsanwalt mit einer großen Praxis in New York. Sie hatte zwei Kinder-Zwillinge, Alex und Philippa -, die in Denises Obhut geblieben waren. In ein paar Wochen wurden die Kinder siebzehn.

»Mein Mann ist ein vollkommen rationales Wesen«, sagte sie. »Wir waren einfach völlig unvereinbar miteinander und verschwendeten viel Zeit darauf, zu der offensichtlichen Lösung zu gelangen.«

»Sehen Sie ihn jetzt noch?«

»Ja, oft. Auf Partys und in der Stadt. Gelegentlich verabreden wir uns zum Mittagessen. In mancher Weise kann Geoffrey bezaubernd sein. Ich bin überzeugt, er würde Ihnen gefallen.«

Beide sprachen jetzt unbefangener. Der Kellner brachte ihnen jetzt frische Drinks, ehe er dazu aufgefordert wurde. O'Donnell fragte sie nach einer Scheidung; ob es Hinderungsgründe dafür gebe.

»Eigentlich nicht«, antwortete sie offen. »Geoffrey ist durchaus bereit, sich scheiden zu lassen, besteht aber darauf, daß ich den Scheidungsgrund stelle. Wie Sie wissen, muß das im Staate New York Ehebruch sein. Und so weit bin ich bisher noch nicht gekommen.«

»Hatte Ihr Mann nie den Wunsch, sich wieder zu verheiraten?«

Sie schien überrascht. »Geoffrey? Das kann ich mir nicht vorstellen. Im übrigen ist er mit der Jurisprudenz verheiratet.«

»Ah so.«

Denise drehte ihr Glas am Fuß. »Geoffrey glaubte immer, das Bett sei der richtige Platz, um seine Akten zu studieren.« Sie sagte es leise, fast vertraulich. O'Donnell verstand den Hinweis, weshalb ihre Ehe scheiterte. Er fand den Gedanken erregend.

Der Kellner stand neben ihm. »Verzeihen Sie, Sir, die Bar schließt in ein paar Minuten. Wollen Sie jetzt noch einmal bestellen?«

Überrascht sah O'Donnell auf seine Uhr. Es war fast eins. Schon dreieinhalb Stunden waren sie zusammen. Ihm kam die Zeit viel kürzer vor. Er sah Denise an. Sie schüttelte den Kopf.

»Nein, danke«, antwortete er und bezahlte die Rechnung, die der Kellner ihm reichte. Sie tranken ihre Gläser aus und standen auf, um zu gehen. Der Kellner wünschte höflich »Gute Nacht«; sein Trinkgeld war großzügig gewesen. O'Donnell fühlte sich in gehobener Stimmung.

Im Foyer wartete er auf Denise, während ein Page zum Parkplatz ging, um seinen Wagen zu holen. Als sie kam, nahm sie seinen Arm. »Eigentlich schade, daß wir schon gehen. Ich wünschte beinahe, wir hätten uns doch noch einen Drink bestellt.«

Er zögerte und schlug dann unbefangen vor: »Wir können bei mir vorbeifahren, wenn Sie mögen. In meiner Bar ist alles vorhanden, und es liegt auf dem Weg.«

Einen Augenblick fürchtete er, das sei ungeschickt gewesen. Er glaubte, bei ihr eine plötzliche Kühle, die Andeutung einer peinlichen Überraschung zu bemerken. Dann war es verschwunden. Sie erwiderte einfach: »Warum eigentlich nicht?«

Draußen wartete der Buick. Die Türen wurden aufgehalten, der Motor lief. Durch die Stadt fuhr er vorsichtig, langsamer als gewöhnlich, weil er sich bewußt war, daß er eine ganze Menge getrunken hatte. Es war eine warme Nacht, und die Wagenfenster waren heruntergedreht. Von dem Sitz neben sich nahm er wieder den duftigen Hauch ihres Parfüms wahr. Vor seiner Wohnung parkte er den Wagen auf der Straße, und sie fuhren im Fahrstuhl hinauf.

Nachdem er die Drinks gemixt hatte, brachte er sie durch das Zimmer und reichte Denise den Old Fashioned. Sie stand vor dem offenen Wohnzimmerfenster und sah auf die Lichter Burlingtons hinunter. Der Fluß, der durch die Stadt lief, bildete zwischen seinen Ufern eine breite, dunkle Schlucht.

Als er neben ihr stand, sagte er ruhig. »Es ist schon eine Zeitlang her, daß ich einen Old Fashioned gemixt habe. Ich hoffe, daß er nicht zu süß ist.«

Sie probierte ihn. Dann sagte sie leise: »Wie so vieles an Ihnen, ist er absolut richtig, Kent.«

Ihre Blicke begegneten sich. Er nahm ihr das Glas aus der Hand. Als er es abgestellt hatte, trat sie weich, ungezwungen zu ihm. Er umschlang sie fest mit seinen Armen, als sie sich küßten.

Plötzlich schrillte gellend, herrisch, hinter ihnen im Zimmer das Telefon auf. Es ließ sich nicht überhören.

Sanft löste sich Denise von ihm. »Liebster, ich glaube, du mußt dich melden.« Mit ihren Lippen berührte sie leicht seine Stirn.

Während er durch das Zimmer ging, bemerkte er, daß sie ihre Tasche, ihre Stola und ihre Handschuhe aufnahm. Offensichtlich war der Abend vorüber. Fast ärgerlich nahm er den Hörer ab, meldete sich knapp und hörte zu. Sein Ärger schwand schnell. Es war das Krankenhaus, der Praktikant im Nachtdienst. Einer von O'Donnells Patienten zeigte Symptome, die ernst zu sein schienen. Er stellte zwei schnelle Fragen, dann: »Also gut, ich komme sofort. Benachrichtigen Sie inzwischen die Blutbank und bereiten Sie eine Transfusion vor.« Er hängte ein und rief den Nachtportier an, um eine Taxe für Denise zu bestellen.

XIV

Meistens legte Dr. Joseph Pearson Wert darauf, früh schlafen zu gehen. An Abenden, an denen er mit Eustace Swayne Schach spielte, wurde es jedoch zwangsläufig sehr spät. Infolgedessen war er am nächsten Morgen noch müder und reizbarer als gewöhnlich. Unter dieser Wirkung stand er nach dem gestrigen Schachabend auch jetzt.

Augenblicklich sah er gerade die Einkaufsanforderungen für Labormaterial durch, eine Arbeit, die er schlechthin verabscheute und an diesem Tage mehr denn je. Er knurrte und legte eines der Formulare beiseite. Dann kritzelte er ein paar weitere Unterschriften, unterbrach sich und zog ein zweites Formular aus dem Packen. Dieses Mal begleitete ein Stirnrunzeln sein Knurren. Wer ihn kannte, hätte das als Sturmzeichen erkannt. Dr. Pearson stand vor einem Wutausbruch.

Der Augenblick kam, als er über einem dritten Formular zögerte. Dann schleuderte er plötzlich heftig seinen Bleistift auf den Tisch, packte alle Papiere in einem unordentlichen Stoß und eilte zur Tür. Er stürmte in das serologische Labor und sah sich nach Bannister um. Er fand den ersten Laboranten in einer Ecke, wo er eine Stuhlkultur vorbereitete.

»Lassen Sie alles stehen und liegen und kommen Sie her!« Pearson warf den Stoß Papiere auf den Mitteltisch. Ein paar flatterten zu Boden, und John Alexander bückte sich, sie aufzuheben. Unwillkürlich war er erleichtert, daß Pearsons Ärger sich gegen Bannister und nicht gegen ihn selbst richtete.

»Was ist denn los?« Bannister kam gelassen näher. Er war an diese Ausbrüche so gewöhnt, daß sie ihn manchmal ruhiger werden ließen.

»Ich will Ihnen sagen, was los ist. Diese ganzen Einkaufsanforderungen hier sind los!« Pearson schien sich zu beherrschen. Seine Wut siedete nur noch, statt zu kochen. »Manchmal scheinen Sie sich einzubilden, wir seien hier in der Mayo-Klinik.«

»Wir müssen doch Labormaterial haben, oder etwa nicht?«

Pearson ignorierte die Frage. »Es scheint fast so, als ob Sie das Zeug fressen. Und habe ich Ihnen nicht immer wieder gesagt, Sie sollen bei jeder außergewöhnlichen Bestellung schriftlich erklären, wozu sie gebraucht wird?«