»Habe ich das vergessen? Das kann mal passieren«, antwortete Bannister resigniert.
»Na schön. Aber Sie könnten anfangen, sich daran zu erinnern.« Pearson nahm das oberste Formular von dem Stoß. »Wozu soll das Kalziumoxyd sein? Wir haben es hier nie verwendet.«
Bannister verzog sein Gesicht zu einem boshaften Grinsen. »Sie haben mich selbst beauftragt, es zu bestellen. Sie brauchen es doch in Ihrem Garten.« Der erste Laborant verwies auf etwas, das ihnen beiden bekannt war, wovon sie aber selten sprachen. Pearson war einer der führenden Rosenzüchter im Gärtnerverein des Counties und zweigte eine ansehnliche Menge Chemikalien aus dem Krankenhaus ab, um seinen Garten zu düngen.
Er besaß den Anstand, verwirrt zu erscheinen. »Oh... ja, richtig. Lassen wir das also.« Er legte das Formular beiseite und nahm ein anderes. »Was soll diese Anforderung hier? Wozu brauchen wir plötzlich Coombs-Serum? Wer hat das bestellt?«
»Das war Dr. Coleman«, antwortete Bannister bereitwillig. Jetzt war der Augenblick gekommen, auf den er gewartet hatte. John Alexander neben ihm wurde es unbehaglich.
»Wann?« Pearsons Frage klang scharf.
»Gestern. Dr. Coleman hat die Anforderung sowieso unterschrieben.« Bannister deutete auf das Formular und fügte boshaft hinzu: »Da, wo Sie sonst unterschreiben.«
Pearson sah auf das Blatt. Er hatte noch nicht bemerkt, daß es eine Unterschrift trug. Er fragte Bannister: »Wozu will er das? Wissen Sie es?«
Der erste Laborant blieb gelassen. Er hatte das Räderwerk der Rache in Bewegung gesetzt und konnte die folgende Szene als Zuschauer genießen. Zu John Alexander sagte er: »Los, erklären Sie es.«
Etwas unbehaglich sagte Alexander: »Es ist für einen Blutsensibilitätstest, Dr. Pearson. Für meine Frau. Dr. Dornberger hat ihn angefordert.«
»Weshalb Coombs-Serum?«
»Es ist für einen indirekten Coombs-Test, Doktor.«
»Sagen Sie mal, ist Ihre Frau etwas Besonderes?« Pearsons Stimme hatte einen sarkastischen Ton. »Was ist an den Tests mit Salzlösung und konzentriertem Protein verkehrt, die wir in allen anderen Fällen anwenden?«
Alexander schluckte nervös. Es entstand eine Pause. Pearson drängte: »Ich warte auf Antwort.«
»Nun, Sir.« Alexander zögerte. Dann platzte er heraus: »Ich habe Dr. Coleman vorgeschlagen - und er stimmte mir zu -, es wäre zuverlässiger, wenn wir nach den anderen Tests einen.«
»Sie haben Dr. Coleman vorgeschlagen? So!« Der Ton der Frage ließ keinen Zweifel darüber, was jetzt kommen mußte. Alexander, der es spürte, fuhr schnell fort:
»Ja, Sir, wir sind der Ansicht, daß Antikörper in Salzlösung und konzentriertem Protein manchmal nicht festgestellt werden können, und der zusätzliche Test.«
»Nun aber Schluß!« Die Worte kamen laut, scharf und brutal. Während Pearson sie aussprach, klatschte er seine Hand hart auf die Formulare auf dem Tisch. In dem Labor herrschte eisiges Schweigen. Mühsam atmend wartete der alte Mann und musterte Alexander. Als er sich so weit gefaßt hatte, erklärte er grimmig: »Sie haben einen großen Fehler. Sie nehmen sich etwas zuviel heraus mit dem Zeug, das Sie da auf der Fachschule gelernt haben.«
Pearsons Erbitterung brach durch seine Worte hindurch - die Erbitterung gegen alle, die jünger waren, die sich einmischten, die versuchten, seine Autorität zu beschneiden - seine Autorität, die bisher unbedingt und unantastbar gewesen war. In einer anderen Stimmung und zu einer anderen Zeit hätte er sich vielleicht duldsamer gezeigt, aber jetzt entschloß er sich, diesen jungen Anfänger ein und für allemal in seine Schranken zu verweisen.
»Hören Sie mir zu, und passen Sie genau auf. Ich habe es Ihnen schon einmal gesagt, und ich beabsichtige nicht, es noch einmal zu wiederholen.« Jetzt sprach die Autorität, der Leiter der Abteilung, der mit harter Hand einer kleinen Hilfskraft klarmachte, daß von nun an keine weiteren Warnungen mehr erfolgen würden, sondern nur Aktionen. Das Gesicht dicht vor dem Alexanders sagte Pearson: »Ich bin derjenige, der diese Abteilung leitet. Und wenn Sie oder jemand anders Fragen haben, werden sie mir vorgelegt, verstehen Sie mich?«
»Ja, Sir.« In diesem Augenblick wünschte Alexander, die Szene wäre vorüber. Er wußte schon, daß er zum letztenmal einen Vorschlag gemacht hatte. Wenn das der Lohn dafür war, daß man mitdachte, würde er von jetzt an nur still seine Arbeit tun und seine Gedanken für sich behalten. Sollten sich doch andere Leute den Kopf zerbrechen, sollten sie doch die Verantwortung tragen.
Aber Pearson war noch nicht zu Ende. »Unternehmen Sie nichts hinter meinem Rücken«, drohte er, »und versuchen Sie nicht, Dr. Coleman auszunutzen, weil er neu ist.«
Kurz flackerte Alexanders Widerspruch auf. »Ich habe niemand ausgenutzt.«
»Das taten Sie doch, sage ich, und ich rate Ihnen, das zu unterlassen«, schrie der alte Mann wütend. Seine Gesichtsmuskeln arbeiteten, seine Augen funkelten.
Alexander stand vernichtet und schweigend da.
Einen Augenblick noch musterte Pearson den jungen Mann grimmig. Dann, als ob er sich überzeugt habe, daß er den gewünschten Eindruck erreicht hatte, sprach er weiter: »Nun will ich Ihnen noch etwas über diesen Test sagen.« Sein Ton war jetzt zwar nicht freundlich, aber doch zumindest weniger schroff. »Aus dem Test in Salzlösung und konzentriertem Protein ist alles zu erkennen, was wir brauchen, und ich will Sie daran erinnern, daß ich Pathologe bin und weiß, worüber ich spreche. Haben Sie das begriffen?«
Mürrisch antwortete Alexander: »Ja, Sir.«
»Nun gut. Ich will Ihnen sagen, was ich tun werde.« Pearsons Ton wurde noch gemäßigter. Es war fast, als biete er eine Versöhnung an. »Da Sie so begierig darauf sind, daß dieser Test richtig vorgenommen wird, übernehme ich ihn selbst. Jetzt sofort. Wo ist die Blutprobe?«
»Im Kühlschrank«, sagte Bannister.
»Bringen Sie sie her.«
Unzufrieden ging Bannister durch das Labor zum Kühlschrank. Die Szene war nicht ganz so verlaufen, wie er gewünscht hatte. Richtig war allerdings, daß dieser Bursche Alexander eine Abfuhr nötig gehabt hatte. Aber der alte Mann hatte den Jungen etwas scharf angefaßt. Bannister hätte es lieber gesehen, wenn ein Teil des Sturmes über den angeberischen jungen Arzt niedergebrochen wäre. Aber vielleicht bewahrte der alte Mann das für später auf. Er nahm die Blutprobe mit der Aufschrift »Alexander, Mrs. E.« heraus und schloß den Kühlschrank.
Pearson nahm die Blutprobe, aus der das geronnene Blut bereits entfernt war. Während er das tat, fiel Bannisters Blick auf die Einkaufsanforderung, die den Sturm verursacht hatte. Sie war zu Boden gefallen. Er bückte sich und hob sie auf.
Er fragte Pearson: »Was soll ich damit machen?«
Der alte Pathologe hatte zwei saubere Reagenzgläser genommen, in die er einen Teil des Blutserums verteilte. Ohne aufzusehen fragte er gereizt: »Womit machen?«
»Mit der Bestellung für das Coombs-Serum.«
»Die brauchen wir nicht. Zerreißen Sie sie!«
Pearson kontrollierte das Schild auf einer kleinen Flasche, die Rh-positive Zellen enthielt. Das von einer pharmazeutischen Fabrik hergestellte Präparat wurde als Reagenz bei der Untersuchung von Rh-negativem Blut verwendet.
Bannister zögerte. Er hatte zwar gegen Coleman sehr viel einzuwenden, aber er wußte auch, daß es hierbei um eine Frage des ärztlichen Protokolls ging. »Sie sollten es Dr. Coleman aber mitteilen«, sagte er zweifelnd. »Oder soll ich es ihm sagen?«
Pearson hatte Mühe, den Korken aus der Flasche zu ziehen. Ungeduldig antwortete er: »Nein, nein. Das sage ich ihm schon selbst.«
Bannister hob die Schultern. Er hatte Pearson darauf hingewiesen. Wenn es jetzt Ärger gab, war er nicht dafür verantwortlich. Er nahm die Einkaufsanforderung, zerriß sie und ließ die Fetzen in einen Abfallkübel fallen.