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»Sollte ich herkommen?« Bannisters Ton und Ausdruck verkündeten deutlich, daß er die Zurechtweisung von vorhin noch nicht verschmerzt hatte.

»Selbstverständlich sollten Sie kommen.« Pearson hielt ihm das unterschriebene Formular hin. »Bringen Sie das zu Dr. Dornberger hinauf - schnell. Er ist in der Entbindungsstation. John Alexanders Frau liegt in Wehen. Sie erwartet eine Frühgeburt.«

Bannisters Ausdruck veränderte sich. »Weiß der Junge es schon? Er ist drüben in.«

Ungeduldig schnitt Pearson ihm das Wort ab: »Gehen Sie schon! So gehen Sie doch endlich!« Eilig lief Bannister mit dem Formular hinaus.

David Coleman nahm nur undeutlich wahr, was um ihn herum vorging, ohne daß er die Einzelheiten voll erfaßte. Im Augenblick wurde er von der furchtbaren Bedeutung der beiden Telegramme, die er in seinen Händen hielt, in Anspruch genommen.

Pearson wandte sich zu ihm. Der alte Mann sagte: »Nun, verliert das Mädchen sein Bein oder nicht? Sind beide eindeutig?«

Coleman dachte: Hier fängt Pathologie an, und hier endet sie. Hier liegt das Grenzgebiet, hier müssen wir erkennen, wie wenig wir in Wahrheit wirklich wissen. Hier verläuft die Trennungslinie, hier ist das Ufer der dunklen, rauschenden Wasser des noch Unbekannten. Ruhig antwortete er: »Ja. Sie sind beide völlig eindeutig. Dr. Chollingham in Boston sagt: Probe eindeutig bösartig. Dr. Earnhart in New York telegrafiert: Das Gewebe ist gutartig, keine Anzeichen für Bösartigkeit.«

Es folgte ein langes Schweigen. Langsam und gedämpft sagte Pearson dann: »Die beiden besten Männer im Lande. Der eine stimmt dafür, der andere dagegen.« Er sah Coleman an, und als er wieder sprach, lag in seinem Ton wohl Ironie, aber keine Feindschaft. »Nun, mein junger pathologischer Kollege, Lucy Grainger erwartet heute unsere Antwort. Sie muß eine haben, und sie muß endgültig sein.« Mit einem schiefen Lächeln: »Ist Ihnen danach, Gott zu spielen?«

XVI

Der Polizist, der an der Kreuzung der Main und der Liberty Street Dienst hatte, hörte die Sirene des Krankenwagens schon, als sie noch sechs Blocks entfernt war. Er trat vom Bürgersteig hinunter, und mit der Übung langer Praxis begann er, den Verkehrsstrom so zu lenken, daß er flüssig über die Kreuzung lief. Als die Sirene lauter und das blinkende Warnlicht sichtbar wurde, das auf ihn zu kam, blähte er seine Backen auf und ließ auf seiner Pfeife zwei grelle Pfiffe ertönen. Dann stoppte er den ganzen Verkehr in der Querstraße und winkte im Bewußtsein seiner Amtsgewalt dem Fahrer des Krankenwagens zu, über das rote Licht hinwegzufahren. Passanten an der Kreuzung drehten neugierig ihre Köpfe, erhaschten mit einem kurzen Blick das weiße Gesicht einer jungen Frau, als der Krankenwagen vorbeifegte.

Elizabeth im Wagen nahm ihre Fahrt durch den dichten Verkehr der Stadt nur undeutlich wahr. Sie spürte, daß sie schnell fuhr, aber Häuser und Menschen draußen boten nur ein verwischtes Bild, das hinter dem Fenster neben ihrem Kopf vorbeiflog. Im Augenblick blickte sie zwischen zwei Schmerzwellen zu dem Fahrer hinter sich hinauf, sah seine beiden großen Hände am Steuerrad, die es schnell erst nach rechts, dann nach links drehten, um jede Lücke im Verkehr auszunutzen, die vor ihm auftauchte. Dann kam der Schmerz wieder, und sie konnte nur noch daran denken, nicht laut herauszuschreien und sich irgendwo festzuklammern.

»Nehmen Sie meine Hände, und halten Sie sich so fest, wie Sie wollen.« Das war der Beifahrer des Krankenwagens, der sich über sie beugte. Er hatte Bartstoppeln und ein Grübchen am Kinn, und einen Augenblick glaubte Elizabeth, er sei ihr Vater, der gekommen war, um sie zu trösten. Aber ihr Vater war tot. War er nicht bei der Eisenbahnkreuzung umgekommen? Oder vielleicht doch nicht? Und er war jetzt hier bei ihr in diesem Krankenwagen, um zu einem Ort gebracht zu werden, wo sie beide gesund gepflegt würden? Dann wurde ihr Kopf wieder klar, und sie erkannte, daß es ein Fremder war und nicht ihr Vater, der da vor ihr saß und dessen Handgelenke rote Kratzspuren von ihren Fingernägeln zeigten.

Sie hatte Zeit, über die Kratzer zu streichen, ehe der Schmerz wieder über sie kam. Es war nur eine Geste, zu mehr war sie nicht fähig. Der Mann schüttelte den Kopf. »Macht nichts. Halten Sie so fest, wie Sie wollen. Wir sind bald da. Joe da vorn ist der beste Fahrer in der Stadt.« Dann kamen wieder Schmerzen, schlimmer als vorher. Die Pausen zwischen den Wehen wurden kürzer. In ihrem Rücken bohrte es, als ob ihre Knochen über alles Erträgliche hinaus verdreht würden, mit einem tödlichen Schmerz, dessen überwältigende Qual als flammendes Rot, Gelb und Purpur vor ihren Augen brannte. Ihre Nägel gruben sich tiefer, und sie schrie.

»Können Sie spüren, ob das Kind kommt?« Das war wieder der Begleiter. Er hatte gewartet, bis die letzte Wehe verklungen war, und sich dann vorgebeugt. Es gelang ihr, mit dem Kopf zu nicken und zu keuchen: »Ich. ich glaube, ja.«

»Also gut.« Er löste seine Hände sanft. »Halten Sie sich einen Augenblick hieran fest.« Er gab ihr ein Hindtuch, das er fest zusammengedreht hatte, schlug dann die Decke über der Bahre zurück und begann, ihr Kleid aufzuknöpfen. Dabei sagte er sanft: »Wir tun alles, was wir können, wenn es sein muß. Es ist nicht das erste, das ich hier zur Welt bringe. Ich bin Großvater, verstehen Sie, und kenne mich aus.« Seine letzten Worte wurden von ihrem Schrei übertönt. Wieder setzte in ihrem Rücken blendend, überwältigend das Crescendo tödlicher Qual ein, überflutete sie, vernichtend, unaufhaltsam. »Bitte.« Sie packte wieder seine Handgelenke, und er überließ sie ihr. Dünne Blutspuren erschienen, als sich ihre Nägel in seine Haut gruben. Er wendete den Kopf und rief nach vorn: »Wie kommen wir vorwärts, Joe?«

»Wir haben gerade Main und Liberty hinter uns.« Die großen Hände drehten scharf das Steuerrad. »Da war ein Polizist, der hat den Verkehr angehalten und uns dadurch eine Minute erspart.« Wieder eine Drehung nach links, dann beugte er den Kopf zurück. »Bist du schon Pate?«

»Noch nicht ganz, Joe, aber ich stehe dicht davor, glaube ich.« Wieder wurde das Steuer gedreht, eine scharfe Wendung nach rechts. Dann: »Wir haben es gleich geschafft, Alter, versuche es noch, eine Minute aufzuschieben.«

Alles, was Elizabeth in dem roten Nebel, der sie umgab, denken konnte, war: Mein Kind - es wird zu früh geboren. Es wird sterben. O Gott, laß es nicht sterben! Diesmal nicht! Bitte nicht wieder!

Auf der Entbindungsstation stand Dr. Dornberger gewaschen und im Operationsanzug bereit. Als er aus dem Waschraum in den belebten Zwischengang kam, der die Labors von den Entbindungsräumen trennte, sah er sich um. Durch die Glaswand ihres Büros erkannte ihn Mrs. Yeo, die Stationsschwester. Sie stand auf und brachte ihm ein Formular.

»Hier ist der Befund über den Sensibilitätstest Ihrer Patientin, Dr. Dornberger. Er kam gerade aus der Pathologie herauf.« Sie hielt ihm das Formular hin, so daß er lesen konnte, ohne es anzufassen.

»Es war auch Zeit.« Die Worte kamen für ihn ungewöhnlich knurrend heraus. Er überflog das Formular und sagte: »Sensibilität negativ, wie? Nun, von dieser Seite ist also keine Komplikation zu erwarten. Ist alles bereit?«

»Ja, Doktor.« Mrs. Yeo lächelte. Sie war eine nachsichtige Frau und vertrat die Ansicht, daß jeder Mann, einschließlich ihres eigenen, hin und wieder ein Recht hatte, brummig zu sein.

»Was ist mit dem Brutkasten?«

»Er ist schon da.«

Als Dornberger sich umsah, hielt eine Schwester die Außentür weit auf, während eine Helferin einen Isolette-Brutkasten hereinrollte. Die Schwester hielt das elektrische Kabel hoch, damit es nicht auf dem Boden schleifte, und warf Mrs. Yeo einen fragenden Blick zu.

»Ja, nach Nummer zwei, bitte.«

Die Schwester nickte und schob den Brutkasten durch eine Pendeltür unmittelbar vor sich. Als die Tür hinter ihr zufiel, kam ein Mädchen aus dem Schwesternzimmer.