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Der Praktikant notierte auf seinem Blatt >10 ccm aus<.

O'Donnell stellte den Hahn an der Spritze um und drückte dann den Kolben hinein, wodurch das dem Kind entzogene Blut in eines der Metallbecken abfloß.

Wieder stellte er den Hahn um, zog Spenderblut in die Spritze ein und injizierte es dann langsam und vorsichtig in das Kind.

Auf seinem Blatt notierte der Praktikant: >10 ccm ein.<

Mit peinlicher Sorgfalt fuhr O'Donnell fort. Jede Entnahme und Zufuhr wurde langsam und sorgfältig vollzogen, nahm ganze fünf Minuten in Anspruch. Er war versucht, sich zu beeilen, besonders in einem kritischen Fall wie dem vorliegenden. Aber O'Donnell wußte genau, daß er sich vor Eile hüten mußte. Der kleine Körper auf dem Tisch besaß nur noch geringe Widerstandskraft. Der geringste Schock mußte sofort tödlich wirken.

Dann, fünfundzwanzig Minuten, nachdem sie begonnen hatten, rührte sich das Baby und schrie. Es war ein dünner, unendlich schwacher Schrei, ein ohnmächtiger, kraftloser Protest, der schon im gleichen Moment endete, als er begann. Aber es war ein Lebenszeichen, und über den Masken stand in den Augen der im Raum Anwesenden ein Lächeln. Irgendwie schien die Hoffnung um eine Spur gewachsen.

O'Donnell wußte zu gut Bescheid, um voreilige Schlüsse zu ziehen. Trotzdem sagte er über die Schulter zu Dornberger: »Klingt, als ob er sich über uns ärgert. Das kann ein gutes Zeichen sein.«

Auch Dornberger hatte reagiert. Er beugte sich vor, um auf das Notizblatt des Praktikanten zu sehen, und regte dann vorsichtig an, bewußt, daß er selbst nicht die Leitung in Händen hatte: »Ein bißchen Kalziumgluconat, was meinen Sie?«

»Ja.« O'Donnell löste die Spritze von dem Hahn und brachte eine Zehn-Kubikzentimeter-Spritze an, die die Schwester ihm gereicht hatte. Er injizierte einen Kubikzentimeter, reichte die Spritze wieder zurück. Die Schwester tauschte sie gegen die ursprüngliche Spritze aus, die sie inzwischen in dem zweiten Metallbecken gespült hatte.

O'Donnell war sich bewußt, daß die Spannung in dem Raum nachließ. Er begann sich zu fragen, ob das Kind es nach allem doch überstehen würde. Er hatte Merkwürdiges erlebt, schon vor langem erfahren, daß nichts unmöglich war, daß man in der Medizin das Unfaßliche ebenso oft auf seiner Seite wie gegen sich hatte.

»Gut, machen wir weiter.«

Er entnahm zehn Kubikzentimeter, ersetzte sie, entnahm weitere zehn und ersetzte sie. Wieder zehn heraus und hinein, und wieder.

Dann fünfzig Minuten, nachdem sie begonnen hatten, verkündete die Schwester ruhig: »Die Temperatur sinkt, Doktor, sie ist 34.5.«

Er sagte schnelclass="underline" »Prüfen Sie den venösen Druck.«

Er stand auf 35 - viel zu niedrig.

»Die Atmung ist schlecht«, sagte der Praktikant, »seine Farbe ist auch nicht gut.«

O'Donnell befahclass="underline" »Prüfen Sie den Puls.« Zu der Schwester sagte er: »Sauerstoff.«

Sie griff nach einer Gummimaske und hielt sie über das Gesicht des Säuglings. Einen Augenblick später erklang das Zischen des ausströmenden Sauerstoffs.

»Der Puls ist sehr schwach«, sagte der Praktikant.

Die Schwester: »Die Temperatur ist auf 33,9 gefallen.«

Der Praktikant horchte den Säugling mit dem Stethoskop ab. Er sah auf: »Die Atmung wird schwächer.« Dann einen Augenblick später: »Sie hat ausgesetzt.«

O'Donnell nahm das Stethoskop, hörte selbst. Er konnte einen Herzschlag vernehmen, aber er war sehr schwach. Scharf befahl er: »Coramin, ein Kubikzentimeter.«

Während der Praktikant sich von dem Tisch abwandte, zog O'Donnell das bedeckende Laken zurück und begann mit künstlicher Atmung. Einen Augenblick später war der Praktikant zurück. Er hatte keine Zeit verloren. In seiner Hand hielt er eine Spritze bereit.

»Direkt ins Herz«, befahl O'Donnell, »das ist die einzige Chance.«

In der Pathologie begann Dr. David Coleman, ruhelos zu werden. Er war dort geblieben, hatte seit dem Anruf, der das Ergebnis des Bluttests mitteilte, mit Pearson gewartet. Gemeinsam hatten sie einige pathologische Befunde aufgearbeitet, die sich angesammelt hatten, aber die Arbeit war nur langsam vorwärtsgegangen. Beide Männer wußten, daß ihre Gedanken woanders waren. Nun war fast eine Stunde vergangen, und sie hatten noch nichts gehört.

Vor fünfzehn Minuten war Coleman aufgestanden und hatte überlegend gesagt: »Vielleicht sollte ich nachsehen, ob im Labor etwas vorliegt.«

Der alte Mann hatte mit Hundeaugen zu ihm aufgesehen und fast flehend gebeten: »Wollen Sie nicht lieber bleiben?«

Überrascht hatte Coleman geantwortet: »Gewiß, wenn Sie wünschen?« Und dann hatten sie sich wieder an die Aufgabe gemacht, die Zeit auszufüllen.

Auch David Coleman fiel das Warten schwer. Ihm war bewußt, daß seine Nerven fast so angespannt wie die Pearsons waren, wenn der alte Mann in diesem Augenblick seine Ängstlichkeit auch deutlicher zeigte. Jetzt erst erkannte Coleman, in welchem Maß er selbst an diesem Fall inneren Anteil nahm. Die Tatsache, daß er in der Frage des Bluttests recht behalten und Pearson sich geirrt hatte, gab ihm keine Befriedigung. Alles, was er jetzt um Alexander und seiner Frau willen inbrünstig wünschte, war, daß ihr Kind am Leben blieb. Die Kraft seiner eigenen Gefühle überraschte ihn. Es war ungewöhnlich, daß ihn irgend etwas so tief ergriff. Allerdings hatte er John Alexander von Anfang an gut leiden können, und als er später seine Frau kennenlernte und erfuhr, daß sie alle drei aus der gleichen kleinen Stadt stammten, schien eine Art von Zugehörigkeit entstanden zu sein, die unausgesprochen blieb, aber echt war.

Die Zeit verstrich langsam. Jede Minute des Wartens schien länger zu dauern als die vorherige. Er versuchte, an ein Problem zu denken, um seine Gedanken abzulenken. Das half immer, wenn er Zeit totschlagen mußte. Er entschloß sich, sich auf einige der Aspekte des Falles Alexander zu konzentrieren. Die Tatsache, daß das Ergebnis des Coombs-Tests mit dem Blut des Säuglings positiv ausfiel, bedeutet: auch die Mutter hat Rh-sensibilisiertes Blut. Er überlegte, wie das eingetreten sein konnte.

Die Mutter, Elizabeth Alexander, konnte natürlich während ihrer ersten Schwangerschaft sensibilisiert worden sein. David Coleman überlegte. Das brauchte das erste Kind nicht beeinflußt zu haben. Das war das Kind, das an - was hatte sie doch noch gesagt? ah ja, Bronchitis gestorben war. Es kam viel häufiger vor, daß sich die Rh-Sensibilisierung erst während einer zweiten Schwangerschaft auswirkte.

Eine andere Möglichkeit war natürlich, daß Elizabeth einmal bei einer Gelegenheit eine Transfusion mit Rh-positivem Blut empfangen hatte. Er hielt inne. In seinem Kopf regte sich nagend, aber noch unklar, ein Gedanke, das unbehagliche Gefühl, daß er dicht vor etwas stand, was er noch nicht ganz erkannt hatte. Er runzelte die Stirn und konzentrierte sich. Dann wurde das Bild plötzlich klar. Das, wonach er getastet hatte, lag vor ihm, deutlich und scharf erkennbar. Sein Verstand registrierte: Transfusion. Der Unfall in New Richmond, die Eisenbahnkreuzung, an der Elizabeths Vater getötet, sie selbst schwer verletzt worden, aber am Leben geblieben war.

Wieder konzentrierte Coleman sich. Er versuchte sich zu erinnern, was John Alexander an jenem Tag über Elizabeth gesagt hatte. Er hörte die Worte wieder: »Elizabeth starb beinahe. Aber sie gaben ihr Bluttransfusionen, und sie kam durch. Ich glaube, das war das erstemal, daß ich je in einem Krankenhaus war. Ich habe dort fast eine Woche gelebt.«

Er würde es natürlich nie beweisen können, nicht nach all den Jahren, aber er war bereit, alles, was er besaß, darauf zu setzen, daß folgendes geschehen war: Das Vorhandensein des Rh-Faktors wurde der Medizin erst in den vierziger Jahren bekannt. Danach dauerte es weitere zehn Jahre, bis Rh-Tests von allen Krankenhäusern und Ärzten allgemein übernommen wurden. In der Zwischenzeit wurden an vielen Orten Bluttransfusionen durchgeführt, ohne daß der Rh-Faktor überprüft wurde. In New Richmond wahrscheinlich auch. Der Zeitpunkt stimmte. Elizabeths Unfall mußte 1949 gewesen sein. Er erinnerte sich, daß sein Vater ihm später davon erzählt hatte.