Выбрать главу

Joe Pearson saß immer noch an seinem Platz, gerade wie Coleman ihn verlassen hatte. Er sah auf, machte aber keine Anstalten, sich zu erheben.

Dornberger sprach als erster. Er sprach ruhig, ohne Feindschaft, so, als wolle er den Ton für die Unterhaltung bestimmen, als einen Dienst für einen alten Freund. Er sagte: »Das Kind ist tot, Joe. Ich nehme an, du hast es schon erfahren.«

Pearson antwortete langsam: »Ja, ich habe es gehört.«

»Ich habe Dr. O'Donnell alles berichtet, was geschehen ist.« Dornbergers Stimme schwankte. »Es tut mir leid, Joe. Es blieb mir nichts anderes übrig.«

Pearson machte eine kleine, hilflose Bewegung mit seinen Händen. Von seiner alten Aggressivität war keine Spur übriggeblieben. Ausdruckslos antwortete er: »Es ist gut.«

O'Donnell paßte seinen Ton dem Dornberges an. Er fragte: »Haben Sie irgend etwas zu sagen, Joe?«

Zweimal schüttelte Pearson langsam den Kopf.

»Joe, wenn es nur dieser Fall wäre.« O'Donnell suchte nach den richtigen Worten, von denen er wußte, daß es sie nicht gab. »Wir begehen alle Fehler. Vielleicht würde ich.« Das hatte er gar nicht sagen wollen. Er festigte seine Stimme und fuhr strenger fort: »Aber es ist eine lange Liste, Joe. Wenn ich das vor den medizinischen Ausschuß bringen muß . Ich glaube, Sie wissen genau, was die Kollegen sagen werden. Sie würden es sich und uns allen erleichtern, wenn morgen vormittag um zehn Uhr Ihre Rücktrittserklärung bei der Verwaltung vorläge.«

Pearson sah O'Donnell an. »Zehn Uhr«, bestätigte er. »Sie sollen sie haben.«

Es entstand eine Pause. O'Donnell wandte sich ab, drehte sich wieder um. »Joe«, sagte er, »es tut mir leid. Aber Sie wissen ja selbst, daß ich keine Wahl habe.«

»Ja.« Die Antwort kam flüsternd, während Pearson dumpf nickte.

»Natürlich steht Ihnen Ihre Pension zu. Das ist nach zweiunddreißig Jahren nur recht und billig.« O'Donnell hörte deutlich, wie hohl seine Worte klangen.

Zum erstenmal, seit sie hereingekommen waren, veränderte sich Pearsons Ausdruck. Mit dem Anflug eines gequälten Lächelns sah er O'Donnell an. »Danke.«

Zweiunddreißig Jahre! O'Donnell dachte: Mein Gott, das ist der größte Teil der Lebensarbeit eines Mannes. Und so muß es enden. Er hätte gern mehr gesagt, versucht, es für alle leichter zu machen, Worte zu finden, um das Gute anzuerkennen, das Joe Pearson geleistet hatte - er mußte viel Gutes in seinem Leben geleistet haben. Während er noch nach Worten suchte, kam Harry Tomaselli herein.

Der Verwaltungsdirektor war in Eile. Er hatte sich nicht damit aufgehalten, erst anzuklopfen. Er sah zuerst Pearson an. Dann fiel sein Blick auf Dornberger und O'Donnell. »Kent«, sagte er gehetzt, »ich bin froh, daß Sie hier sind.«

Ehe O'Donnell antworten konnte, wandte Tomaselli sich wieder Pearson zu. »Joe«, begann er, »können Sie sofort mit in mein Büro kommen? In einer Stunde habe ich eine dringende Sitzung des Stabes einberufen. Ich wollte nur vorher noch mit Ihnen sprechen.«

Scharf fragte O'Donnelclass="underline" »Eine Sondersitzung? Weshalb?«

Tomaselli drehte sich um. Sein Gesicht war ernst, seine Augen besorgt. »Im Krankenhaus wurde Typhus entdeckt«, verkündete er. »Dr. Chandler hat zwei Fälle gemeldet, und vier weitere sind typhusverdächtig. Es liegt eine Epidemie vor, und wir müssen den Ursprung finden.«

Elizabeth sah auf, als sich die Tür öffnete und John eintrat. Er schloß die Tür hinter sich, lehnte sich einen Augenblick mit dem Rücken dagegen. Es wurde kein Wort gesagt, nur ihre Augen sprachen - Trauer, flehende Bitten und eine überwältigende Liebe.

Sie streckte die Arme aus, und er eilte zu ihr.

»Johnny, Johnny, Liebling.« Das war alles, was sie murmeln konnte, ehe sie leise zu weinen begann.

Nach einer Weile, während der er sie fest umfangen hielt, löste er sich von ihr und trocknete ihre Tränen mit demselben Taschentuch, das er selbst schon dazu benutzt hatte.

Später sagte er: »Elizabeth, Liebste, wenn du es immer noch willst. Jetzt würde ich es gern versuchen.«

»Was es auch ist«, antwortete sie, »selbstverständlich: ja.«

»Ich glaube, du hast es immer gewünscht«, sagte er, »jetzt will ich es auch. Ich schreibe morgen um die Papiere. Ich will versuchen, doch noch Medizin zu studieren.«

Mike Seddons stand von seinem Stuhl auf und ging in dem kleinen Krankenzimmer auf und ab. »Aber das ist lächerlich«, sagte er hitzig. »Es ist absurd, es ist sinnlos, und ich werde es nicht tun.«

»Um meinetwillen, Liebling.«

Vivian drehte sich im Bett, so daß ihr Gesicht ihm zugewendet war.

»Aber es nützt dir nicht im geringsten, Vivian. Das ist nur eine alberne, dumme Idee, die du irgendwo in einem viertklassigen, sentimentalen Roman aufgelesen hast.«

»Mike, Liebling, ich liebe dich so sehr, wenn du wütend bist. Es paßt so gut zu deinem schönen, roten Haar.« Sie lächelte ihm zärtlich zu, als ihre Gedanken sich zum erstenmal von der unmittelbaren Gegenwart abwandten. »Versprich mir etwas!«

»Was?« Er war immer noch ärgerlich, seine Antwort kurz.

»Versprich mir, daß du manchmal wütend bist, wenn wir verheiratet sind - wirklich wütend -, damit wir uns streiten können und nachher die Freude haben, uns wieder zu versöhnen.«

Unwillig antwortete er: »Das ist ein genauso alberner Einfall wie der andere. Und überhaupt, was hat es für einen Sinn, von Heiraten zu reden, wenn du willst, daß ich mich von dir fernhalte?«

»Nur für eine Woche, Mike, Liebling. Gerade eine Woche, das ist alles.«

»Nein.«

»Hör mich an, Liebling.« Sie drängte. »Bitte, komm her und setz dich und hör mich an. Bitte.«

Er zögerte, kam dann widerwillig zu dem Stuhl neben dem Bett zurück. Vivian ließ ihren Kopf in die Kissen zurücksinken, das Gesicht ihm zugewandt. Sie lächelte und streckte ihre Hand aus. Er nahm sie zärtlich, sein Ärger verflog. Nur ein unbestimmter, beunruhigender Zweifel blieb.

Es war der vierte Tag, nachdem Vivian nach der Operation in ihr Zimmer zurückgebracht worden war. Der Stumpf an ihrem Oberschenkel verheilte gut. Sie hatte immer noch lokale Schmerzen und die unvermeidliche Druckempfindlichkeit. Aber das große, überwältigende Leiden der ersten zwei Tage der Genesung hatte aufgehört, und gestern hatte Dr. Grainger mit Vivians Wissen und Zustimmung die zuerst verordneten Injektionen abgesetzt, durch die die Schmerzen während der schlimmsten, jetzt überwundenen Zeit gemildert worden waren. Nur eines fand Vivian entsetzlich - etwas Überraschendes, womit sie nicht gerechnet hatte. Der Fuß an ihrem amputierten Bein - ein Fuß, den sie nicht mehr besaß juckte häufig mit bösartiger, immer wieder auftretender Heftigkeit. Es war eine Qual, ihn nicht kratzen zu können. Als das Jucken zum erstenmal auftrat, hatte sie mit ihrem rechten Fuß nach der Sohle des anderen getastet. Dann hatte sie eine Zeitlang erleichtert geglaubt, die Amputation sei doch nicht vorgenommen worden. Erst als Dr. Grainger ihr versicherte, daß die Erscheinung völlig normal sei und bei den meisten Patienten auftrete, die ein Glied verloren hatten, wurde ihr klar, daß ihre Hoffnung eine Illusion gewesen war. Dessenungeachtet war es ein unerfreuliches Gefühl, und Vivian hoffte, daß es bald verschwinden würde.

Auch psychologisch schien ihre Genesung gute Fortschritte zu machen. Von dem Augenblick an, als Vivian am Tag vor der Operation mit der schlichten Tapferkeit, die Mike Seddons so tief beeindruckte, sich mit dem Unausweichlichen abfand, hatte ihre Gemütsverfassung sich nicht verändert und sie aufrecht gehalten. Noch gab es Augenblicke der Finsternis und Verzweiflung. Sie kamen über sie, wenn sie allein war, und zweimal, als sie in der Nacht erwachte, das Krankenhaus um sie herum still und unheimlich, hatte sie still um das geweint, was sie verloren hatte. Aber meistens verbannte sie deprimierte Stimmungen, und die ihr innewohnende Kraft half ihr, sie zu überwinden.