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Als O'Donnell zur Tür blickte, sah er Lucy Grainger, die gerade hereinkam. Sie begegnete seinem Blick und lächelte leicht. Lucys Anblick erinnerte ihn an die Entscheidung über seine persönliche Zukunft, die ihm noch bevorstand, wenn das, was jetzt vorlag, geklärt und geregelt war. Dann fiel ihm plötzlich auf, daß er seit heute vormittag nicht einmal an Denise gedacht hatte. Die Arbeit im Krankenhaus hatte keinen Gedanken an sie aufkommen lassen, und er wußte, daß es ihm jedenfalls in den nächsten beiden Tagen ebenso gehen würde. O'Donnell fragte sich, wie Denise sich verhalten würde, wenn sie den zweiten Platz hinter der Medizin einnehmen müsse. Würde sie Verständnis zeigen? So verständig sein wie Lucy etwa? So flüchtig der Gedanke auch war, es wurde ihm dabei unbehaglich, als ob er durch diesen Vergleich einen Verrat begehe. Im Augenblick zog er es vor, an die unmittelbar vorliegenden Dinge zu denken. Es war Zeit, die Sitzung zu eröffnen.

O'Donnell klopfte, um Ruhe zu gebieten, wartete geduldig, bis alle Gespräche verstummt und diejenigen, die noch standen, ihre Sitze eingenommen hatten. Mit ruhiger Stimme begann er: »Meine Damen und Herren! Ich glaube, allen von uns ist bekannt, daß Epidemien in Krankenhäusern nichts Seltenes sind und tatsächlich weit häufiger auftreten, als der größte Teil der Öffentlichkeit vermutet. In gewisser Weise kann man wohl sagen, daß Epidemien zu den ständigen Gefährdungen unseres Daseins gehören. Wenn man berücksichtigt, wie viele Krankheiten wir in diesen Mauern behandeln, ist es eigentlich überraschend, daß sie nicht häufiger auftreten.« Alle Augen im Raum waren auf ihn gerichtet. Er schwieg einen Augenblick und fuhr dann fort: »Ich habe nicht die Absicht, das, was geschehen ist, zu bagatellisieren, aber ich möchte, daß wir uns den Sinn für Proportionen erhalten. Dr. Chandler, vielleicht sind Sie so freundlich, uns über die Lage zu informieren.«

Während O'Donnell sich setzte, erhob sich der Leiter der inneren Abteilung von seinem Platz.

»Lassen Sie mich mit einer Zusammenfassung beginnen.« Harvey Chandler hielt sein Notizblatt in der Hand, und sein Blick schweifte theatralisch durch den Raum. Das macht Harvey Spaß, dachte O'Donnell, aber er sieht sich ja immer gern im Mittelpunkt. Der Häuptling der inneren Medizin fuhr fort: »Das Bild zeigt bisher zwei eindeutige Typhusfälle und vier Fälle mit Typhusverdacht. Alle Erkrankten sind Angestellte des Krankenhauses, und wir können uns glücklich schätzen, daß keine Patienten davon betroffen sind - jedenfalls noch nicht. Auf Grund der Zahl der Fälle ist Ihnen zweifellos so offensichtlich wie mir, daß wir irgendwo in dem Krankenhaus einen Typhusträger haben müssen. Nun darf ich sagen, daß ich ebenso schockiert bin, wie es jeder sein muß, als ich erfuhr, daß Untersuchungen des Küchenpersonals nicht mehr durchgeführt wurden, seit.«

Bei der Erwähnung des Küchenpersonals war O'Donnell aufgefahren. Jetzt unterbrach er so ruhig und höflich wie er konnte: »Entschuldigen Sie, Doktor.«

»Ja?« Chandlers Ton machte deutlich, daß er über die Unterbrechung ungehalten war.

Freundlich sagte O'Donnelclass="underline" »Wir werden auf diesen Punkt gleich zu sprechen kommen, Harvey. Für den Augenblick möchte ich Sie bitten, nur die klinischen Aspekte darzulegen.«

Er konnte den Ärger des anderen spüren. Harvey Chandler, der praktisch in der Krankenhaushierarchie den gleichen Status wie O'Donnell einnahm, gefiel das ganz und gar nicht. Außerdem liebte Dr. Chandler es, lange Reden zu halten. Er stand in dem Ruf, sich niemals mit einem Wort zu begnügen, wenn man zwei oder drei verwenden konnte. Jetzt murmelte er: »Also gut, wenn Sie das so wünschen, aber.«

Liebenswürdig, aber fest warf O'Donnell dazwischen: »Ich danke Ihnen.«

Chandler warf ihm einen Blick zu, der besagte: darüber werden wir uns später noch privat unterhalten. Dann fuhr er nach einem kaum wahrnehmbaren Zögern fort: »Zur Informierung jener, die mit Typhus nicht vertraut sind - und ich weiß wohl, daß es bei einigen der Fall sein wird, weil man Typhus heutzutage nicht mehr oft antrifft -, will ich die wichtigsten Symptome des Anfangsstadiums darlegen. Allgemein gesprochen, es tritt steigendes Fieber auf, mit Schüttelfrost und langsamem Puls. Die Blutzählungen sind niedrig, und natürlich treten die charakteristischen rötlichen Flecke auf. Außerdem wird der Patient neben all dem wahrscheinlich über dumpfe Kopfschmerzen, Appetitlosigkeit und allgemeines Unbehagen klagen. Manche Patienten werden sagen, daß sie tagsüber benommen und während der Nacht ruhelos sind. Ein weiterer Punkt besteht darin, auf Bronchitis zu achten, die recht häufig mit Typhus zusammen auftritt, und man kann auch Nasenbluten finden. Und selbstverständlich eine druckempfindliche geschwollene Milz.«

Damit setzte sich der Chef der inneren Abteilung. O' Donnell fragte: »Irgendwelche Fragen?«

Lucy Grainger sagte: »Ich nehme an, daß Typhusimpfungen angesetzt sind?«

»Ja, für alle Angestellten und Mitglieder des Ärztestabes und auch für die Patienten, deren Gesundheitszustand es zuläßt.«

»Welche Maßnahmen sind in der Küche vorgesehen?« Die Frage kam von Bill Rufus.

O'Donnell antwortete: »Wenn Sie erlauben, kommen wir noch darauf zu sprechen. Ist im Augenblick noch zum Medizinischen eine Frage?«Er sah sich um, überall Kopfschütteln. »Also gut. Hören wir jetzt die Pathologie.« Er verkündete ruhig: »Dr. Pearson.«

Bis zu diesem Augenblick waren im Hintergrund Geräusche zu hören gewesen. Unruhe, Rücken von Stühlen, gemurmelte Unterhaltung neben den Ausführungen der Sprecher. Aber jetzt herrschte völlige Stille, während sich die Blicke aller neugierig dem Platz in der Mitte des langen Tisches zuwandten, wo Joe Pearson saß. Seit er eingetreten war, hatte er kein Wort gesprochen, sondern schweigend vor sich hingestarrt. Zum erstenmal hatte er sich keine Zigarre angezündet, und das wirkte wie das Fehlen eines vertrauten Wahrzeichens. Selbst jetzt, als sein Name aufgerufen wurde, bewegte er sich nicht.

O'Donnell war schon im Begriff, den Pathologen noch einmal aufzurufen, als Pearson sich rührte. Der alte Mann schob seinen Stuhl zurück und stand auf.

Langsam wanderten seine Augen durch den Sitzungssaal, den ganzen Tisch entlang und wieder zu seinem Kopfende zurück. Während er O'Donnell gerade ansah, sagte Pearson: »Diese Epidemie hätte nicht auftreten dürfen. Es wäre auch nicht geschehen, wenn die Pathologie auf Versäumnisse bei den hygienischen Vorsichtsmaßregeln geachtet hätte. Für diese Nachlässigkeit ist meine Abteilung verantwortlich - und damit ich selbst.«

Wieder Schweigen. Es war wie ein historischer Augenblick. Viele Male hatte Joe Pearson in diesem Raum andere beschuldigt, Fehler begangen und Fehlurteile gefällt zu haben. Jetzt stand er vor ihnen und war Ankläger und Angeklagter zugleich.

O'Donnell fragte sich, ob er ihn unterbrechen solle. Er entschied sich dagegen. Wieder sah sich Pearson um. Dann sagte er langsam: »Nachdem festgestellt ist, wo ein Teil der Schuld liegt, müssen wir jetzt verhindern, daß sich die Epidemie weiter ausbreitet.« Er sah über den Tisch zu Harry Tomaselli hinüber. »Der Verwaltungsdirektor, die Abteilungsleiter und ich haben bestimmte Maßnahmen festgelegt, die sofort ergriffen werden müssen. Ich will sie Ihnen erläutern.«

Pearson schwieg. Als er weitersprach, klang seine Stimme fester. Es ist fast, dachte O'Donnell, als ob der alte Mann in diesem Augenblick einen Teil seiner Jahre abwerfe, als ob er ein Bild von dem bieten wolle, was er vor langer Zeit als junger Arzt einmal gewesen war: eindringlich, ernst, fähig. Der alte sarkastische Witz, seine Verachtung für die Hoheitsgebiete anderer, die sie alle in diesem Raum so gut kennengelernt hatten, waren verschwunden. An ihrer Stelle standen Autorität und Wissen und die gerade Offenheit eines Mannes, der ohne zu fragen voraussetzt, daß er mit seinesgleichen spricht.