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»Zwei der Patienten sind Schwestern«, sagte Chandler. »Eine aus der Psychiatrie, die andere aus der Urologie. Die beiden anderen Fälle sind Männer, ein Arbeiter aus dem Generatorraum und ein Angestellter aus der Verwaltung.«

»Sie kommen also alle aus weit auseinander gelegenen Teilen des Krankenhauses«, sagte O'Donnell nachdenklich.

»Richtig. Sie haben nur einen gemeinsamen Berührungspunkt, nämlich die Krankenhausküche. Ich denke, wir sind fraglos auf der richtigen Spur.«

»Dann will ich Sie nicht länger aufhalten«, sagte O'Donnell. »Sie haben noch zwei Leute draußen warten, aber andere haben noch mehr, und wir verteilen die übrigen neu.«

»Gut«, antwortete Chandler. »Ich mache weiter, bis wir fertig sind. Es darf uns nichts aufhalten, gleichgültig, wie lange es dauert.« Er richtete sich auf seinem Stuhl etwas auf. Er hatte das Gefühl, daß seine Worte den richtigen markigen und mannhaften Ton hatten.

»Ausgezeichnet«, antwortete O'Donnell. »Ich überlasse alles Ihnen.«

Etwas pikiert über die beiläufige Reaktion bat der Chef der inneren Abteilung steif: »Bitten Sie die Schwester, den nächsten hereinzuschicken. «

»Aber gern.«

O'Donnell ging hinaus, und einen Augenblick später trat eine Küchenhelferin ein. Sie hielt eine Karte in der Hand. Chandler sagte: »Geben Sie das mir. Setzen Sie sich, bitte.« Er legte die Karte vor sich und nahm ein neues Krankenblatt.

»Ja, Sir«, sagte das Mädchen.

»Als erstes möchte ich Ihre bisherigen Krankheiten wissen, Ihre eigenen, aber auch die Ihrer Familie - soweit wir es zurückverfolgen können. Beginnen wir bei Ihren Eltern.«

Während das Mädchen auf seine eindringlichen Fragen antwortete, füllte Chandler das Formular mit schnell geschriebenen Notizen aus. Als er fertig war, lag, wie immer bei ihm, eine vorbildliche Krankengeschichte vor, die geeignet war, als Muster in jedes medizinische Lehrbuch aufgenommen zu werden. Einer der Gründe, weshalb Dr. Chandler es zum Chef der inneren Abteilung im Three Counties Hospital gebracht hatte, lag darin, daß er ein außerordentlich genauer und gewissenhafter Kliniker war.

Während Kent O'Donnell die beschlagnahmte Abteilung für ambulante Patienten verließ, erlaubte er sich zum erstenmal, aus einigem Abstand heraus über die Ereignisse dieses Tages nachzudenken. Es war jetzt Nachmittag, und seit dem Morgen war zu vieles geschehen, als daß er schon alle Auswirkungen der Ereignisse übersehen konnte.

Schnell und unerwartet hatte er zuerst von der falschen Diagnose über den Zustand des Kindes erfahren, und bald danach war dessen Tod eingetreten. Darauf erfolgten Charlie Dornbergers Rücktritt und Pearsons Entlassung und die Entdeckung, daß in dem Krankenhaus seit über sechs Monaten die elementarsten hygienischen Kontrollmaßnahmen vernachlässigt worden waren. Und nun die Typhusfälle mit der Drohung einer ernsten Epidemie, die wie ein rächendes Schwert über dem Three Counties Hospital hing.

So vieles war auf einmal zusammengekommen. Warum nur? Wie konnte das geschehen? War es ein plötzlich zutage getretenes Symptom für ein Leiden, das bisher unentdeckt das Krankenhaus gepackt hielt? Stand vielleicht noch mehr bevor? War es ein Vorzeichen für den bald bevorstehenden allgemeinen Verfall? Hatten sie sich alle der Überheblichkeit schuldig gemacht - die O'Donnell vielleicht sogar selbst verursacht hatte?

Er dachte: wir waren alle sicher, so sicher, daß das gegenwärtige Regime besser als das vorherige ist. Dafür hatten wir gearbeitet. Wir glaubten, wir seien schöpferisch und kämen weiter, wir errichteten einen Tempel des Heilens, einen Ort, wo Medizin verantwortungsbewußt gelehrt und praktiziert würde. Aber wir haben versagt, schimpflich und blind versagt, gerade durch unsere guten Absichten. Waren wir dumm und verblendet, hatten wir unsere Blicke nach den Wolken gerichtet, auf schillernde Ideale, während wir die klaren, irdischen Warnungen des Alltags nicht beachteten? Was haben wir hier geschaffen? O'Donnell prüfte sich. War es wirklich eine Stätte des Heilens? Oder haben wir in unserer Torheit ein blendendes Grabmal errichtet - einen hohlen, antiseptischen Schrein?

In diese bohrenden und quälenden Gedanken versunken ging O'Donnell mechanisch durch das Krankenhaus, ohne auf seinen Weg zu achten. Jetzt kam er zu seinem Büro und trat ein.

Er blieb am Fenster stehen und sah auf den Vorplatz des Krankenhauses hinunter. Wie immer kamen und gingen dort Menschen. Er sah einen humpelnden Mann, eine Frau stützte ihn. Sie gingen vorbei und verschwanden. Ein Wagen fuhr vor, ein Mann sprang heraus und half einer Frau hinein. Eine Schwester erschien und reichte der Frau ein Baby. Die Türen wurden zugeschlagen, der Wagen fuhr an. Ein Junge an Krücken tauchte auf. Er bewegte sich schnell, schwang seinen Körper mit der Mühelosigkeit langer Übung. Ein alter Mann in einem langen Regenmantel hielt ihn an. Der Alte schien seinen Weg nicht zu wissen. Der Junge wies ihm die Richtung. Gemeinsam näherten sie sich dem Krankenhaus.

O'Donnell dachte: sie kommen als Bittende zu uns, voller Vertrauen. Sind wir dessen wert? Entschuldigen unsere Erfolge unsere Fehler? Können wir im Lauf der Zeit durch unsere Hingabe unsere Irrtümer wiedergutmachen? Werden sie uns je vergeben?

Nüchtern zog er die Folgerung. Nach dem heutigen Tag mußte vieles geändert werden, Lücken geschlossen - nicht nur die schon entdeckten, sondern andere, die sie durch eifriges Suchen noch aufdecken mußten. Sie mußten nach den schwachen Stellen tasten, bei sich selbst und in der Organisation des Krankenhauses. Sie mußten selbstkritischer sein, sich häufiger selbst überprüfen. Der heutige Tag, dachte er, soll ein helleuchtendes Mahnmal, ein Kreuz des Leidens, ein Zeichen für den neuen Anfang sein.

Es gab so vieles zu tun; viel Arbeit lag vor ihnen. Sie würden in der Pathologie anfangen, der schwachen Stelle, an der die Heimsuchung begonnen hatte. Aber sie mußten auch woanders neu ordnen. Da waren noch andere Abteilungen, von denen er vermutete, daß sie es dringend brauchten. Es lag jetzt endgültig fest, daß die Arbeit an dem Neubau im Frühjahr beginnen sollte, und beide Programme mußten miteinander verbunden werden. O'Donnell begann zu planen, sein Verstand arbeitete schnell.

Das Telefon klingelte.

Die Zentrale meldete: »Dr. O'Donnell, ein Ferngespräch für Sie.«

Es war Denise. Ihre Stimme hatte den gleichen gedeckten, weichen Klang, der ihn von Anfang an bezaubert hatte. Nach der Begrüßung sagte sie: »Kent, mein Lieber, ich möchte, daß du dieses Wochenende nach New York kommst. Ich habe für Freitag abend ein paar Leute eingeladen und möchte dich ihnen vorführen.«

Er zögerte nur einen Augenblick, ehe er antwortete: »Es tut mir furchtbar leid, Denise, aber das wird mir nicht möglich sein.«

»Du mußt aber kommen.« Ihre Stimme war eindringlich. »Ich habe die Einladungen verschickt und kann unmöglich wieder absagen.«

»Ich fürchte, du verstehst mich nicht.« Er spürte selbst, daß er mühsam die richtigen Worte suchen mußte. »Wir haben eine Epidemie hier. Ich kann nicht eher fort, als bis die Gefahr abgewendet ist, und muß dann wenigstens erst noch ein paar andere Dinge ordnen.«

»Aber du hattest versprochen, daß du kommst, Lieber, sobald ich dich rufe.« Ihr Ton verriet eine Andeutung von Ungeduld. Er überraschte sich bei dem Wunsch, bei Denise zu sein. Er war überzeugt, daß er es ihr dann verständlich machen könnte. Aber konnte er es wirklich?

Er antwortete: »Bedauerlicherweise konnte ich nicht voraussehen, was kam.«

»Aber du leitest doch das Krankenhaus. Bestimmt kannst du die Verantwortung für ein oder zwei Tage jemand anders übertragen.« Es war offensichtlich, daß Denise nicht verstehen wollte.

Er antwortete fest: »Ich fürchte, das geht nicht.«

Am anderen Ende der Leitung folgte ein Schweigen. Schließlich sagte Denise leichthin: »Ich habe dich gewarnt, Kent. Ich bin eine sehr besitzbewußte Person.«