»Und wenn sie den unglücklichen Fürsten erkennen, wenn sie auf ihn stoßen? hat er nicht seine Gestalt verhüllt und unkenntlich gemacht? Du hast mir einmal sein Gesicht beschrieben und ich glaube ihn beinahe vor mir zu sehen, besonders sein gebietendes, glänzendes Auge. Aber wie ist seine Gestalt?«
»Er mag kaum acht Jahre älter sein als Ihr«, entgegnete jener, »er ist nicht so groß, als Ihr, aber in vielem Euch ähnlich an Gestalt; besonders wenn Ihr zu Pferd saßet und ich hinter Euch ging, da gemahnte es mich oft und ich dachte, so, geradeso sah der Herzog aus, in den Tagen seiner Herrlichkeit.«
Georg war aufgestanden, um nach seinem Pferd zu sehen; die Worte des Bauern hatten ihn um seine Sicherheit besorgt gemacht, und er sah jetzt erst ein, wie töricht er gehandelt, in diesem Kriegesstrudel sich durch ein okkupiertes Land stehlen zu wollen. Es wäre ihm höchst unangenehm gewesen, in diesem Augenblicke gefangen zu werden; zwar konnte er nach seinem Eide reisen wohin er wollte, wenn er nur in den nächsten vierzehn Tagen keinen tätlichen Anteil an dem Kampfe gegen den Bund nahm; aber er fühlte, welch nachteiliges Licht es dennoch auf ihn werfen müßte, in dieser Gegend, so weit von dem Weg nach seiner Heimat aufgegriffen zu werden, und dazu noch in Gesellschaft eines Mannes, der den Bundesobersten sehr verdächtig, sogar gefährlich geschienen hatte. Umzukehren war keine Möglichkeit, denn es ließ sich beinahe mit Gewißheit annehmen, daß die Bundestruppen bereits die ganze Breite der Alb eingenommen haben; das sicherste schien, sich zu beeilen, über die äußersten Posten des Heeres hinauszukommen; man hatte dann die Gefahr im Rücken, vor und neben sich aber freie Bahn.
Das sonst so muntere Tier, das seinen Herrn über diese Gefahren hinaustragen sollte, hing die Ohren; die große Eile und die ermüdenden, steinigen Fußpfade hatten seine Kraft geschwächt; zu seinem großen Verdruß bemerkte Georg sogar, daß es auf dem linken Vorderfuß nicht gerne auftrete, was nach einem achtstündigen Weg über scharfe, eckigte Felsen nicht zu verwundern war. Der Bauer bemerkte die Verlegenheit des Junkers; er untersuchte das Tier, und riet, es noch einige Stunden stehen zu lassen, gab aber zugleich den Trost, er seie der Gegend so kundig, daß sie eine große Strecke in der Nacht zurücklegen können.
XIV
Es ziehen vom Schwabenbunde
Die Jäger durchs Gefild,
Die spüren in die Runde
Nach einem Fürstenwild.
Der junge Mann ergab sich in sein Schicksal, und suchte Zerstreuung in der lieblichen Aussicht, die sich noch bei weitem herrlicher seinen Augen öffnete, als ihn der Bauer etwa fünfzig Schritte höher geführt hatte. Sie standen auf einer Felsenecke, die einen schönen Ausläufer der Schwäbischen Alb begrenzte. Ein ungeheures Panorama breitete sich vor den erstaunten Blicken Georgs aus, so überraschend, von so lieblichem Schmelz der Farben, von so erhabener Schönheit, daß seine Blicke eine geraume Zeit wie entzückt an ihnen hingen. Und wirklich, wer je mit reinem Sinn für Schönheiten der Natur, ohne himmelhohe Alpen, ohne Täler wie das Rheingau zu suchen, die Schwäbische Alb bestiegen hat, dem wird die Erinnerung eines solchen Anblickes unter die lieblichsten der Erde gehören.
Man denke sich eine Kette von Gebirgen, die von der weitesten Entfernung, dem Auge kaum erreichbar, durch alle Farben einer herrlichen Beleuchtung von sanftem Grau, durch alle Nüancen von Blau, am Horizont sich herzieht, bis das dunkle Grün der näher liegenden Berge mit seinem sanften Schmelz die Kette schließt. Auf diesen Gipfeln eines langen Gebirgsrücken erkennt das Auge Schlösser und Burgen ohne Zahl, die wie Wächter auf diese Höhen sich lagern und über das Land hinschauen. Jetzt sind ihre Türme zerfallen, ihre stattlichen Tore sind gebrochen, den tiefen Burggraben füllen Trümmer und Moos, und die Hallen, in welchen sonst laute Freude erscholl, sind verstummt, aber damals, als Georg auf dem Felsen von Beuren stand, ragten sie noch fest und herrlich; sie breiteten sich wie eine undurchbrochene Schar gewaltiger Männer zwischen den Heldengestalten von Staufen und Hohenzollern aus.
»Ein herrliches Land dieses Württemberg«, rief Georg, indem sein Auge von Hügel zu Hügel schweifte; »wie kühn, wie erhaben diese Gipfel und Bergwände, diese Felsen und ihre Burgen; und wenn ich mich dorthin wende gegen die Täler des Neckars wie lieblich jene sanften Hügel, jene Berge mit Obst und Wein besetzt, jene fruchtbaren Täler mit schönen Bächen und Flüssen, dazu ein milder Himmel und ein guter, kräftiger Schlag von Menschen.«
»Ja«, fiel der Bauer ein, »es ist ein schönes Land; doch hier oben will es noch nicht viel sagen, aber was so unter Stuttgart ist, das wahre Unterland, Herr! da ist es eine Freude im Sommer oder Herbst, am Neckar hinabzuwandeln; wie da die Felder so schön und reich stehen, wie der Weinstock so dicht und grün die Berge überzieht, und wie Nachen und Flöße den Neckar hinauf- und hinabfahren, wie die Leute so fröhlich an der Arbeit sind, und die schönen Mädchen singen wie die jungen Lerchen!«
»Wohl sind jene Täler an der Rems und dem Neckar schöner«, entgegnete Georg, »aber auch dieses Tal zu unsern Füßen, auch diese Höhen um uns her haben eigenen, stillen Reiz; wie heißen jene Burgen auf den Hügeln? sage, wie heißen jene fernen Berge?«
Der Bauer überblickte sinnend die Gegend, und zeigte auf die hinterste Bergwand, die dem Auge kaum noch sichtbar aus den Nebeln ragte. »Dort hinten zwischen Morgen und Mittag ist der Roßberg, in gleicher Richtung herwärts, jene vielen Felsenzacken sind die Höhen von Urach. Dort, mehr gegen Abend ist Achalm, nicht weit davon, doch könnt Ihr ihn hier nicht sehen, liegt der Felsen von Lichtenstein.«
»Dort also«, sagte Georg stille vor sich hin, und sein Auge tauchte tief in die Nebel des Abends, »dort wo jenes Wölkchen in der Abendröte schwebt, dort schlägt ein treues Herz für mich; jetzt auch steht sie vielleicht auf der Zinne ihres Felsens und sieht herüber in diese Welt von Bergen, vielleicht nach diesem Felsen hin. O daß die Abendlüfte dir meine Grüße brächten, und jene rosigen Wolken dir meine Nähe verkündeten!«
»Weiter hin, Ihr sehet doch jene scharfe Ecke, das ist die Teck; unsere Herzoge nennen sich Herzoge von Teck, es ist eine gute feste Burg; wendet Eure Blicke hier zur Rechten, jener hohe, steile Berg war einst die Wohnung berühmter Kaiser, es ist Hohenstaufen.«
»Aber wie heißt jene Burg, die hier zunächst aus der Tiefe emporsteigt«, fragte der junge Mann; »sieh nur, wie sich die Sonne an ihren hellen weißen Wänden spiegelt, wie ihre Zinnen in goldenen Duft zu tauchen scheinen, wie ihre Türme in rötlichem Lichte erglänzen.«
»Das ist Neuffen, Herr! auch eine starke Feste, die dem Bunde zu schaffen machen wird.«
Die Sonne des kurzen, schönen Märztages begann während diesem Zwiegespräch der Wanderer hinabzusinken. Die Schatten des Abends rollten dunkle Schleier über das Gebirge, und verhüllten dem Auge die ferneren Gipfel und Höhen. Der Mond kam bleich herauf, und überschaute sein nächtliches Gebiet. Nur die hohen Mauern und Türme von Neuffen rötete die Sonne noch mit ihren letzten Strahlen, als sei dieser Felsen ihr Liebling, von welchem sie ungern scheide. Sie sank, auch diese Mauern hüllten sich in Dunkel, und durch die Wälder zog die Nachtluft, geheimnisvolle Grüße flüsternd dem heller strahlenden Mond entgegen.
»Jetzt ist die wahre Tageszeit für Diebe und für flüchtige Reisende, wie wir«, sagte der Bauer, als er des Junkers Pferd aufzäumte; »sei es noch um eine Stunde, so ist die Nacht kohlschwarz, und dann soll uns, bis die Sonne wieder aufgeht, kein bündischer Reiter ausspüren!«