Lärmender Beifall und Gelächter unterbrach den Sänger; sie langten über den Tisch herüber, schüttelten dem Zerlumpten die Hand und lobten sein Lied. Der Hagere sprach kein Wort, sondern warf finstere Blicke auf die Gesellschaft; man war ungewiß, ob er den Beifall des Zerlumpten beneidete, oder ob der Gegenstand des Liedes ihn beleidigte. Der fette Herr aber sah ungemein klug aus, brummte die Weise des Liedes mit, und nickte bei jeder Kraftstelle mit dem Haupt.
Der Sänger mit dem ledernen Rücken fuhr fort:
»Daß Euch der Kuckuck in den Hals fahr! Ihr Lumpenhund«, fuhr der lange Mann auf, als er die letzten Worte hörte; »ich weiß wohl, wen Ihr mit dem Barchetweber meint; meinen gnädigen Gönner den Herrn von Fugger. Den soll mir ein solcher Landläufer verunglimpfen?« Er begleitete diese Worte mit einem ausdrucksvollen Mienespiel, und mit schrecklicher Gebärde.
Doch der mit dem ledernen Rücken ließ sich nicht einschüchtern; er stellte seine ungemein muskulöse Faust vor sich hin und sagte: »Den Landläufer könnt Ihr für Euch behalten, Herr Calmus, man weiß wohl wer Ihr seid; und wenn Ihr nicht augenblicklich Euer Maul haltet, so will ich Euch Eure Rührlöffelarme vom Leib schlagen.«
Der Hagere stand auf und bedauerte sich selbst, daß er in so gemeine Gesellschaft geraten sei; er zahlte seinen Wein und ging vornehmen Schrittes aus der Trinkstube.
IV
Weh mir, ich habe die Natur verändert.
Wie kommt der Argwohn in die freie Seele?
Vertrauen, Glaube, Hoffnung ist dahin.
Denn alles log mir, was ich hochgeachtet.
Als dieser Mann das Zimmer verlassen hatte, sahen die Gäste erstaunt einander an; es war ihnen zumut, als hätten sie ein schweres Gewitter aufsteigen sehen, es hätte gekracht, als ob die Erde bersten wollen, ja, als wäre ein erschrecklicher, tötender Blitz auf sie herabgefahren, und siehe da, es war nur ein »kalter Schlag«. Dem Mann mit dem Lederrücken dankten sie, daß er den ungezogenen, übermütigen Gast so schnell entfernet habe, und fragten, was er wohl von dem hageren Fremden wisse?
»Den kenne ich wohl«, antwortete dieser, »das ist unseres Herrgotts Tagdieb, ein fahrender Arzt, der den Leuten Pillen verkauft gegen die Pest, den Hunden den Wurm schneidet und die Ohren stutzt, die Mädchen von dicken Hälsen befreit und den Weibern Augenwasser gibt, daß sie blind werden. Er heißt eigentlich Kahlmäuser, aber weil er ein Gelehrter sein will, heißt er sich Doktor Calmus. Er nistet sich bei allen großen Herren ein, und wenn ihn einer einmal einen Esel geheißen hat, so meint er schon, er sei sein bester Freund.«
»Mit dem Herzog muß er aber nicht gut stehen«, bemerkte der schlaue Herr, »denn er hat doch lästerlich über ihn geschimpft.«
»Ja, mit Herrn Ulerich steht er freilich nicht gut; das ging aber so: der Herzog hatte einen schönen dänischen Jagdbund, der hatte sich im Schönbuch einen Dorn tief in die Pfote getreten. Den Herzog dauerte der Hund, er forschte nach einem geschickten Mann, der das Tier heilen könnte, und zufällig war der Kahlmäuser da, und bot sich mit wichtigem Gesicht dazu an. Er bekam im Schloß in Stuttgart alle Tage gut zu essen und eine Maß Wein; das schmeckte ihm nun so gut, daß er über ein Vierteljahr an der Hundspfote dokterte. Da ließ ihn eines Tages der Herzog samt dem Hund rufen und fragte, was er ausgerichtet habe. Er soll viel gelehrtes Zeug geschwatzt haben, doch der Herr hat nicht darauf geachtet, sondern die Pfote selbst untersucht, und da fand es sich, daß sie schon ganz schwarz und brandig war. Da nahm der Herzog den Kahlmäuser, so lang er war, trug ihn an die lange Treppe, auf der man bis in den zweiten Stock hinaufreiten kann, und warf ihn hinunter, daß er halb tot unten ankam. Und seit der Zeit ist der Doktor Calmus nicht gut auf den Herzog zu sprechen. Andere sagen auch, er sei der Kundschafter gewesen zwischen dem Hutten und Frau Sabina, und habe nur deswegen den Hund übernommen, weil er dadurch ins Schloß kam.«
»So? mit dem Hutten hat er es gehalten?« sagte einer der Bürger. »Das hätten wir wissen sollen, so hätten wir ihm das Fell recht gegerbt, dem Lumpendoktor! Der Hutten ist doch an all dem unseligen Kriege schuld, mit seiner Liebelei, und der dürre Kahlmäuser hat ihm dazu geholfen.«
»De mortuis nil nisi bene; man muß die Toten schonen, sagen die Lateiner«, entgegnete der fette Herr; »der arme Teufel hat es mit dem Leben teuer genug bezahlt.«
»Aber es ist ihm recht geschehen«, rief jener Bürger mit großer Hitze; »an des Herzogs Stelle hätte ich's gerade auch so gemacht, ein jeder Mann muß sein Hausrecht wahren.«
»Reitet Ihr zuweilen mit dem Vogt auf die Jagd?« fragte der fette Herr mit überaus schlauem Lächeln, »da habt Ihr die beste Gelegenheit; ein Schwert habt Ihr ja, und eine Eiche wird sich auch finden, wohin Ihr seinen Leichnam hängen könnet.«
Ein schallendes Gelächter der Bürger von Pfullingen, belehrte den Gast im Erker, daß jener eifrige Verteidiger des Hausrechts in seinem eigenen Hause nicht so ganz strenge Justiz üben müsse. Er errötete und murmelte einige unverständliche Worte in seinen Becher hinein.
Der Zerlumpte aber, der als Fremder nicht mitlachen wollte, nahm sich seiner an: »Ja wohl hat der Herzog ganz recht gehabt; denn er hätte den Hutten auf der Stelle hängen können, ohne daß er erst mit ihm focht, er ist ja Freischöff vom westfälischen Stuhl, vom heimlichen Gericht, und darf einen solchen Ehrenschänder ohne weiteres abtun. Und er hatte die besten Beweise gleich bei der Hand; kennt Ihr das schöne Liedlein? Ich will einmal ein paar Verse daraus singen:
Dann heißt es weiter:
»Laßt es lieber gut sein«, unterbrach ihn der fette Herr mit ernster Miene; »es ist nicht gut, daß man in solchen Zeiten dies Lied in der Herberge singt; dem Herzog kann es nicht mehr nützen, und die Bündischen sind rings um uns; es könnte leicht einer etwas davon hören«, setzte er mit einem stechenden Blick auf Georg hinzu, »und dann hieße es gleich: Pfullingen zahlt hundert Gulden Brandsteuer mehr.«
»Weiß Gott, Ihr habt recht«, sagte der Zerlumpte; »es ist nicht mehr wie früher, wo man ein freies Wort sprechen und singen durfte beim Wein in der Trinkstube; da muß man immer umschauen ob nicht dort ein Herzoglicher, und auf der andern Seite ein Bündler sitzt; aber den letzten Vers will ich noch singen, trotz Bayern und dem Schwabenbund: