Der Pfeifer hatte unter diesen Worten die Fackeln angezündet, und stand erwartend am Eingang der Grotte, der geächtete Ritter drückte einen Kuß auf die Lippen des Jünglings und winkte ihm zu gehen. Er ging und wußte nicht wie ihm geschah, noch nie war ihm ein Mensch so freundlich nahe, und doch zugleich so unendlich hoch über ihm gestanden, noch nie hatte er gefühlt, wie in jenen Augenblicken, daß ein Mann entkleidet von jenem irdischen Glanze, der das Leben schmückt, selbst in ärmlicher Hülle und Umgebung eine Erhabenheit und Größe von sich strahlen könne, die das Auge blendet, und das Gefühl des eigenen Ichs so plötzlich überrascht und hinabdrückt. Mit diesem Gedanken beschäftigt, ging er durch die Höhle; die erhabene Pracht der Natur, die beim Eintritt sein Auge überrascht und gefesselt hatte, ging für ihn verloren; er staunte nicht mehr, daß sie im Schoße eines unscheinbaren Berges sich so herrlich und großartig ausgesprochen habe. War ja doch sein inneres Auge mit einem Gegenstand beschäftigt, in welchem sie sich noch imposanter und großartiger aussprach, als in der nächtlichen Pracht dieser Felsen, denn er bewunderte die Erhabenheit des menschlichen Geistes über jedes irdische Verhältnis, und dachte nach über die Majestät einer großen Seele, die auch im Gewande des Bettlers ihren angeborenen Adel nicht verleugnen kann.
Ein heller freundlicher Tag empfing sie, als sie aus der Nacht der Höhle zum Licht herausstiegen. Georg atmete freier und leichter in der kühlen Morgenluft, denn der feuchte Dunst, der in den Gängen und Grotten der Höhle umzieht, und wovon sie vielleicht den Namen Nebelhöhle trägt, lagert sich beengend auf die Brust. Sie fanden das Pferd des jungen Ritters noch an derselben Stelle angebunden, munter und frisch wie sonst, und selbst die Waffenstücke, die am Sattel befestigt waren, hatten durch den Nachttau nicht Schaden gelitten, wie Georg befürchtet hatte, denn der Pfeifer von Hardt hatte ein grobes Tuch, das ihm beim Unwetter gegen Regen und Kälte dienen mochte, über den Rücken des Pferdes ausgebreitet. Georg machte seine Kleidung und das Zeug des Rosses zurecht, während der Bauer diesem einige Händevoll Heu zum Morgenbrot reichte, und dann ging es weiter den Berg hinan. Sie waren noch wenige Schritte vorgerückt, als der Klang einer Glocke aus dem Tal herauftönte, die feierliche Stille des Morgens unterbrach, eine andere antwortete, drei bis vier stimmten ein, bis die melodischen Töne von wenigstens zwölf Glocken von den Höhen umher und aus den Tälern aufstiegen. Überrascht, hielt der junge Mann sein Pferd an; »Was ist das!« rief er, »brennt es irgendwo, oder wie, sollten wir heute ein Fest im Kalender haben? Weiß Gott, ich bin durch meine Krankheit so aus aller Zeit herausgekommen, daß ich den Sonntag nur daran erkenne, daß die Mädchen neue Röcke und frische Schürzen anhaben.«
»Es ist wohl schon manchem Kriegsmann so gegangen«, antwortete Hanns der Spielmann; »ich selbst habe mich oft erst auf die Zeit besinnen müssen, wenn ich wichtigere Dinge im Kopf hatte als Mess' und Predigt, aber heute ist es ein anderes Ding«, setzte er ernster hinzu und schlug ein Kreuz, »heut ist Karfreitag. Gelobt sei Jesus Christus!«
»In Ewigkeit!« erwiderte der Jüngling. »Es ist das erste Mal in meinem Leben, daß ich den Tag nicht würdig begehe, wie ich soll; und dieser Tag erinnert mich an manche schöne Stunde meiner Kindheit. Damals lebte noch mein Vater; ich hatte eine sanfte, gute Mutter und ein ganz kleines Schwesterlein. Wir beide freuten uns immer, wenn der Karfreitag kam; wir wußten nichts von der Bedeutung des Tages, aber wir rechneten dann, daß es nur noch zwei Tage bis Ostern sei, wo uns die Mutter schöne Sachen bescherte. Requiescant in pace«, setzte er hinzu, indem er seitwärts blickte, um eine Träne zu verbergen; »sie sind drüben alle drei, und feiern dort ihren heiligen Freitag.«
»Man sollte nicht von so unheiligen Dingen sprechen«, sagte der Pfeifer nach einigem Stillschweigen, »aber mein Beichtiger mag es mir schon vergeben. Ich denke, Ihr solltet nicht traurig sein, Junker! Denen die schlafen, ist es wohl, und die, die wachen, sollen vorwärts und nicht rückwärts sehen. So würde ich an Eurer Stelle daran denken, wie Ihr einst auch Euren Kindlein das Ostern bescheren könnet, und wie sie sich freuen werden am Karfreitag. Seid Ihr nicht auf der Brautfahrt, und wird ein gewisses Fräulein nicht auch eine gute, sanfte Mutter werden?«
Georg suchte umsonst ein Lächeln zu unterdrücken, das dieser sonderbare Trostspruch hervorgelockt hatte. »Höre, guter Freund«, entgegnete er, »dir ist zur Not ein solches Wort erlaubt; doch möchte ich keinem andern raten, meine Ohren durch solche sündige Gedanken zu entweihen.«
»Nichts für ungut, Herr! ich wollte weder Euch noch das Fräulein damit beleidigen; soll auch nicht mehr geschehen. Aber sehet Ihr nicht dort schon den Turm aus den Wipfeln ragen? Noch eine kleine Viertelstunde, und wir sind oben.«
»Soviel ich gestern in der Nacht bemerken konnte, ist das Schloß auf einen einzelnen, jähen Felsen hinausgestellt? bei Gott, ein kühner Gedanke, da konnte wohl niemand hinüberkommen, wer nicht mit den Geiern im Bunde war und fliegen gelernt hatte; freilich jetzt könnte man mit Stückschüssen sehr zusetzen.«
»Meint Ihr? nun es stehen auch vier gute Doppelhaken in der Halle, die auch ein Wörtchen antworten würden. Wenn Ihr recht gesehen habt, so müßt Ihr bemerkt haben, daß der Felsen ringsum durch ein breites Tal von den Bergen umher gesondert ist, dorther könnte man nicht viel Schaden tun; die einzige Seite, die näher an dem Berge liegt, ist die, wo die Zugbrücke herübergeht. Pflanzet einmal dort Geschütz auf und sehet zu, ob es Euch der Lichtensteiner nicht in den Grund schießt, ehe Ihr nur ein Fenster aufs Korn genommen habt. Und wie wollet Ihr Geschütz heraufführen in diesen Schluchten und Bergen, ohne daß Euch wenige entschlossene Männer mehr Schaden tun, als das ganze Nest wert ist?«
»Da habt Ihr recht«, antwortete Georg; »ich möchte wissen, wer den Gedanken gehabt hat, auf den Felsen ein Schloß zu bauen.«
»Das will ich Euch sagen«, erwiderte der Spielmann, der mit allen Sagen seines Landes vertraut war; »es lebte einmal vor vielen Jahren eine Frau; die mußte viele Verfolgung dulden, und wußte sich nicht mehr zu raten. Da kam sie an diesen Felsen, und sah, wie ein großer Geier mit seiner Familie und allem Haushalt dort lebte, und gegen alle Nachstellung sicher war. Da beschloß sie den Geier zu verdrängen. Sie ließ das Schloß dorthin bauen, und als alles fertig war, ließ sie die Brücke aufziehen, stieg auf die Zinne ihres Turmes und sprach; ›Nun bin ich Gottes Freund und aller Welt Feind.‹ Und es konnte ihr keiner mehr etwas anhaben. Aber sehet, da sind wir schon. Lebet wohl, vielleicht daß ich Euch schon heute nacht wiedersehe. Ich steige jetzt ins Land hinab, und bringe dann dem Herrn in der Höhle Kundschaft, wie es dort unten aussieht. Vergesset nicht, an der Brücke Brief und Ring dem Herrn des Schlosses zu senden, und hütet Euch, das Siegel selbst zu brechen.«
»Sei ohne Sorgen! ich danke dir für dein Geleite, und grüße meinen werten Gastfreund in der Höhle.« Georg sprach es, trieb sein Pferd an, und in wenigen Augenblicken war er vor der äußeren Verschanzung von Lichtenstein angelangt.
Ein Knecht, der das Tor bewachte, fragte nach seinem Begehr und rief einen anderen herbei, ihrem Herrn das Brieflein und den Ring zu übergeben. Georg hatte indes Zeit genug, das Schloß und seine Umgebungen zu betrachten. War ihm schon in der Nacht, beim ungewissen Schein des Mondes und in einer Gemütsstimmung, die ihn nicht zum aufmerksamsten Beobachter machte, die kühne Bauart dieser Burg aufgefallen, so staunte er jetzt noch mehr, als er sie vom hellen Tag beleuchtet, anschaute. Wie ein kolossaler Münsterturm steigt aus einem tiefen Albtal ein schöner Felsen, frei und kühn, empor. Weitab liegt alles feste Land, als hätte ihn ein Blitz von der Erde weggespalten, ein Erdbeben ihn losgetrennt, oder eine Wasserflut vor uralten Zeiten das weichere Erdreich ringsum von seinen festen Steinmassen abgespült. Selbst an der Seite von Südwest, wo er dem übrigen Gebirge sich nähert, klafft eine tiefe Spalte, hinlänglich weit, um auch den kühnsten Sprung einer Gemse unmöglich zu machen doch, nicht so breit, daß nicht die erfinderische Kunst des Menschen durch eine Brücke die getrennten Teile vereinigen konnte.