Als sich der junge Mann allein gelassen sah, fing er an, seinen Anzug ein wenig zu besorgen, der durch den Ritt in der Nacht, durch seinen Aufenthalt in der Höhle etwas außer Ordnung gekommen war. Wer je unter solchen Umständen in die Nähe der Geliebten kam, wird es ihm nicht übelnehmen, wenn er vor einem kleinen Spiegel von poliertem Metall, den er in diesem Gemach vorfand, und der wohl zu Mariens Gerätschaften gehören mochte, Bart und Haare ordnete, das Wams ein wenig reinigte, und jede Spur von Unordnung aus seinem Anzug zu verbannen suchte. Er erging sich dann in dem großen Zimmer, und suchte unter den vielen Fenstern eines auf, von welchem er auf den Felsenweg hinabschauen konnte, den Marie von der Kirche im Tal heraufkommen mußte.
Es waren fröhliche Gedanken, die sich in bunter Menge an seiner Seele vorüberdrängten, schnell und flüchtig wie ein Zug heller Wölkchen, die am blauen Gewölb des Himmels dahingleiten. Dies war die Burg, die er seit mehr als einem Jahre im Wachen geträumt, in Träumen klar gesehen hatte; dies die Berge, die Felsen, von denen sie ihm so oft erzählte, dies die Gemächer ihrer Kindheit! Es hat etwas Anziehendes, in den Zimmern zu verweilen, wo die Geliebte groß geworden ist. Man träumt sich um Jahre zurück, man sieht sie als kleines Mädchen in diesen Kammern, in diesen Gängen sich umtreiben. Man geht um einige Jahre vorwärts, man sieht sie noch klein aber verständig der Mutter jene kleinen Künste der Haushaltung abspähen, die sie viele Jahre nachher als Hausfrau nötig hat. Doch in dem kleinen Köpfchen gestaltet sich schon jetzt ein eigenes Hauswesen; es ist vielleicht jene Ecke, dachte Georg lächelnd, wo sie in kindischer Geschäftigkeit, was sie von den Brosamen der Küche erbeutete, zu Speisen von eigener Erfindung bereitete, wo sie das hölzerne Wesen, das ein Knecht kunstreich schnitzelte, und die Amme mit einigen bunten Fetzen behängt hat, für ein wackeres Kind hält, und es mit wichtiger Miene zu füttern gedenkt.
Und dann jene anmutsvolle Stufe zwischen Kind und Jungfrau! wo ist wohl das stille Plätzchen, wo sich das fünfzehnjährige Fräulein, wenn sie in Garten und Feld nach Kinderweise getobt hatte, sich ernst und feierlich hinsetzte, die Kunkel zur Hand nahm und goldene Fäden zog, während ihr der Vater von der Mutter und von den Tagen seiner Jugend erzählte, oder durch weise Lehren und gewichtige Sprüche den Geist der Jungfrau zu erheben suchte?
Wo ist das Lieblingsfenster, wohin sie sich, immer höher und schöner heranwachsend, gerne setzte, und mit unbewußter, dunkler Sehnsucht in die Ferne sah, über das Leben und ihre eigene Zukunft nachsann, und sich in freundliche Träume versenkte?
Es war ihm so heimisch, so wohl in diesem Hause, es war ihr Geist, der hier waltete, der ihn umschwebte, den er, ob sie auch fern war, freundlich begrüßte; dieses Gärtchen auf einem schmalen Raum am Felsen hatte sie besorgt und gepflegt, diese Blumen, die in einem Topf auf dem Tische standen, hatte sie vielleicht heute schon gepflückt! er ging hin, diese Zeichen ihres freundlichen Sinnes zu begrüßen.
Er beugte sich herab über die Blumen, er führte die duftenden Veilchen zum Mund. In diesem Augenblick glaubte er ein Geräusch vor der Türe zu vernehmen; er sah sich um – sie war es, es war Marie, die staunend und regungslos, als traue sie ihren Augen nicht, an der Türe stand. Er flog zu ihr hin, er zog sie in seine Arme, und seine Lippen erst schienen sie zu überzeugen, daß es nicht der Geist des Geliebten sei, der ihr hier erscheine. Wie viel hatten sie sich zu fragen, bei weitem mehr als sie nur antworten konnten. Es gab Augenblicke wo sie, wie aus einem Traum erwach, sich ansahen, sich überzeugen mußten, ob sie denn wirklich sich wieder haben?
»Wie viel habe ich um dich gelitten«, sagte Marie, und ihre Wangen straften sie nicht Lügen, »wie schwer wurde mir das Herz, als ich aus Ulm scheiden mußte. Zwar hattest du mir gelobt, vom Bunde abzulassen, aber hatte ich denn Hoffnung, dich so bald wiederzusehen? – und dann, wie mir Hanns die Nachricht brachte, daß du mit ihm nach Lichtenstein kommen wolltest, aber du seiest überfallen, verwundet worden, das Herz wollte mir bald brechen, und doch konnte ich nicht zu dir, konnte dich nicht pflegen!«
Wie beschämt war Georg, wenn er an seine törichte Eifersucht zurückdachte, wie füllte er sich so klein und schwach Mariens zarter Liebe gegenüber. Er suchte sein Erröten zu verbergen, er erzählte, oft unterbrochen von ihren Fragen, wie sich alles so gefügt habe, wie er dem Bunde abgesagt, wie er über die Alb gezogen sei, wie er überfallen worden, wie er der Pflege der Pfeifersfrau sich entzogen habe, um nach Lichtenstein zu reisen.
Georg war zu ehrlich, als daß ihn Mariens Fragen nicht hin und wieder in Verlegenheit gesetzt hätten; besonders als sie mit Verwunderung fragte, warum er denn so tief in der Nacht erst nach Lichtenstein aufgebrochen sei, wußte er sich nicht zu raten. Die schönen, klaren Augen der Geliebten ruhten so fragend, so durchdringend auf ihm, daß er um keinen Preis eine Unwahrheit zu sagen vermocht hätte.
»Ich will es nur gestehen«, sagte er mit niedergeschlagenen Augen, »die Wirtin in Pfullingen hat mich betört, sie sagte mir etwas von dir, was ich nicht mit Gleichmut hören konnte.«
»Die Wirtin? von mir?« rief Marie lächelnd; »nun was war denn dies, daß es dich noch in der Nacht die Berge herauftrieb?«
»Laß es doch! ich weiß ja, daß ich ein Tor war. Der geächtete Ritter hat mich ja schon längst überzeugt, daß ich völlig unrecht hatte.«
»Nein, nein«, entgegnete sie bittend, »so entgehest du mir nicht; was wußte die Schwätzerin wieder von mir; gestehe nur gleich –«
»Nun lache mich nur recht aus; sie erzählte: du habest einen Liebsten und lassest ihn, wenn der Vater schlafe, alle Nacht in die Burg.«
Marie errötete; Unwille und die Lust über diese Torheit zu lachen, kämpften in ihren schönen Zügen. »Nun, ich hoffe« sagte sie, »du hast ihr darauf geantwortet, wie es sich gehört, und aus Unmut über eine solche Verleumdung ihr Haus verlassen? Dachtest vielleicht, du könntest unser Schloß noch erreichen und hier übernachten?«
»Ehrlich gestanden, das dachte ich nicht. Siehe, ich war noch halb krank, ich glaubte ihr auch anfangs gewiß nicht, aber deine Amme, die alte Frau Rosel wurde aufgeführt, sie hatte es der Wirtin gesagt, sie hatte mich selbst mit ins Spiel gebracht und bedauert, daß ich um meine Liebe betrogen sei, da – o sieh nicht weg, Marie, werde mir nicht bös! Ich schwang mich aufs Pferd und ritt vors Schloß herauf, um ein Wort mit dem zu sprechen, der es wage, Marien zu lieben.«
»Das konntest du glauben«, rief Marie, und Tränen stürzten aus ihren Augen. »Daß Frau Rosel solche Sachen aussagt, ist unrecht, aber sie ist ein altes Weib, klatscht gerne; daß die Frau Wirtin solche Sachen nachsagt, nehme ich ihr nicht übel, denn sie weiß nichts Besseres zu tun; aber du, du Georg konntest nur einen Augenblick so arge Lügen glauben, du wolltest dich überzeugen, daß –« von neuem strömten ihre Tränen, und das Gefühl bitterer Kränkung erstickte ihre Stimme.
Georg zürnte sich selbst, daß er so töricht hatte sein können, aber er fühlte auch, daß wenn er ein großes Unrecht an der Geliebten begangen hatte, es nur die Liebe war, die ihn verleitete. »Verzeihe mir nur diesmal«, bat er; »siehe, wenn ich dich nicht so liebgehabt hätte, ich hätte gewiß nicht geglaubt; aber wenn du wüßtest, was Eifersucht ist!«
»Wer recht liebt kann gar nicht eifersüchtig sein«, sagte Marie unmutig; »aber schon in Ulm hast du etwas solches gesagt, und schon damals hat es mich recht tief betrübt. Aber du kennst mich gar nicht, wenn du mich recht gekannt hättest, wenn du mich geliebt hättest wie ich dich, wärest du nie auf solche Gedanken gekommen.«
»Nein! ungerecht mußt du doch nicht werden«, rief Georg und faßte ihre Hand; »wie kannst du mir vorwerfen, daß ich dich nicht liebe, wie du mich? hätte es denn nicht möglich sein können, daß ein Würdigerer als ich erschienen, daß der arme Georg durch irgendeinen bösen Zauber aus deinem Herzen verdrängt worden wäre; es ist ja doch alles möglich auf der Erde!«