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Der Herzog schaut hinunter lang

Und spricht mit einem Seufzer bang:

»Wie fern, ach von mir abgewandt,

Wie tief, wie tief liegst du mein Land.«

G. Schwab

Karfreitag und Osterfest waren vorübergegangen, und Georg von Sturmfeder befand sich noch immer in Lichtenstein. Der Herr dieses Schlosses hatte ihn eingeladen, bei ihm zu verweilen, bis etwa der Krieg eine andere Wendung nehmen würde oder Gelegenheit da wäre, der Sache des Herzogs wichtige Dienste zu leisten. Man kann sich denken, wie gerne der junge Mann diese Einladung annahm. Unter einem Dach mit der Geliebten, immer in ihrer Nähe, oft ein Stündchen mit ihr allein, von ihrem Vater geliebt – er hatte in seinen kühnsten Träumen kein ähnliches Glück ahnen können. Nur eine Wolke trübte den Himmel der Liebenden, die düstere Wolke, die zuweilen auf der Stirne des Vaters lag. Es schien, als habe er nicht die besten Nachrichten von seinem Herzog und dem Kriegsschauplatz. Es kamen zu verschiedenen Tageszeiten Boten in die Burg, aber sie kamen und gingen, ohne daß der Ritter seinem Gast eröffnete was sie gebracht haben. Einigemal glaubte Georg in der Abenddämmerung sogar den Pfeifer von Hardt über die Brücke schleichen zu sehen, er hoffte von diesem vielleicht etwas erfahren zu können, er eilte hinab, um ihn zu begegnen, aber wenn er bis an die Brücke kam, war jede Spur von ihm verschwunden.

Der junge Mann fühlte sich etwas beleidigt über diesen Mangel an Zutrauen, wie er es bei sich und in seinen Äußerungen gegen Marie nannte. »Ich habe doch den Freunden des Herzogs mich ganz und gar angeboten, obgleich ihre Partie nicht viel Lockendes hat, der Mann in der Höhle und der Ritter von Lichtenstein bewiesen mir Freundschaft und Vertrauen, aber warum nur bis auf diesen Punkt? warum darf ich nicht erfahren wie es mit Tübingen steht, warum nicht wie der Herzog operiert um sein Land wiederzuerobern? Bin ich nur zum Dreinschlagen gut, verschmäht man mich im Rat?«

Marie suchte ihn zu trösten. Es gelang oft ihren schönen Augen, ihren freundlichen Reden, ihn diese Gedanken vergessen zu lassen, aber dennoch kehrten sie in manchem Augenblicke wieder, und die sorgenvolle Miene des alten Herrn mahnte ihn immer an die Sache, welcher er beigetreten war.

Am Abend des Osterfestes konnte er endlich dieses Stillschweigen nicht länger ertragen; er fragte auf die Gefahr hin, für unbescheiden zu gelten, wie es mit dem Herzog und seinen Planen stehe, ob man nicht auch seiner endlich einmal bedürfe? Aber der Ritter von Lichtenstein drückte ihm freundlich die Hand und sagte: »Ich sehe schon lange, wackerer Junge, wie es dir das Herz beinahe abdrücken will, daß du nicht teilnehmen kannst an unseren Mühen und Sorgen; aber gedulde dich noch einige Zeit, vielleicht nur einen Tag noch, so wird sich manches entscheiden. Was soll ich dich mit ungewissen Nachrichten, mit traurigen Botschaften plagen? Dein heiterer Jugendsinn ist nicht gemacht, bedächtlich in ein Gewebe von Bosheit zu schauen, und die künstlich geschlungenen Fäden wieder loszumachen. Wenn die Entscheidung naht, dann, glaube mir, wirst du ein willkommener Genosse sein, bei Rat und Tat. Nur so viel brauchst du zu wissen, es steht mit unserer Sache weder schlimm noch gut; doch bald muß es sich entscheiden.«

Der junge Mann sah ein, daß der Alte recht haben könne, und doch war er nichts weniger als zufrieden mit dieser Antwort. Auch erfuhr er den Namen des Geächteten nicht. Marie hatte ihn, als er in der nächsten Nacht ins Schloß gekommen war, gefragt, ob sie ihrem Gast seinen Namen nennen dürfe, er hatte nichts darauf gesagt, als: »Noch ist's nicht an der Zeit!«

Noch ein dritter Umstand war es, der Georg beinahe beleidigend vorkam. Er hatte dem Herrn von Lichtenstein gesagt, wie sehr ihn der Mann in der Höhle angezogen habe, wie er nichts Erfreulicheres kenne, als recht oft in dessen Nähe zu sein, und dennoch hatte man ihn nie mit einem Wort eingeladen, eine Nacht mit dem geheimnisvollen Gaste zuzubringen. Er war zu stolz sich aufzudrängen, er wartete von Nacht zu Nacht, ob man ihn nicht herabrufen werde, jenen Mann zu sprechen; es geschah nicht. Er beschloß wenigstens einmal uneingeladen zuzusehen, wie der Fremde in die Burg komme, und betrachtete sich deswegen die Gelegenheit genau. Seine Kammer, wohin er regelmäßig um acht Uhr geführt wurde, lag gegen das Tal hinaus; gerade entgegengesetzt der Seite, wo die Brücke über den Abgrund führte. Von hier war es also nicht möglich, ihn kommen zu sehen. Das große Zimmer im zweiten Stock, das nicht weit entfernt von seiner Kammer lag, wurde jede Nacht abgeschlossen, von dort aus konnte er also auch nicht hinabsehen. Auf dem Vorplatz der die Kammern umher und den Saal verband, gingen zwar zwei Fenster gegen die Brücke hinaus, sie waren aber vergittert und hoch, so daß man zwar ins Freie hinüber, aber nicht hinab auf die Brücke sehen konnte.

Es blieb ihm daher nichts übrig, als sich irgendwo zu verbergen, wenn er den nächtlichen Besuch sehen wollte. Im ersten Stock war dies nicht möglich, weil dort so viele Leute wohnten, daß er leicht entdeckt werden konnte. Doch als er den Torweg und die Ställe musterte, die unter dem Schloß in den Felsen gehauen waren, bemerkte er an der Zugbrücke eine Nische, die von den Torflügeln bedeckt wurde, welche man nur wenn der Feind vor den Toren war, verschloß. Dies war der Ort, der ihm Sicherheit und zugleich Raum genug zu gewähren schien, um zu beobachten, was um ihn her vorging; links vor der Nische, schloß sich die Zugbrücke an das Tor, rechts war die Treppe, die hinaufführte, vor ihm der Torweg, den jeder gehen mußte, der ins Schloß kam. Dorthin beschloß er in der kommenden Nacht sich zu schleichen.

Um acht Uhr kam der Knappe mit der Lampe, um ihm wie gewöhnlich ins Bett zu leuchten. Der Herr des Schlosses und seine Tochter sagten ihm freundlich gute Nacht. Er stieg hinan in seine Kammer, er entließ den Knecht, der ihn sonst entkleidete, und warf sich angekleidet auf das Bette; er lauschte auf jeden Glockenschlag, den die Nachtluft aus dem Dorf hinter dem Walde herübertrug; oft schlossen sich seine Augen, oft schwebte er schon auf jener unsicheren Grenze, zwischen Wachen und Schlafen, wo sich die Seele nur mit ermatteten Kräften gegen die Bande des Schlummers sträubt, aber immer wieder rang er sich los, wenn seine Gedanken klar genug waren, um ihm seinen Zweck ins Gedächtnis zurückzuführen.

Zehn Uhr war längst vorüber; die Burg war still und tot, Georg raffte sich auf, zog die schweren Sporen und Stiefel ab, hüllte sich in seinen Mantel und öffnete behutsam die Türe seiner Kammer. Er hielt den Atem an, um sich nicht durch Schnauben zu verraten, die Angeln seiner Türe garrten, er hielt an, er lauschte, ob niemand diese verräterischen Töne gehört habe? Es blieb alles still; der Mond fiel in mattem Schein auf den Vorplatz, Georg pries sich glücklich, daß ihn dieses trügerische Licht nicht zum zweitenmal verraten werde. Er schlich weiter an die Wendeltreppe, noch einmal hielt er an, um zu lauschen, ob alles stille sei; er hörte nichts als das Sausen des Windes und das Rauschen der Eichen über der Brücke. Er stieg behutsam hinab. In der Stille der Nacht tönt alles lauter, und Dinge erwecken die Aufmerksamkeit, die man am Tage nicht beachtet hätte. Wenn Georgs Fuß auf ein Sandkörnchen trat, so rauschte es auf der gewölbten Wendeltreppe, daß er erschrak und glaubte, man müsse es im ganzen Hause gehört haben. Er kam an dem ersten Stock vorüber; er lauschte, er hörte niemand, aber auf dem Herd in der Küche flatterte ein lustiges Feuer. Jetzt war er unten. Zu dem Weg von seiner Kammer bis zum Tor, den er sonst in einem Augenblick zurücklegte, hatte er eine Viertelstunde verwandt.

Er stellte sich in die Nische und zog den Torflügel noch näher zu sich her, so daß er völlig von ihm bedeckt war. Eine Spalte in der Türe war groß genug, daß er durch sie alles beobachten konnte. Noch war alles still im Schloß. Nur flüchtige Tritte glaubte er über sich zu vernehmen, es war wohl Marie, die geschäftig hin und her ging.