III
Erstiegen ist der Wall, wir sind im Lager!
Jetzt werft die Hülle der verschwiegnen Nacht
Von euch, die euren stillen Zug verhehlte,
Und macht dem Feinde eure Schreckensnähe
Durch lauten Schlachtruf kund –
Es war in der Nacht vor Mariä Himmelfahrt, als Herzog Ulerich vor dem Rotenbildtor in Stuttgart anlangte. Er hatte auf seinem Zuge schnell das Städtchen Leonberg erobert und war dann unaufhaltsam immer weiter gedrungen. Vieles Volk lief zu, denn wie ein Lauffeuer hatte sich die Nachricht verbreitet, daß der Herzog wieder im Lande sei. Jetzt erst zeigte es sich, wie wenig Freunde der Bund sich erworben hatte; denn überall wurde die Freude laut, daß das gehässige Regiment des Bundes ein Ende habe, daß das angestammte Fürstenhaus wieder in seine alten Rechte sich einsetze.
Auch nach Stuttgart war bald diese Nachricht vorgedrungen und hatte die verschiedensten Empfindungen dort erregt. Der Adel, der sich in der Stadt befand, wußte nicht, was er sich vom Herzog zu versehen hatte; die Übergabe von Tübingen war noch in zu frischem Gedächtnis, als daß er ganz unbesorgt gewesen wäre. Aber die Erinnerung an den glänzenden Hof Ulerichs von Württemberg, an die fröhlichen Tage, die sie dort verlebt hatten, die Vergleichung dieser Zeit mit dem freudenlosen Leben der Bundesräte mochte sie günstig für den Herzog stimmen, wenn auch mancher Ursache hatte, seine Wiederkehr nicht gerade herbeizuwünschen. Die Bürgerschaft konnte ihre Freude über diese Nachrichten kaum verbergen; sie verließen ihre Häuser, traten haufenweise auf den Straßen zusammen und besprachen sich über die Dinge, die ihrer warteten. Sie schimpften leise aber weidlich auf den Bund, ballten grimmig ihre Fäuste in der Tasche, und waren überaus patriotisch gesinnt. Sie erinnerten sich der erlauchten Ahnen des vertriebenen Fürsten, es war sein Name Württemberg, den auch sie trugen, sie zählten so manchen wackeren Herrn aus der Familie auf, unter welchem sie und ihre Väter glücklich gelebt, der Württembergs Namen berühmt gemacht hatte. Auch der Gedanke tat ihnen wohl, daß von ihrer Entscheidung für den einen oder den andern Teil so viel abhänge, weil man im ganzen Lande auf die Stuttgarter sehe. Sie waren zwar weit entfernt gegen die bündische Besatzung auf ihre eigene Faust einen Aufruhr zu unternehmen, aber sie sprachen zueinander: »Gevatter, wart nur, bis es Nacht wird; da wollen wir den Reichsstädtlern zeigen, wo sie her sind, wir Stuttgarter.«
Dem bündischen Statthalter, Christoph von Schwarzenburg entging diese Bewegung unter den Bürgern nicht. Zu spät sah er ein, wie töricht man getan habe, das Heer zu entlassen. Er wandte sich an die Bundesstände, die noch zu Nördlingen versammelt waren und begehrte Hülfe, aber er selbst gab die Hoffnung auf, Stuttgart so lange halten zu können, bis ein neues Heer im Feld erschienen sei. Er traf zwar einige Anstalten zur Gegenwehr, aber die Blitzesschnelle, mit welcher der Herzog erschien, vereitelte alle seine Bemühungen. Als er sah, daß er den Bürgern nicht trauen könne, daß ihm der Adel nicht beistehe, daß die Besatzung nicht einmal zur Sicherung der Tore hinreiche entwich er bei Nacht und Nebel mit den Bundesräten nach Eßlingen. Ihre Flucht war so eilig und geheim, daß sie sogar ihre Familien zurückließen und niemand in der Stadt ahnte, daß der Statthalter und die Räte nicht mehr in den Mauern seien. Daher waren die Anhänger des Bundes noch immer getrosten Mutes, und glaubten nicht an die Gerüchte von der schnellen Annäherung des Herzogs.
Der Marktplatz war damals noch das Herz der Stadt Stuttgart; zwar hatten sich schon zwei große Vorstädte, die Sankt Leonhards- und die Turnieracker-Vorstadt um sie gelagert, welche mit Graben, Mauern und starken Toren versehen, das Ansehen eigener Städte bekommen hatten; aber noch standen die Ringmauern und Tore der Altstadt, und ihre Bürger sahen nicht ohne Stolz herab auf die Vorstädtler. Der Marktplatz war es, wo nach alter Sitte bei jeder besondern Gelegenheit die Bürger sich versammelten; auch an dem wichtigen Abend vor Mariä Himmelfahrt strömten sie dorthin zusammen. Zur Zeit, wo der Bürger noch mit der Wehre an der Seite auftreten durfte, hatte sein öffentlich gesprochenes Wort auch mehr zu bedeuten als in späteren Tagen, wo Tinte, Feder und Papier die Oberhand gewannen. Und wahrlich, die Bürger von Stuttgart waren bei Nacht und in Massen versammelt ganz andere Leute als morgens. Mancher, der, hätte man ihn vormittags um seine Meinung wegen des Herzogs gefragt, antwortete: »Was geht es mich an, bin ein friedlicher Bürgersmann«, erhob jetzt seine Stimme und schrie: »Wir wollen dem Herzog die Tore öffnen, fort mit den Bündischen – wer ist ein guter Württemberger?«
Der Mond schien hell auf die versammelte Menge herab, die unruhig hin und her wogte. Ein verworrenes Gemurmel drang von ihnen in die Lüfte; noch schienen sie unschlüssig, vielleicht weil keiner kühn genug war, sich an die Spitze zu stellen. Aus den hohen Giebelhäusern, die den Platz einschlossen, schauten viele hundert Köpfe auf den Markt hernieder; es waren die Weiber und Töchter der Versammelten, die ängstlich und gespannt auf das Gemurmel lauschten. Denn die Stuttgarter Mädchen waren damals ein neugieriges Völkchen und hielten es im Herzen aus Mitleiden mit dem Herzog.
Schon wurde das Murmeln der Menge immer lauter und verständlicher; der Ruf: »Wir wollen die Knechte vom Tor wegjagen und die Stadt dem Herzog auftun«, immer deutlicher, da sah man einen langen, hageren Mann auf eine Bank am Brunnen springen, wo er die ganze Menge überragte. Er focht mit ungeheuer langen Armen in der Luft umher, tat einen weiten Mund auf und schrie mit heiserer Stimme um Gehör. Es wurde nach und nach stiller auf dem Platz, man vernahm einzelne Worte aus seiner Rede: »Was? die ehrsamen Bürger von Stuttgart wollen ihren Eid brechen – habt ihr nicht dem Bunde geschworen? Wem wollet ihr die Tore öffnen? Dem Herzog? Er kommt mit ganz geringer Mannschaft, denn er hat ja kein Geld, um Leute zu bezahlen und da müsset dann ihr wieder den Beutel auftun und blechen! Da wird's heißen, Stuttgart zahlt zehntausend Gulden, weil es von uns abgefallen ist. Hört ihr? zehntausend Gulden sollt ihr zahlen!«
»Wer ist denn der lange Kerl?« fragten sich die Männer. – »Er hat nicht unrecht – werden tüchtig zahlen müssen. – Ist er ein Bürger, der da oben? Wer seid Ihr«, rief einer der Kühnsten; »woher wollt Ihr wissen, was wir zahlen müssen?«
»Ich bin der berühmte Doktor Calmus«, sprach der Redner mit feierlicher Stimme, »und weiß das ganz genau. Und wen wollt ihr vertreiben? Den Kaiser, das Reich, den Bund; so viele reiche Herren wollt ihr vor den Kopf stoßen? und warum? wegen dem Utz, der euch das Fell über die Ohren zieht; denkt nur an das geringere Gewicht, an die harten Jagdfrevel. Jetzt hat er gar kein Geld mehr; er ist ein Lump, hat alles verspielt in Mömpelgard –«
»Halt Er sein Maul«, schrieen die Bürger, »was geht das Ihn an, Er ist kein hiesiger Bürger, fort mit dem Kahlmäuser – schlagt ihn tot – werft ihn als Fisch in den Brunnen – der Herzog soll leben!«
Doktor Calmus erhob noch einmal seine Stimme, aber die Bürger überschrieen ihn. In diesem Augenblick kam ein neuer Trupp Bürger aus der obern Vorstadt herabgesprungen. »Der Herzog ist vor dem Rotenbildtor«, riefen sie, »mit Reiter- und Fußvolk. Wo ist der Statthalter? wo sind die Bundesräte? Er will in die Stadt schießen, wenn man nicht aufmacht! – Fort mit den Bündischen – wer ist gut württembergisch?«
Der Tumult wuchs von Sekunde zu Sekunde. Die Bürger schienen noch unschlüssig, da bestieg ein neuer Redner die Bank; es war ein feiner Herr, der durch sein schmuckes Äußere einen Augenblick den Bürgern imponierte: »Bedenket ihr Männer«, rief er mit feiner Stimme, »was wird der durchlauchtige Bundesrat dazu sagen, wenn ihr –«