»Was scheren wir uns um den Durchlauchtigen!« überschrie man ihn, »fort! reißt ihn herab mit dem rosenfarbenen Mäntelein und dem glatten Haar – das ist ein Ulmer! fort mit ihm – auf ihn, er ist von Ulm!«
Aber ehe sie noch diesen Entschluß ausführten, trat ein kräftiger Mann hinauf, warf mit einem Schlag den Doktor rechts und den Ulmer mit dem rosenfarbenen Mäntelein links von der Bank, und winkte mit der Mütze in die Luft. »Still! das ist der Hartmann«, flüsterten die Bürger, »der versteht's, hört was er spricht.«
»Höret mich!« sprach dieser; »der Statthalter und die Bundesräte sind nirgends zu finden, sie sind entflohen und haben uns im Stich gelassen, drum greifet diese beiden da, wir wollen sie als Geiseln behalten. Und jetzt hinauf ans Rotenbildtor. Dort steht unser rechter Herzog, 's ist besser wir machen selbst auf, als daß er mit Gewalt eindringt, wer ein guter Württemberger ist, folgt mir nach.«
Er stieg herab von der Bank, und jubelnd umgab ihn die Menge; die beiden Fürsprecher des Bundes wurden, ehe sie sich dessen versahen, gebunden und fortgeführt. Jetzt ergoß sich der Strom der Bürger vom Marktplatz zum obern Tor, hinaus über den breiten Graben der alten Stadt in die Turnieracker-Vorstadt, am Bollwerk vorbei zum Rotenbildtor. Die bündischen Knechte, die das Tor besetzt hielten, wurden schnell übermannt, das Tor ging auf, die Zugbrücke fiel herab und legte sich über den Stadtgraben.
Dort hatten indessen die Anführer des Fußvolkes ihre besten Truppen aufgestellt, denn man wußte nicht genau, wie die Bündischen sich bei der Annäherung des Herzogs benehmen werden. Ulerich selbst hatte die Posten beritten. Vergeblich suchte Georg von Sturmfeder ihn zu überzeugen, daß die Besatzung von Stuttgart so schwach sei, daß sie ihnen nicht die Spitze bieten könne, vergeblich stellte er ihm vor, daß die Bürger ihn zurücksehnen, und willig ihre Tore öffnen werden; der Herzog schaute finster in die Nacht hinaus, preßte die Lippen zusammen und knirschte mit den Zähnen.
»Das verstehst du nicht«, murmelte er dem Jüngling zu; »du kennst die Menschen nicht; sie sind alle falsch, traue niemand als dir selbst. Sie drehen den Mantel nach jedem Wind! – Aber diesmal will ich sie fassen; meinst du, ich habe mein Land umsonst mit dem Rücken angesehen?«
Georg konnte diese Stimmung des Herzogs nicht begreifen. Im Unglück war er fest, sogar mild und sanft gewesen, hatte von manchem schönen Brauch gesprochen, den er einführen wolle, wenn er wieder ins Land komme, hatte selten Zorn über seine Feinde, beinahe nie Unmut über die Untertanen gezeigt, die von ihm abgefallen waren; aber sei es, daß mit dem Anblick der vaterländischen Gegenden auch das Gefühl der Kränkung stärker als zuvor in ihm erwachte, sei es, daß es ihm unangenehm auffiel, daß der Adel und die Stände noch nichts hatten von sich hören lassen, er war, seit er die Grenzen Württembergs überschritten, nicht freudig, gehoben, erwartungsvoll, sondern ein stolzer Trotz blitzte aus seinen Augen, seine Stirne war finster, und eine gewisse Strenge und Härte im Urteil, fiel seinen Umgebungen, besonders Georg von Sturmfeder auf, der sich in diese neue Seite von Ulerichs Charakter nicht gleich zu finden wußte.
Die Aufforderung an die Stadt mochte wohl schon seit einer halben Stunde ergangen sein; bald war die Frist abgelaufen, die er ihnen gegeben hatte, und noch immer war keine Antwort da; man hörte nur ein ängstliches Hin- und Herrennen in der Stadt, aus welchem man weder gute noch böse Zeichen deuten konnte.
Der Herzog ritt zu den Landsknechten vor, die erwartungsvoll auf ihren Hellebarden und Donnerbüchsen lehnten. Die drei Ritter, welche sie führten, standen am Graben, und hielten durch ihre Anwesenheit die Knechte in Ruhe und Ordnung. Beim Schein des Mondes betrachtete Georg ängstlich Ulerichs Züge. Die Ader auf seiner Stirne war aufgelaufen, eine tiefe Röte lag auf seinen Wangen, und seine Augen brannten in düsterer Glut.
»Hewen! laß Leitern anschleppen«, sagte er mit dumpfer Stimme. »Der Donner und das Wetter! es ist mein eigen Haus, vor dem ich stehe, und die Hunde wollen mich nicht einlassen. Ich laß noch einmal blasen, machen sie dann nicht sogleich auf, so schmeiß ich Feuer in die Stadt, daß ihre Käfigte zusammenbrennen.«
»Bassa manelka, waz mich daz freut!« sagte der lange Peter, der in der ersten Rotte neben dem Herzog stand, leise zu seinen Kameraden. »Jetzt werden Leitern beigeschleppt, wie die Katzen wir hinauf, mit den Hellebarden über die Mauer gestochen, daz die Kerl herunter müssen, mit den Büchsen drein gepfeffert, Canto cacramento!«
»Dat will ik meenen!« flüsterte der Magdeburger, »und dann hinunter in die Stadt, angezündet an den Ecken, geplündert gebürstet! da will ik man och bei sin.«
»Um Gottes willen, Herr Herzog«, rief Georg von Sturmfeder, welcher die Reden des Herzogs und die greuliche Freude der Landsknechte wohl vernommen hatte; »wartet nur noch ein kleines Viertelstündchen, es ist ja Eure eigene Residenzstadt. Sie beraten sich vielleicht noch. –«
»Was haben sie sich lange zu beraten?« entgegnete Ulerich unwillig; »ihr Herr ist hier außen vor dem Tor und fordert Einlaß. Ich habe schon zu lange Geduld gehabt. Georg' breite mein Panier aus im Mondschein, laß die Trompeter blasen, fordere die Stadt zum letztenmal auf! Und wenn ich dreißig zähle nach deinem letzten Wort, und sie haben noch nicht aufgemacht, beim heiligen Hubertus, so stürmen wir. Spute dich, Georg!«
»O Herr! bedenket eine Stadt, Eure beste Stadt! wie lange habt Ihr in diesen Mauern gelebt, wollt Ihr Euch ein solches Brandmal aufrichten? Gebt noch Frist.«
»Ha!« lachte der Herzog grimmig, und schlug mit dem Stahlhandschuh auf den Brustharnisch, daß es weithin tönte durch die Nacht; »ich sehe, dich gelüstet nicht sehr in Stuttgart einzuziehen und dein Weib zu verdienen. Aber bei meiner Ungnade, jetzt kein Wort mehr, Georg von Sturmfeder. Schnell ans Werk. Ich sag, roll mein Panier auf, blast Trompeter, blast, schmettert sie auf aus dem Schlaf, daß sie merken, ein Württemberger ist vor dem Tor, und will trotz Kaiser und Reich in sein Haus. Ich sag, fordere sie auf, Sturmfeder.«
Georg folgte schweigend dem Befehl; er ritt bis dicht vor den Graben, und rollte das Panier von Württemberg auf. Die Strahlen des Mondes schienen es freundlich zu begrüßen, sie beleuchteten es deutlich und zeigten seine Felder und Bilder. Auf eine große Fahne von roter Seide war Württembergs Wappen eingewoben. Der Schild zeigte vier Felder. Im ersten waren die württembergischen Hirschhörner angebracht, im zweiten die Würfel von Teck, im dritten die Reichssturmfahne, die dem Herzog als Reichsbannerträger zukam, und im vierten die Fische von Mömpelgard, der Helm aber trug die Krone und das Uracher Jägerhorn. Der junge Mann schwenkte das schwere Panier in der starken Hand, drei Trompeter ritten neben ihm auf und schmetterten ihre wilden Fanfaren gegen die verschlossene Pforte.
Im Tore öffnete sich ein Fenster; man fragte nach dem Begehr. Georg von Sturmfeder erhob seine Stimme und rief: »Ulerich, von Gottes Gnaden Herzog zu Württemberg und Teck, Graf zu Urach und Mömpelgard, fordert zum zweiten- und letztenmal seine Stadt Stuttgart auf, ihm willig und sogleich die Tore zu öffnen. Widrigenfalls wird er die Mauer stürmen und die Stadt als feindlich ansehen.«
Noch während Georg dieses ausrief, hörte man das verworrene Geräusch vieler Tritte und Stimmen in der Stadt, es kam näher und näher, und wurde zum Tumult und Geschrei.
»Gott straf mein Zeel, zie machen einen Auzfall!« sagte der lange Peter, laut genug, um vom Herzog verstanden zu werden.
»Du könntest recht haben«, erwiderte dieser, indem er sich plötzlich zu dem erschrockenen Landsknecht wandte. »Schließt dichter an, streckt die Piken vor und haltet die Lunden bereit; wir wollen sie empfangen nach Verdienst.«