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Die ganze Linie zog sich vom Graben zurück, nur die drei ersten Fähnlein stellten sich da, wo die Zugbrücke sich ans Land legen mußte, auf. Ein Wall von Piken starrte jedem Angriff entgegen und die Schützen hatten die Donnerbüchsen aufgelegt und hielten die Lunden über dem Zündloch; tiefe Stille der Erwartung war auf dieser Seite, desto brausender drang der Lärm aus der Stadt herüber. Die Brücke fiel herab, aber keine Feinde waren es, die zu einem Ausfall herüberdrangen, sondern drei alte graue Männer kamen aus dem Tor; sie trugen das Wappen der Stadt und die Schlüssel.

Als der Herzog dies sah, ritt er etwas freundlicher hinzu. Georg folgte ihm und betrachtete diese Übergabe. Zwei dieser Männer schienen Ratsherren oder Bürgermeister zu sein; sie beugten das Knie vor dem Herrn und überreichten ihm die Zeichen ihrer Unterwerfung. Er gab sie seinen Dienern und sagte zu den Bürgern: »Ihr habt Uns etwas lange warten lassen vor der Türe; wahrhaftig, wir wären bald über die Mauer gestiegen und hätten eigenhändig eure Stadt zu unserem Empfang beleuchtet, daß euch der Rauch die Augen hätte beizen sollen. Der Teufel! warum ließet ihr so lange warten?«

»O Herr!« sagte einer der Bürger; »was die Bürgerschaft betrifft, die war gleich bereit, Euch aufzutun, wir haben auch etliche vornehme Herren vom Bunde hier, die hielten lange und gefährliche Reden an das Volk, um es gegen Euch aufzuwiegeln. Das hat so lange verzögert.«

»Ha! wer sind diese Herren? Ich hoffe nicht, daß ihr sie habt entkommen lassen! mich gelüstet ein Wort mit ihnen zu sprechen.«

»Bewahre, Euer Durchlaucht! wir wissen, was wir unserm Herrn schuldig sind. Wir haben sie sogleich gefangen und gebunden. Befehlt Ihr, daß wir sie bringen?«

»Morgen früh ins Schloß! will sie selbst verhören, schicket auch den Scharfrichter; werde sie vielleicht köpfen lassen.«

»Schnelle Justiz, aber ganz nach Verdienst!« sprach hinter den beiden Bürgern eine heisere, krächzende Stimme.

»Wer spricht da mir ins Wort?« fragte der Herzog und schaute sich um; zwischen den beiden Bürgern heraus trat eine sonderbare Gestalt. Es war ein kleiner Mann, der den Höcker, womit ihn die Natur geziert hatte, unter einem schwarzen seidenen Mantel schlecht verbarg; ein kleines spitziges Hütlein saß auf seinen grauen, schlichten Haaren, tückische Äuglein funkelten unter buschigen, grauen Augenbrauen und der dünne Bart, der ihm unter der hervorspringenden Adlernase hing, gab ihm das Ansehen eines sehr großen Katers. Eine widerliche Freundlichkeit lag auf seinen eingeschrumpften Zügen, als er vor dem Herzog das Haupt zum Gruß entblößte, und Georg von Sturmfeder faßte einen unerklärlichen Abscheu und ein sonderbares Grauen vor diesem Mann gleich beim ersten Anblick.

Der Herzog sah den kleinen Mann an und rief freudig: »Ha! Ambrosius Volland unser Kanzler! Bist du auch noch am Leben? Hättest zwar früher schon kommen können, denn du wußtest, daß Wir wieder ins Land dringen – aber sei Uns deswegen dennoch willkommen.«

»Allerdurchlauchtigster Herr!« antwortete der Kanzler Ambrosius Volland, »bin wieder so hart vom Zipperlein befallen worden, daß ich beinahe nicht aus meiner Behausung kommen konnte; verzeihen daher, Euer –«

»Schon gut, schon gut!« rief der Herzog lachend, »will dich schon kurieren vom Zipperlein. Komm morgen früh ins Schloß, jetzt aber gelüstet uns, Stuttgart wiederzusehen. Heran mein treuer Bannerträger!« wandte er sich mit huldreicher Miene zu Georg; »du hast treulich Wort gehalten, bis an die Tore von Stuttgart; ich will's vergelten. Bei Sankt Hubertus, jetzt ist die Braut dein nach Recht und Billigkeit. Trag mir meine Fahne vor, wir wollen sie aufpflanzen auf meinem Schloß und jenes bündische Banner in den Staub treten! Gemmingen und Hewen, ihr seid heute nacht noch meine Gäste; wir wollen sehen, ob uns die Herren vom Schwabenbund noch ein Restchen Wein übriggelassen haben!«

So ritt Herzog Ulerich, umgeben von den Rittern, die seinem Zuge gefolgt waren, wieder in die Tore seiner Residenz. Die Bürger schrieen Vivat und die schönen Mädchen verneigten sich freundlich an den Fenstern zum großen Ärgernis ihrer Mütter und Liebhaber, denn alle dachten, diese Grüße gelten dem schönen jungen Ritter, der des Herzogs Banner trug und beleuchtet vom Fackelschein wie Sankt Georg der Lindwurmtöter aussah.

IV

O Burg, von Geistern tapfrer Ahnen

Die tatenfreudig hier gelebt,

Und wackrer Fürsten Ruhm umschwebt,

Oh, deren Bild mit frommem Mahnen

Sich in des Nahen Bilder webt.

Ph. Conz

Das alte Schloß zu Stuttgart hatte damals, als es Georg von Sturmfeder am Morgen nach des Herzogs Einzug beschaute, nicht ganz die Gestalt, wie es noch in unsern Tagen zu sehen ist, denn dieses Gebäude wurde erst von Ulerichs Sohn, Herzog Christoph aufgeführt. Das Schloß der alten Herzoge von Württemberg stand übrigens an derselben Stelle und war in Plan und Ausführung nicht sehr verschieden von Christophs Werk, nur daß es zum größten Teil aus Holz gebaut war. Es war umgeben von breiten und tiefen Graben, über welche gegen Mitternacht eine Brücke in die Stadt führte. Ein großer, schöner Vorplatz diente in früheren Zeiten dem fröhlichen Hofe Ulerichs zum Tummelplatz für ritterliche Spiele und mancher Reiter wurde von des Herzogs eigener gewaltiger Hand in den Sand geworfen. Die Zeichen dieses ritterlichen Sinnes sprachen sich auch in andern Teilen des Gebäudes aus. Die Halle im unteren Teil des Schlosses war hoch und gewölbt wie eine Kirche, daß die Ritter in dieser »Tyrnitz« bei Regentagen fechten und Speere werfen und sogar die ungeheuren Lanzen ungehindert darin handhaben konnten. Von der Größe dieser fürstlichen Halle zeugt die Aussage der Chronisten, daß man bei feierlichen Gelegenheiten dort oft zwei- bis dreihundert Tische gedeckt habe. Von da führte eine steinerne Treppe aufwärts so breit, daß zwei Reiter nebeneinander hinaufreiten konnten. Dieser großartigen Einrichtung des Schlosses entsprach die Pracht der Zimmer, der Glanz des Rittersaales und die reichen, breiten Galerien, die zum Tanz und Spiele eingerichtet waren.

Georg maß mit staunendem Auge diese verschwenderische Pracht der Hofburg. Er verglich den kleinen Sitz seiner Ahnen mit diesen Hallen, diesen Höfen, diesen Sälen, wie klein und gering kam es ihm vor! Er erinnerte sich der Sage von der glänzenden Hofhaltung Ulerichs, von seiner prachtvollen Hochzeit, wo er in diesem Schloß siebentausend Gäste aus allen Teilen des deutschen Reiches speiste und tränkte, wo in dem hohen Gewölbe der Tyrnitz und in dem weiten Schloßhofe einen ganzen Monat lang Ritterspiel und Gelage gehalten wurden, und wenn der Abend einbrach, hundert Grafen, Ritter und Edelleute mit Hunderten der schönsten Damen in jenen Sälen und Galerien tanzten! Er blickte hinab in den herrlichen Schloßgarten, das Paradies genannt. Seine Phantasie bevölkerte diese Lustgehege und Gänge mit jenem fröhlichen Gewimmel des fröhlichen Hofes mit den Heldengestalten der Ritter, mit den festlich geputzten Fräulein, mit allem Jubel und Sang, der einst hier erscholl. Aber wie öde und leer deuchten ihm diese Mauern und Gärten, wenn er die Gegenwart mit den Bildern seiner Phantasie verglich. Die Gäste der Hochzeit, der glänzende, lustige Hof ist verschwunden, sprach er zu sich, die fürstliche Gemahlin ist entflohen, der glänzende Frauenkreis, der sie einst umgab, hat sich zerstreut, die Ritter und Grafen, die einst hier schmausten und ein reiches Leben voll Spiel und Tanz verlebten, sind von dem Fürsten abgefallen, die zarten Sprossen seiner Ehe sind in fernen Landen – er selbst sitzt einsam in dieser herrlichen Burg, brütet Rache an seinen Feinden und weiß nicht wie lange er nur in dem Hause seiner Väter bleiben wird; ob nicht aufs neue seine Feinde noch mächtiger heranziehen, ob er nicht noch unglücklicher wird als je zuvor.

Vergebens strebte der Jüngling diese trüben Gedanken, welche der Widerspruch der Pracht seiner Umgebungen mit dem Unglück des Herzogs in ihm erweckt hatten, zu unterdrücken. Vergebens rief er das Bild jenes holden Wesens herauf, das er jetzt bald auf ewig sein nennen durfte, vergebens malte er sich sein häusliches Glück an ihrer Seite mit den lockendsten, reizendsten Farben aus, jene trüben Bilder kehrten immer wieder. Sei es, daß jener Mann durch die Erhabenheit, die er im Unglück gezeigt hatte, einen so großen Raum in der Brust des Jünglings gewonnen hatte, sei es, daß ihn die Natur in einzelnen Augenblicken mit einem unwillkürlichen Gefühl der Ahnung begabte, er blieb sinnend und ernst und es war ihm, als sei der Herzog nichts weniger als glücklich, als müsse er ihn vor irgendeinem drohenden Unglück warnen.