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Und dennoch schien es durchaus mit rechten Dingen zuzugehen; denn als der Schreiber des Großen Rates aus dem Zimmer auf die Galerie trat, um sich zu überzeugen, daß ihn seine Augen getäuscht haben müssen, kam sein Oheim der alte Herr von Lichtenstein die Treppe herauf. An der rechten Hand führte er Georg von Sturmfeder, an der linken – Bäschen Marie. Welche Veränderung war mit jenen holden Zügen vorgegangen, die sich so tief in sein Herz, in sein Gedächtnis geprägt hatten.

In Ulm war sie ihm zum erstenmal wie ein Bote aus einem unbekannten Lande erschienen, so erhaben war der Blick ihrer schönen blauen Augen, so majestätisch ihre Stirne, so sinnig jenes kleine Fleckchen zwischen den schönen dunkeln Bogen der Brau'n. Er hatte oft und viel darüber nachgedacht, in was denn der Zauber bestehe, der ihn so unwiderstehlich feßle? Die Ulmer Mädchen hatten frischere Wangen, lebhaftere Augen, ein schalkhafteres Lächeln und den fröhlichen frischen Glanz einer heitern Jugend. Und dennoch war Marie unter ihnen gestanden, still und groß wie eine Königin. War es vielleicht der dunkle Schleier ihrer Wimpern, der sich oft mit unnennbarem Reiz über das Auge herabsenkte, um das Geheimnis einer stillen Träne zu verhüllen? Waren es die feinen geschlossenen Lippen, von süßer Wehmut umlagert? War es der zarte Wechsel der Farben auf ihren Zügen, die bald nur gebietende Hoheit auszustrahlen, bald das reizende Geheimnis leidender Liebe zu verraten schienen? Bertas Heiterkeit, Bertas fröhliche neckende Gunst hatte dieses ernstere Bild längst aus seinem Herzen verdrängt, und doch fühlte der arme Herr Dieterich die alte Wunde wieder bluten, als das Fräulein von Lichtenstein sich nahte. Aber welcher unbekannten Macht sollte er es zuschreiben, daß Mariens Züge einen ganz anderen Ausdruck gewonnen hatten? Wohl lag noch eine hohe Würde in ihrer Haltung, auf ihrer Stirne, aber in ihren Augen glühte eine stille Freude, ihr Mund lächelte und scherzte, auf ihren Wangen waren die schönsten Rosen aufgeblüht. Sprachlos hatte Dieterich von Kraft diese Erscheinung angestarrt, und jetzt erst wurde auch er von dem alten Ritter bemerkt. »Seh ich recht«, rief dieser, »Dieterich Kraft, mein Neffe! was führt denn dich nach Stuttgart, kommst du etwa zur Hochzeit meiner Tochter mit Georg von Sturmfeder? Aber wie siehst du aus? Was fehlt dir doch? Du bist so bleich und elend, und deine Kleider hängen dir in Fetzen vom Leibe!«

Der Ratsschreiber sah herab auf das rosenfarbene Mäntelein und errötete: »Weiß Gott«, rief er, »ich kann mich vor keinem ehrlichen Menschen sehen lassen! Diese verdammten Württemberger, diese Weingärtner und Schustersjungen haben mich so zerfetzt. Aber wahrhaftig! der ganze durchlauchtige Bund ist in meiner Person angegriffen und beleidigt!«

»Ihr dürft froh sein, Vetter! daß Ihr so davongekommen seid«, sagte Georg, indem er die Angekommenen in sein Gemach einführte; »bedenket Herr Vater, gestern nacht, als wir vor den Toren standen, hielt er Reden an die Bürger, um sie aufzuwiegeln gegen uns; da hat ihn heute frühe der Kanzler wollen köpfen lassen; mit großer Mühe bat ich ihn los, und jetzt klagt er die Württemberger wegen seines zerfetzten Mänteleins an.«

»Mit gnädiger Erlaubnis«, sagte Frau Rosel, und verbeugte sich dreimal vor dem Ratsschreiber, »wenn Ihr meine Hülfe annehmen wollet, so will ich den Mantel flicken, daß es eine Lust ist. Da geht's wie im Sprüchwort: ›Hat der Junge den Rock zerrissen, hat der Alt' ihn flicken müssen.‹«

Herrn Dieterich war diese Hülfe sehr angenehm; er bequemte sich zu der Frau Rosel ans Fenster zu sitzen, um sich seine Gewänder zurechtrichten zu lassen. Sie zog aus ihrer großen Ledertasche Zwirn von allen Farben und machte sich an die Wunden, die ihm die Württemberger geschlagen hatten. Sie unterhielt ihn dabei mit ergötzlichen Reden von der Haushaltung und der Zubereitung verschiedener Speisen, die in Frau Sabinas Kochregister nicht vorgekommen waren. Entfernt von diesem Paar um die ganze Breite des Zimmers, saßen Georg und Marie im traulichen Flüstern der Liebe. Weder der gelehrte Johannes Tethingerus, noch ein Johannes Bezius, weder Gabelkofer noch Crusius, so wichtige Kunden wir ihnen über diese Zeiten verdanken, melden uns, was diese beiden an jenem Morgen zusammen flüsterten, nur so viel können wir berichten, daß eine süße Ruhe auf Mariens Zügen lag, daß sie die schönen Augen bald freudig aufschlug, bald verschämt wieder senkte, daß sie bald lächelte, bald tief errötete, und manche Frage des Geliebten mit Küssen zurückdrängte.

Der Leser wird es uns Dank wissen, wenn wir ihn von einer Szene, die so wenig historischen Grund und Boden, also nach neueren Begriffen auch keinen Wert hat, hinwegführen, und den Schritten des Ritters von Lichtenstein folgen. Er hatte seine Tochter unter der Pflege Georgs, seinen Neffen unter der kunstreichen Hand der Frau Rosalia gelassen, und schritt nun den Gemächern des Herzogs zu. Seine Züge, welchen Alter und Erfahrung einen sinnenden Ernst eingedrückt hatten, erschienen in dieser Stunde noch ernster – beinahe traurig. Dieser Mann hatte von seinen Vätern die Liebe zum Hause Württemberg geerbt, Gewohnheit und Neigung hatten ihn an die Regenten gefesselt, die während seines langen Lebens über Württemberg geherrscht hatten, und das Unglück und die Verleumdung, welche auf Ulerich unablässig hereinstürmten, hatten das Herz des alten Herrn nicht von diesem Herzog losreißen können – sie fesselten ihn nur mit noch stärkeren Banden. Mit der Freude eines Bräutigams, der zur Hochzeit zieht, mit der Kraft eines Jünglings hatte er den weiten und beschwerlichen Weg von seinem Schloß nach Stuttgart zurückgelegt, als man ihm gemeldet hatte, daß der Herzog Leonberg erobert habe und auf Stuttgart zu ziehe. Keinen Augenblick zweifelte er an dem Siege des Herzogs und so traf es sich, daß er schon am andern Morgen der neuen Herrschaft Ulerichs nach Stuttgart kam.

Nicht so fröhlicher Art waren die Nachrichten, die ihm Georg mitteilte, als er mit ihm und Marien die Treppe heraufstieg. »Der Herzog«, hatte ihm jener zugeflüstert, »der Herzog ist nicht so wie er sollte; Gott weiß was er mit seinem Lande machen will, er hat unterweges sonderbare Reden fallen lassen, und ich fürchte er ist nicht in den besten Händen. Der Kanzler Ambrosius Volland –« Dieser einzige Name reichte hin, in dem Ritter von Lichtenstein große Besorgnisse aufzuregen. Er kannte diesen Volland, er wußte, daß er zwar gelehrt, in allen Regierungsgeschäften überaus wohlerfahren, zu jedem, auch dem schwersten Dienst bereit, aber dabei ein Mann sei, der zum wenigsten schon öfter ein gewagtes, wo nicht falsches Spiel gespielt habe.

»Wenn der Herzog diesem sein Vertrauen schenkt, wenn er nur seine Ratschläge befolgt, dann sei Gott gnädig. Dem Ambrosius ist das Land ein Stück Leder, das man nach Willkür handhaben kann, er wird es zurechtschneiden wollen zu einem Koller für den Herzog und die Abschnipfel für sich behalten. Aber wie Frau Rosel zu sagen pflegt: ›Zerschneiden kann jeder Narr, aber wie zusammennähen?‹ « So sprach der alte Herr von Lichtenstein zu sich, als er durch die Galerien ging; er streichelte unmutig seinen langen weißen Bart, und seine Augen glühten vom Eifer für die gute Sache Württembergs.

Er wurde sogleich vorgelassen, und traf den Herzog in großer Beratung mit Ambrosio. Der letztere hatte eine ungeheure Schwanenfeder in der einen Hand, in der andern hielt er ein Pergament, das mit schwarzer, roter und blauer Dinte in vielen zierlichen Schnörkeln beschrieben war. Der Herzog spielte mit einem großen Sigill, das er in der Hand hielt, er schien mit sich zu kämpfen, er sah bald seinen Kanzler durchdringend an, bald heftete sich sein Blick wieder auf das Sigill. Sie waren beide so vertieft, daß Lichtenstein einige Minuten im Zimmer stand, ohne von ihnen bemerkt zu werden; er betrachtete mit großer Teilnahme die edlen Züge Ulerichs von Württemberg. Er sah, wie auf seiner Stirne, in seinen sprechenden Augen, so verschiedene Empfindungen wechselten. Bald runzelte sich seine Stirne, seine Augenbrau'n zuckten, sein Auge rollte, dann glätteten sich diese Falten, aus seinen Blicken strahlte nur ein tiefer Ernst, der in Nachdenken überging, und oft schien ein Anflug von Güte den strengen Ausdruck seiner Züge zu mildern. Aber der im gelben Mäntelein, mit der Schwanenfeder in der Hand, stand wie der Versucher vor ihm; er wandt' und drehte sich vor ihm, wie die Schlange im Paradies, und das ewig stehende Lächeln, der Ausdruck von Ehrlichkeit, den er seinen grünen Äuglein zu geben wußte, wenn ihn sein Herr scharf ansah, sollten einladen den Apfel anzubeißen.