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Und noch während sie darüber nachdachte, spürte sie die Hartlinge und erkannte dann auch, daß sie weit entfernt waren.

Sie hielt inne, versuchte sich zu beruhigen. Das Gestein, das sie umgab und durchdrang, legte einen grauen Schimmer über ihre Wahrnehmung, ohne sie sonst im geringsten zu beeinträchtigen. Eher war alles noch deutlicher. Sie spürte noch immer Tritts geruhsamen Marsch nach unten, als ginge sie neben ihm, und sie erfühlte die Hartlinge, obwohl sie sich im nächsten Höhlenkomplex aufhielten. Sie sah die Hartlinge, jeden einzelnen von ihnen, jeden an seinem Platze, und spürte die Vibrationen ihres Gesprächs, und sie erfaßte sogar bruchstückweise, was da gesprochen wurde.

Noch nie waren ihre Wahrnehmungen so deutlich gewesen.

Obwohl sie den Fels nun also ohne Sorge verlassen konnte, daß sie beobachtet wurde, blieb sie an Ort und Stelle; teilweise vor Erstaunen, teilweise aus Freude über ihre seltsame Fähigkeit und aus dem Wunsch heraus, das Neue weiter zu erproben.

Ihr gesteigertes Empfindungsvermögen ließ sie sogar erkennen, warum sie das alles erspürte. Odeen hatte ihr immer wieder gesagt, wie leicht ihm nach einem Verschmelzen das Begreifen fiel, auch wenn er vorher überhaupt nichts verstanden hatte. Der Zustand des Verschmelzens brachte also eine unglaublich erhöhte Empfindsamkeit - es wurde mehr absorbiert, mehr verarbeitet. Das alles lag an der größeren Atomdichte während des Verschmelzens, hatte Odeen gesagt.

Obwohl Dua nicht sicher war, was "größere Atomdichte" bedeutete, wußte sie, daß sich dieser Zustand beim Verschmelzen ergab, was ihrer derzeitigen Lage nicht unähnlich war, hatte sie sich doch mit dem Gestein verschmolzen.

Wenn die Triade verschmolz, flössen alle Wahrnehmungsimpulse Odeen zu. Der Denkling absorbierte sie, gewann an Intelligenz und behielt das neue Begriffsvermögen auch nach der Trennung bei. Aber hier stellte nun Dua das einzige Bewußtsein. Nur sie und das Gestein waren beteiligt. Von der "größeren Atomdichte" (die es doch hier gewiß gab) konnte also nur sie profitieren.

(Wurde das Felsreiben deshalb als Perversion angesehen? Wurden deshalb die Gefühlslinge davor gewarnt? Oder lag es nur an Duas besonders durchscheinender Substanz, daß sie m den Felsen eindringen konnte? Oder weil sie ein LinksG war?)

Doch nun gab Dua die wilden Vermutungen auf und konzentrierte sich fasziniert auf ihre Sinne. Sie merkte nur nebenbei, daß Tritt zurückkehrte, an ihr vorbeiging und in die Richtung verschwand, aus der er gekommen war. Sie merkte nur nebenbei ohne die geringste Überraschung zu empfinden , daß auch Odeen aus den Hart-Höhlen heraufkam. Sie konzentrierte sich völlig auf die Hartlinge und versuchte ihren Wahrnehmungssinn noch besser wirken zu lassen, versuchte das Beste daraus zu machen.

Erst spät löste sie sich aus dem Gestein und schwebte wieder frei. Und da war es ihr gar nicht mehr so wichtig, ob sie nun beobachtet wurde oder nicht. Sie verließ sich schon so weit auf ihre neue Fähigkeit, daß das nicht der Fall sein würde.

Gedankenverloren kehrte sie nach Hause zurück.

3 b

Odeen kehrte nach Hause zurück, wo Tritt bereits auf ihn wartete. Dua war noch nicht da. Tritt schien sich darüber nicht weiter aufzuregen. Er war zwar aufgeregt, aber nicht darüber. Seine Gefühle strahlten so stark, daß Odeen sie deutlich wahrnahm; doch er ging ihnen nicht weiter nach. Duas Abwesenheit machte Odeen unruhig; und es wurde bald so schlimm, daß ihn Tritts Anwesenheit ärgerte, nur weil Tritt nicht Dua war.

Das überraschte ihn. Er konnte nicht leugnen, daß ihm eigentlich Tritt lieber war als Dua. Im Idealfalle bildeten die Mitglieder einer Triade eine Einheit, in der jedes Mitglied die anderen beiden genau gleich behandelte. Doch kannte Odeen keine Triade, in der das der Fall war; am wenigsten in den Gemeinschaften, die sich in dieser Beziehung lautstark als vollkommen bezeichneten. Einer der drei stand im allgemeinen etwas außerhalb und wußte das meistens auch.

Allerdings war es selten der Gefühlsling. Die Gefühlslinge halfen sich über die Grenzen der Triaden hinweg gegenseitig -was Denklinge und Elterlinge niemals taten. Der Denkling hat seine Lehrer, lautete ein Sprichwort, und der Eiterung seine Kinder - doch der Gefühlsling hat alle anderen Gefühlslinge.

Die Gefühlslinge unterhielten sich oft über ihre Erlebnisse, und wenn einer eine Vernachlässigung anzeigen konnte, wurde er mit genauen Anweisungen nach Hause geschickt, wo er die Stellung behaupten und Forderungen anmelden mußte! Und da das Verschmelzen sehr vom Gefühlsling und seiner Einstellung abhing, wurde von Links und Rechts gewöhnlich schnell nachgegeben.

Aber Dua war ein so untypischer Gefühlsling! Es schien ihr gleichgültig zu sein, daß sich Odeen und Tritt so nahestanden, und sie hatte keine guten Freundinnen unter den anderen Ge-fühlslingen, die ihr diese Gleichgültigkeit ausgetrieben hätten. Ja, das war es: Dua war ein so untypischer Gefühlsling.

Odeen mochte es sehr, wenn sie sich für seine Arbeit interessierte, und freute sich über ihren Einsatz und ihre erstaunliche Lernfähigkeit; aber das war nur eine intellektuelle Liebe. Seine tieferen Gefühle galten dem geradlinigen, dummen Tritt, der seinen Platz genau kannte und der außer dem absolut Notwendigen so wenig zu bieten hatte - die Sicherheit bewährter Routine.

Doch jetzt war Odeen ungeduldig. "Hast du nicht von Dua gehört, Tritt?" fragte er.

Tritt antwortete nicht direkt. "Ich habe zu tun. Wir sprechen später noch. Ich bin sehr beschäftigt gewesen", sagte er nur.

"Wo sind die Kinder? Bist du auch irgendwo unterwegs gewesen? Du hast eine ganz seltsame Aura."

Leiser Ärger schlich sich in Tritts Stimme: "Die Kinder sind wohlerzogen. Sie können auch mal allein in die Gemeinschaftsaufsicht gehen. Also wirklich, Odeen, sie sind keine Babies mehr." Doch die seltsame Aura stritt er nicht ab.

"Es tut mir leid. Ich will ja nur, daß Dua kommt."

"Die Sehnsucht solltest du öfter haben", meinte Tritt. "Du sagst mir immer, ich soll sie in Ruhe lassen. Nun geh sie auch suchen." Und er verschwand im Hintergrund der Wohnhöhle.

Odeen schaute seinem Rechtsling überrascht nach. Normalerweise wäre er dem anderen jetzt gefolgt, um die ungewöhnliche Unruhe zu erkunden, die sich da durch die angeborene Schwerfälligkeit des Elterlings bemerkbar machte. Was hatte Tritt angestellt?

Aber er wartete auf Dua, wobei er von Sekunde zu Sekunde nervöser wurde - und er ließ Tritt in Ruhe.

Die Sorge schärfte Odeens Empfindungsvermögen. Im allgemeinen waren Denklinge fast stolz auf ihre unzureichende Wahrnehmung. Sie war keine Sache des Geistes; sie war Sache der Gefühlslinge. Odeen war ein hochgradiger Denkling und legte Wert auf logisches Denken und nicht auf Gefühl - trotzdem schickte er nun mit aller Kraft das unvollkommene Netz seiner Gefühlswahrnehmung aus und wünschte sich einen kurzen Augenblick, Gefühlsling zu sein, damit er seine Reichweite erhöhen und besser beobachten konnte.

Schließlich erfüllten seine Gaben doch ihren Zweck. Schwach machte er Duas Annäherung aus, in einer für ihn ungewöhnlichen Entfernung; und er eilte ihr entgegen. Und da er sie so weit entfernt bemerkte, war er sich ihrer durchscheinenden Struktur auch mehr bewußt als sonst. Sie war eigentlich nur ein Nebelhauch, weiter nichts.

Tritt hatte recht, überlegte Odeen in plötzlicher Sorge. Dua mußte irgendwie zum Essen und Verschmelzen angehalten werden. Ihr Lebensinteresse mußte angeregt werden.

So sehr konzentrierte er sich auf diese Dinge, daß er es als gar nicht ungewöhnlich empfand, als sie ihm jetzt entgegenstürzte und ihn praktisch umhüllte, ohne sich darum zu kümmern, daß sie gar nicht allein waren und beobachtet werden konnten, und schließlich sagte: "Odeen, ich muß alles wissen ... ich muß so unendlich viel wissen..." Er nahm diesen Ausbruch als die Fortsetzung seines Gedankens.

Vorsichtig wich er zurück und versuchte sich geziemend zu lösen, ohne zugleich den Eindruck zu erwecken, als stieße er sie zurück. "Komm! Ich habe schon auf dich gewartet. Sag mir, was du wissen willst. Wenn ich kann, werde ich es dir erklären."