"Wenn wir ihre Zeichen verstünden, vielleicht. Aber wir verstehen sie nicht."
Dua schien betrübt. "Nicht einmal die Hartlinge?"
"Ich weiß es nicht. Wenn sie sie verstehen, haben sie es mir jedenfalls nicht gesagt. Losten sagte einmal, es käme nicht darauf an, wie die anderen aussehen, solange nur die Positronenpumpe arbeitete und erweitert würde."
"Vielleicht wollte er dich nur loswerden."
"Ich störe ihn nicht", entgegnete Odeen gekränkt.
"Du weißt schon, was ich meine. Er wollte dir nicht alle Einzelheiten verraten."
An dieser Stelle konnte Tritt nicht länger zuhören. Die Diskussion drehte sich noch eine ganze Weile um die Frage, ob die Hartlinge Dua einen Blick auf die Zeichen werfen lassen sollten oder nicht. Dua meinte, sie könnte die Bedeutung der Zeichen vielleicht erspüren.
Das machte Tritt ein wenig ärgerlich. Schließlich war Dua nur ein Weichwesen und noch nicht einmal ein Denkling. Er begann sich zu fragen, ob Odeen recht daran tat, ihr so viel zu verraten. Dua entwickelte immer so komische Vorstellungen...
Auch Odeen regte sich auf, Dua merkte es deutlich. Zuerst lachte er nur, dann sagte er, daß ein Gefühlsling derart komplizierte Dinge kaum bewältigen könnte. Dann wollte er nichts mehr davon hören. Dua mußte eine ganze Zeit sehr nett zu ihm sein, ehe er sich schließlich doch herumkriegen ließ.
Einmal war auch Dua ärgerlich - sogar außerordentlich wütend.
Es fing ganz normal an. Sogar die Kinder waren dabei. Odeen tollte mit ihnen herum. Er schien nichts dagegen zu haben, daß der kleine Rechtsling Torum an ihm herumzerrte. Überhaupt ließ er sich ganz ungehörig gehen. Es schien ihm gar nichts auszumachen, völlig die Form verloren zu haben -ein sicheres Zeichen, daß er sich vergnügte. Tritt verharrte geruhsam in einer Ecke und war ebenfalls sehr zufrieden mit der Szene.
Dua belachte Odeens Verformungen. Kokett berührte sie Odeens zerdehnte Substanz. Sie wußte genau, überlegte Tritt, daß die Oberfläche eines Linkslings, wenn sie nicht ihre normale Rundung aufwies, sehr empfindlich war.
"Ich habe nachgedacht, Odeen", sagte sie. "Wenn die Gesetze des anderen Universums durch die Positronenpumpe ein wenig zu uns herübergedrückt werden, gelangen dann nicht auch unsere Gesetze im gleichen Maße in das andere Universum?"
Bei Duas Berührung heulte Odeen auf und versuchte ihr auszuweichen, ohne die beiden Kleinen umzuwerfen. Er keuchte: "Ich kann dir das erst beantworten, wenn du damit aufhörst, du Mitt-Hexe!"
Sie hörte auf, und er sagte: "Das war ein sehr guter Gedanke, Dua. Du bist ein erstaunliches Wesen. Es stimmt natürlich. Die
Vermischung spielt sich in beiden Richtungen ab ... Tritt, bring doch mal die Kleinen fort, ja?" Aber sie eilten schon von allein hinaus. So klein waren sie auch nicht mehr. Annis begann bald mit der Schule, und Torum hatte schon viel von der Klobigkeit eines Elterlings.
Tritt blieb und überlegte, daß Dua doch sehr schön aussah, wenn Odeen sich so mit ihr unterhielt.
"Wenn die anderen Gesetze die Sonnen bei uns verlangsamen und abkühlen", sagte Dua, "müssen dann unsere Gesetze die Sonnen drüben nicht anfeuern und aufheizen?"
"Genau, Dua. Ein Denkling hätte es nicht besser sagen können."
"Wie sehr werden denn die Sonnen im anderen Universum erhitzt?"
"Oh, nicht viel; nur ein bißchen, ein kleines bißchen."
"Aber eben um diesen Punkt dreht sich mein ungutes Gefühl, Odeen."
"Na ja, das Problem liegt darin, daß die Sonnen drüben so riesig sind. Wenn unsere kleinen Sonnen ein wenig abkühlen, macht das nichts. Es wäre sogar egal, wenn sie völlig erkalteten, solang wir die Positronenpumpe haben. Wenn riesige Sterne jedoch nur ein wenig heißer werden, bringt das Probleme. In jedem dieser Sterne ist so viel Materie, daß eine Intensivierung der Atomverschmelzung eine Explosion zur Folge hat."
"Explosion! Aber was passiert dann mit den Wesen?"
"Mit welchen Wesen?"
"Den Wesen im anderen Universum!"
Einen Augenblick lang starrte Odeen sie verständnislos an. Dann sagte er: "Ich weiß es nicht."
"Nun, was würde bei einer Explosion unserer Sonne geschehen?"
"Die könnte unmöglich explodieren."
(Tritt fragte sich, was die ganze Aufregung sollte. Wie konnte eine Sonne explodieren? Dua schien immer wütender zu werden, und Odeen beäugte sie verwirrt.)
"Nehmen wir einmal an, sie würde explodieren", beharrte Dua. "Würde es dann hier sehr heiß werden?"
"Ich nehme es an."
"Würden wir alle daran sterben?"
Odeen zögerte und erwiderte dann mit deutlichem Unwillen: "Was für einen Unterschied macht es denn, Dua? Unsere Sonne explodiert nicht, und nun stell keine dummen Fragen mehr."
"Du hast mich selber aufgefordert, Fragen zu stellen, Odeen, und es macht einen Unterschied, denn die Positronenpumpe arbeitet in beiden Richtungen. Wir brauchen das andere Ende ebenso wie das unsere."
Odeen starrte sie an: "Das hast du aber nicht von mir."
"Ich fühle es."
"Du fühlst sehr viel, Dua ..."
Aber Dua hatte zu schreien begonnen. Sie war völlig außer sich. Noch nie hatte Tritt sie so erlebt. Sie brüllte: "Versuch nicht das Thema zu wechseln, Odeen. Und zieh dich nicht auf deinen Gipfel zurück und versuch mich zum Narren zu stempeln - wieder mal so ein typischer Gefühlsling! Du hast selbst gesagt, ich wäre fast ein Denkling, und das stimmt jedenfalls so weit, daß ich erkenne, daß die Positronenpumpe ohne die An-der-Wesen nicht funktionieren würde. Wenn die Wesen in dem anderen Universum vernichtet werden, kommt die Positronenpumpe zum Stillstand. Unsere Sonne ist dann kälter denn je, und wir alle verhungern. Hältst du das wirklich für unwichtig?"
Odeen brüllte jetzt ebenfalls: "Das zeigt mal wieder, wie wenig du wirklich begreifst. Wir brauchen die Hilfe der anderen, weil die Energie drüben nur in niedriger Konzentration vorhanden ist und wir deshalb Materie austauschen müssen. Wenn die Sonne im anderen Universum explodiert, gibt es einen gewaltigen Energiestrom, einen riesigen Energiesturz, der eine
Million Lebensspannen langt. Energie wäre dann so überreichlich vorhanden, daß wir sie ohne Materieaustausch direkt anzapfen könnten. Also brauchen wir die anderen nicht. Und es ist ganz egal, was mit ihnen passiert..."
Sie berührten sich fast. Tritt war entsetzt. Er mußte wohl schnell etwas sagen, damit sie auseinandergingen, mußte mit ihnen reden. Doch es wollte ihm nichts einfallen. Im nächsten Augenblick wurde er aus seinem Dilemma erlöst.
Vor der Höhle stand ein Hartling. Nein, drei sogar. Sie hatten mehrfach versucht, sich bemerkbar zu machen - doch vergeblich. Tritt kreischte: "Odeen! Dua!"
Dann verstummte er zitternd. Er hatte eine fürchterliche Ahnung, weswegen die Hartlinge gekommen waren. Er beschloß zu verschwinden.
Doch der vorderste Hartling hob einen seiner beständigen, undurchsichtigen Ausläufer und sagte: "Bleib hier."
Es klang barsch, unfreundlich. In seinem ganzen Leben hatte Tritt noch keine solche Angst gehabt.
Dua war wütend, so wütend sogar, daß sie die Hartlinge kaum wahrnahm. Und diese Wut hatte mehrere Gründe - Gründe, die jeder für sich schon ausgereicht hätten, ihre Gefühle zum Überfließen zu bringen. Es war nicht richtig, daß Odeen sie hatte belügen wollen. Es war nicht richtig, daß eine ganze Welt mit ihren Bewohnern sterben sollte. Nicht richtig auch, daß ihr das Lernen so leicht fiel und daß es ihr bisher stets verwehrt gewesen war.
Nach ihrem ersten Erlebnis im Felsgestein war sie noch zweimal in den Hart-Höhlen gewesen. Noch zweimal hatte sie sich unbemerkt im Fels vergraben und jedesmal neue Erkenntnisse aufgenommen, und jedesmal wenn Odeen ihr etwas erklären wollte, wußte sie schon vorher, was er sagen würde.
Warum konnte man sie nicht unterweisen, so wie Odeen unterwiesen worden war? Warum nur die Denklinge? War denn ihre Lernfähigkeit nur darauf zurückzuführen, daß sie ein LinksG war, ein pervertierter Mittling? Egal, warum konnte man sie nicht trotzdem unterweisen? Es war nicht richtig, ihr das alles vorzuenthalten.