Odeen gab es auf. "Dua wird sehr wütend sein", sagte er nur.
"Sie wird darüber hinwegkommen."
"Da bin ich mir nicht so sicher. Tritt, sie ist kein normaler Gefühlsling. Deshalb ist das Zusammenleben mit ihr ja auch so schwer und um so wundervoller, wenn es klappt. Sie wird vielleicht niemals wieder mit uns verschmelzen wollen."
Tritts Umrisse veränderten sich nicht. Dann sagte er: "Na und?"
"Na und? Das mußt du ausgerechnet fragen! Willst du denn das Verschmelzen aufgeben?"
"Nein, aber wenn sie's nicht will, will sie's nicht. Ich habe mein drittes Baby - und es ist mir jetzt egal. Ich weiß wohl, wie das früher mit den Weichwesen war. Da gab es manchmal zwei Kindergenerationen in einer Triade. Aber das ist mir egal. Drei Kinder reichen auch."
"Aber Tritt, beim Verschmelzen geht es nicht nur um die Babies."
"Um was denn noch? Ja, ja, ich habe dich mal sagen hören, daß du nach einem Verschmelzen schneller lernst. Na, dann lernst du eben wieder langsamer. Ist mir egal. Ich habe mein drittes Baby."
Odeen wandte sich ab und verließ zitternd das Zimmer. Was hatte es für einen Sinn, mit Tritt zu schelten? Tritt verstand das alles nicht. Odeen war nicht einmal sicher, daß er selbst es begriff.
Wenn das dritte Baby geboren und ein wenig gewachsen war, kam die Zeit zum Weiterziehen. Er, Odeen, würde dazu das Zeichen geben müssen, er würde den Zeitpunkt bestimmen, und das mußte dann ohne Angst geschehen. Alles andere wäre unehrenhaft oder schlimmer - und doch konnte er dem nicht ohne Verschmelzen entgegensehen, selbst jetzt nicht, da alle drei Kinder gezeugt waren.
Nur das Verschmelzen konnte die Angst lindern, vielleicht weil es auf seine Art schon ein Weiterziehen war. Es löste eine Periode aus, da man nicht bei Bewußtsein war - und doch tat es nicht weh. Es war, als existierte man überhaupt nicht mehr, und doch war es wünschenswert. Durch das Verschmelzen ließ sich der Mut destillieren, ohne Angst weiterzuziehen und ohne...
Oh, Sonne und Sterne, das war kein "Weiterziehen"! Er kannte jenes andere Wort, das nur von Kindern benutzt wurde, wenn sie ihre Eltern schockieren wollten. Es war das Sterben. Er mußte sich wappnen, ohne Furcht zu sterben und Dua und Tritt mit sich zu nehmen.
Und er wußte nicht, wie... Nicht ohne Verschmelzen...
Tritt blieb allein zurück, verängstigt, doch zugleich fest entschlossen, sich nicht beeindrucken zu lassen. Er hatte sein drittes Baby. Er spürte es in seiner Substanz.
Darauf kam es an.
Einzig und allein darauf kam es an.
Warum nagte dann tief drinnen das unbestimmte Gefühl, daß es doch nicht nur darauf ankam?
Dua schämte sich so sehr, daß es fast unerträglich war. Es dauerte lange, bis sie diese Scham überwunden hatte, bis sie sie so weit niedergekämpft hatte, daß sie wieder klar denken konnte. Sie war blindlings davongestürmt - fort, fort von den Schrecknissen der Wohnhöhle, ohne darauf zu achten, wohin sie ging, ohne zu wissen, wo sie überhaupt war.
Es war Nacht - eine Zeit, da sich kein anständiges Weichwesen an der Oberfläche herumtrieb - nicht einmal der kühnste Gefühlsling. Lind der Sonnenaufgang war noch fern. Dua war darüber nur früh. Die Sonne bedeutete Nahrung, und im Augenblick verabscheute sie nichts so sehr wie Nahrung, und sie verabscheute, was ihr da angetan worden war.
Es war auch kalt, was Dua nur am Rande registrierte. Was sollte ihr die Kälte ausmachen, überlegte sie, wenn sie gemästet worden war, damit sie ihre Pflicht tun konnte - gemästet an Geist und Körper. Nach so etwas konnten Kälte und Hunger nur ihre Freunde sein.
Sie durchschaute Tritt. Armes Ding, er war so leicht zu durchschauen in seiner Instinkthaftigkeit. Und er hatte wirklich ein Lob verdient, daß er seine Instinkte so kühn durchgesetzt hatte. Mutig war er mit dem Nahrungsball aus den Hart-Höhlen zurückgekehrt (und sie - sie hatte ihn noch erfühlt und hätte sofort Bescheid gewußt, wenn Tritt nicht von seinem gewagten Tun so überwältigt gewesen wäre, daß er gar nicht daran zu denken wagte; und wenn sie nicht von ihrem gewagten Tun und dem neuen Empfindungsvermögen so überwältigt gewesen wäre, daß sie auf alles andere achtete - nur nicht auf das Wichtige)..
Tritt hatte den Nahrungsball unbemerkt in die Höhle gebracht und seine armselige Falle aufgebaut, hatte das Eßgerät garniert, um sie zum Essen zu animieren. Und sie war heimgekommen, erregt von ihrer felsdurchdringenden Zartheit, erfüllt von Scham und von Mitleid mit Tritt. Und die Scham und das Mitleid brachten sie an die Elektroden und trugen zu dem neuen Leben bei. Danach hatte sie wie gewohnt nur wenig gegessen und niemals am Eßgerät - aber nun fehlte auch der rechte Impuls. Tritt hatte sie nicht mehr gedrängt. Er war sichtlich zufrieden (natürlich), und so hatte nichts ihre Scham wieder aufleben lassen. Und Tritt ließ den Nahrungsball an Ort und Stelle. Er wagte ihn nicht wieder fortzunehmen; er hatte, was er wollte; es war das einfachste, ihn einfach liegenzulassen und nicht mehr daran zu denken.
Bis er dann erwischt wurde.
Aber der kluge Odeen mußte Tritts Plan doch durchschaut, mußte die neuen Elektrodenkontakte bemerkt, mußte Tritts Absicht erkannt haben! Zweifellos hatte er Tritt nichts gesagt; das hätte ihn nur erschreckt, und Odeen wachte doch stets liebevoll über den armen Rechtsling.
Natürlich. Odeen brauchte gar nichts zu sagen; er brauchte nur die Lücken in Tritts ungeschicktem Plan auszufüllen, und die Sache klappte.
Dua machte sich keine Illusionen. Sie hätte den Geschmack des Nahrungsballs sofort bemerkt, den besonderen Beigeschmack; sie hätte gemerkt, wie die Nahrung sie anzufüllen begann, ohne ihr zugleich ein Völlegefühl zu geben; sie hätte es bemerkt - wäre da nicht Odeen mit seinem ablenkenden Geschwätz gewesen.
Es war eine Verschwörung der beiden, auch wenn Tritt nur unbewußt daran teilgehabt hatte. Wie hatte sie Odeen sein Spiel als überraschend besorgter Lehrer nur abnehmen können? Wie hatte sie die dahinterstehende Absicht übersehen können? Odeens und Tritts Sorge um sie war die Sorge um die Vervollständigung der neuen Triade - und schon das war ein Zeichen dafür, wie wenig die beiden von ihr hielten.
Nun...
Sie hielt inne, spürte ihre Müdigkeit und duckte sich in eine kleine Felsspalte, die sie vor dem dünnen, kalten Wind schützte. Sie konnte zwei von den sieben Sternen sehen, beobachtete sie geistesabwesend, beschäftigte ihre Sinne mit unwichtigen Dingen, damit sie sich um so mehr auf ihre Gedanken konzentrieren konnte.
Sie hatte ihre Illusionen verloren.
"Verraten!" murmelte sie. "Verraten."
Dachten die anderen denn nur an sich selbst?
Daß Tritt die Vernichtung der ganzen Welt hingenommen hätte, wenn er und die Babies überlebten, war selbstverständlich. Er war ja auch ein Instinktwesen. Aber Odeen?
Odeen dachte; hieß das, daß er der Schärfung seines Geistes alles andere opfern würde? War alles, was der Verstand hervorbrachte, schon allein dadurch in seiner Existenz gerechtfertigt - um jeden Preis? Mußte die Elektronenpumpe, weil Estwald sie erfunden hatte, so eingesetzt werden, daß ihr die ganze Welt, Hartlinge und Weichwesen gleichermaßen, hilflos ausgeliefert war - und die Wesen im anderen Universum ebenso? Wenn nun die Ander-Wesen plötzlich aufhörten und die Welt dann ohne Elektronenpumpe um eine gefährlich abgekühlte Sonne kreiste...
Nein, sie würden die Pumpe nicht stoppen, diese AnderWesen, denn sie waren dazu gebracht worden, die Sache in Gang zu bringen, und man würde sie weiter am Gängelband führen, bis sie vernichtet waren - und dann wurden sie von den Denklingen, Hartlingen oder Weichwesen, nicht länger benötigt - so wie auch sie, Dua, nun da sie nicht länger benötigt wurde, weiterziehen mußte (oder zerstört wurde).