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Eine Kellnerin trat an ihren Tisch und stellte mit schnellen, gleitenden Bewegungen die Teller ab.

Der Mann von der Erde war sichtlich beeindruckt. "Es scheint ja fast, als ließen Sie die Teller herabschweben", meinte er, zu der Kellnerin gewandt.

Die Kellnerin lächelte und verschwand.

"Versuchen Sie es ihr nur nicht nachzumachen", sagte Selene. "Sie ist die Schwerkraft gewöhnt und kann damit umgehen."

"Und wenn ich es versuche, lasse ich alles fallen? Richtig?"

"Es würde ein fürchterliches Durcheinander geben."

"Dann laß ich es lieber sein."

"Die Chancen stehen gut, daß es doch jemand versucht, und dann segelt der Teller zu Boden. Der Übeltäter greift unweigerlich danach und verfehlt sein Ziel, und ich wette zehn zu eins, daß er dabei aus dem Stuhl gehoben wird. Ich würde ja alle davor warnen, aber das ist ohnehin sinnlos, und wenn es dann trotzdem geschieht, sind die Betroffenen nur noch aufgeregter. Natürlich lachen die anderen, die Touristen - denn wir Eingeborenen haben das schon zu oft gesehen, um es lustig zu finden, und man muß hinterher immer fürchterlich aufwischen."

Der Mann von der Erde hob vorsichtig seine Gabel. "Ich verstehe. Sogar die einfachste Bewegung hat etwas Seltsames."

"Eigentlich gewöhnt man sich sehr schnell daran. Wenigstens an Kleinigkeiten wie das Essen. Das Gehen ist schon schwerer. Ich habe noch keinen Erdenmenschen hier draußen vernünftig laufen sehen. Jedenfalls nicht wirklich kraftsparend."

Eine Zeitlang aßen sie schweigend. Dann fragte er: "Was bedeutet denn das L.?" Wieder war sein Blick auf ihr Namensschild gerichtet. Es lautete: "Selene Lindstrom L."

"Luna, weiter nichts", antwortete sie ziemlich gleichgültig, "damit ich mich von den Immigranten unterscheide. Ich bin hier geboren."

"Wirklich?"

"Das ist gar nicht so verwunderlich. Immerhin haben wir schon seit über einem halben Jahrhundert eine funktionierende Gesellschaft hier oben. Glauben Sie etwa, bei uns werden keine Babies geboren? Es gibt Leute, die hier geboren sind und schon Großkinder haben."

"Wie alt sind Sie?"

"Zweiunddreißig", erwiderte sie.

Er sah sie verblüfft an und murmelte schließlich: "Natürlich."

Selene hob die Augenbrauen. "Sie wissen also Bescheid? Den meisten Fremden muß man es erst erklären."

"Ich weiß jedenfalls, daß die meisten sichtbaren Alterserscheinungen dem unweigerlichen Sieg der Schwerkraft über das Körpergewebe entspringen - die Schlaffheit der Wangen, das Herabhängen der Brüste. Da die Mondschwerkraft nur ein Sechstel der Erdgravitation beträgt, ist es eigentlich leicht begreiflich, daß die Menschen hier sehr lange jung aussehen."

"Jung aussehen - das ist es", meinte Selene. "Wir sind keinesfalls unsterblich. Unsere Lebenserwartung ist etwa so groß wie die der Erdbewohner, doch haben wir meistens ein angenehmeres Alter."

"Das ist nicht zu unterschätzen... Natürlich gibt es auch Nachteile, nehme ich an." Der Mann hatte eben zum erstenmal von seinem Kaffee gekostet. "Da wäre zum Beispiel dieses ..." Er suchte nach einem Wort und gab es schließlich auf.

"Wir könnten natürlich Lebensmittel und Getränke von der Erde importieren", sagte sie amüsiert, "aber nur so viel, daß sich damit ein winziger Teil der Bevölkerung für kurze Zeit ernähren ließe. Das wäre sinnlos, solange wir den Laderaum für lebenswichtigere Dinge zur Verfügung haben. Außerdem sind wir das Zeug gewöhnt - oder wollten sie etwa ein stärkeres Wort verwenden?"

"Nicht für den Kaffee", entgegnete er. "Das wollte ich mir für das Essen aufheben. Aber "Zeug" kommt schon hin... Sagen Sie... auf dem Plan für die Tour habe ich das Protonensynchrotron vermißt."

"Das Protonensynchrotron?" Sie leerte ihre Tasse und begann sich umzusehen, als versuchte sie den richtigen Augenblick abzuschätzen, ihre Schäfchen wieder auf die Beine zu bringen. "Das steht unter terrestrischer Verwaltung und ist Touristen leider nicht zugänglich."

"Auch Lunarier dürfen nicht heran?"

"O doch. Das Personal besteht sogar hauptsächlich aus Luna-riern. Aber es ist die terrestrische Regierung, die dort zu bestimmen hat. Keine Touristen."

"Ich würde es sehr gern sehen", sagte er.

"Daran zweifle ich nicht... Sie haben mir Glück gebracht; kein Teller, kein Tourist am Boden."

Sie stand auf und rief: "Meine Damen und Herren, in etwa zehn Minuten geht es weiter. Bitte lassen Sie die Teller einfach stehen. Die Toiletten hier stehen zu Ihrer Verfügung. Anschließend besuchen wir die Nahrungsmittelfabriken, in denen Mahlzeiten, wie Sie sie eben genossen haben, hergestellt werden."

2

Selenes Unterkunft war natürlich nur klein und kompakt, doch sehr durchdacht. Die Fenster boten einen Panoramablick; Weltallszenen, die sich langsam und willkürlich veränderten, ohne Ähnlichkeit mit realen Konstellationen. Jedes der drei Fenster konnte nach Belieben auf teleskopartige Vergrößerung eingestellt werden.

Barron Neville mochte die Fenster nicht. Bei jedem Besuch schaltete er sie mit heftiger Bewegung ab mit der Bemerkung: "Wie hältst du das nur aus? Du bist die einzige, die einen so schlechten Geschmack hat. Wenn diese Nebel und Sternenhau-fen wenigstens existieren würden!"

Und Selene zuckte kühl die Achseln und erwiderte: "Was ist schon Existenz? Woher willst du wissen, daß die anderen Sterne da draußen wirklich existieren? Außerdem geben mir die Fenster ein Gefühl der Freiheit und Bewegung. Darf ich mir das in meiner Privatunterkunft nicht gönnen, bitte sehr?"

Neville pflegte dann etwas zu murmeln und den halbherzigen Versuch zu machen, die Kontrollen wieder so einzustellen, wie er sie vorgefunden hatte.

Die Möbel waren angenehm gerundet und die Wände mit abstrakten Mustern in weichen, unauffälligen Farben bemalt. Die Darstellung von etwas Lebendigem fehlte allerdings völlig.

"Leben ist typisch für die Erde", erklärte Selene, wenn sie darauf angesprochen wurde, "nicht für den Mond."

Als sie jetzt nach Hause kam, fand sie wie so oft Neville in ihrem Zimmer; Barron Neville, der auf der schmalen Couch ruhte. Eine Sandale hatte er abgestreift, und über seinem Bauchnabel, wo er sich gekratzt hatte, schimmerte eine Reihe roter Stellen.

"Machst du uns etwas Kaffee, Barron?" bat sie und glitt, begleitet von einem erleichterten Aufseufzen, mit anmutiger Bewegung aus ihren Kleidern, die sie achtlos zu Boden warf und mit einem Fuß in die Ecke stieß.

"Endlich erlöst", sagte sie. "Das ist das Schlimmste an der Arbeit - daß man sich wie ein Erdchen anziehen muß."

Neville in der Küchenecke kümmerte sich nicht um sie; den Ausspruch kannte er schon. "Was ist mit deinem Wasservorrat?" fragte er. "Es ist ja kaum noch etwas da."

"O wirklich? Da bin ich wohl ziemlich verschwenderisch gewesen. Hab Geduld."

"Irgendwelche Probleme heute?"

Selene zuckte die Achseln. "Nein. Alles ganz normal. Das Übliche - man sieht, wie sie unsicher dahinschwanken, wie sie so tun, als ob ihnen das Essen nicht zuwider ist, und man weiß, sie überlegen, ob man nicht von ihnen verlangen wird, die Kleidung abzulegen. ... Ekelerregende Vorstellung."

"Wirst du etwa prüde auf deine alten Tage?" Er stellte die beiden kleinen Tassen auf den Tisch.

"In diesem Falle ist Prüderie durchaus angebracht. Die Erd-chen sind faltig, schwabbelig, unförmig und voller Bazillen.

Quarantänevorschriften hin, Quarantänevorschriften her - sie sind voller Bakterien... Was gibt's bei dir Neues?"

Barron schüttelte den Kopf. Für einen Lunarier war er ziemlich schwer gebaut, und bis auf ein verdrossenes Verengen seiner Augen, das er sich angewöhnt hatte, waren seine Züge ganz ebenmäßig. Selene fand ihn bemerkenswert gutaussehend.

"Nichts Besonderes", sagte er. "Wir warten noch immer auf den Nachfolger des Hochkommissars. Mal sehen, wie dieser Gottstein ist."

"Kann er Schwierigkeiten machen?"

"Keine, die wir nicht schon kennen. Was können sie schon unternehmen? Sie können uns nicht unterwandern. Ein Erdchen läßt sich nicht als Lunarier ausgeben." Er machte trotzdem nicht den zufriedensten Eindruck.