»Was ist mit dem Parauniversum? Ist das auch voller Quasare?«
»Ich glaube nicht. Die Bedingungen sind dort anders. Nach der Paratheorie läßt sich mit ziemlicher Sicherheit vermuten, daß die Kernverschmelzung dort viel leichter eintritt, so daß die Sterne drüben im Durchschnitt erheblich kleiner sein müssen. Es wäre ein viel kleinerer Vorrat an leicht schmelzbarem Wasserstoff erforderlich, um die Energie unserer Sonne zu erzeugen. Eine Menge, die der Masse unserer Sonne entspricht, würde dort sofort explodieren. Wenn unsere Gesetze in das Parauniversum eindringen, wird die Verschmelzung für den Wasserstoff etwas erschwert; die Parasterne beginnen abzukühlen.«
»Nun, das klingt ja nicht übel«, sagte Tschen. »Die Paramenschen können die nötige Energie durch das Pumpen beziehen. Nach Ihren Spekulationen sind sie ja fein raus.«
»Ich meine nicht«, entgegnete Lamont. Bis zu diesem Augenblick hatte er die Parasituation überhaupt nicht durchdacht. »Sobald unsere Seite explodiert, hört das Pumpen auf. Ohne uns können sie es nicht aufrechterhalten, und das bedeutet, daß sie ohne Pumpenergie mit einem abkühlenden Stern dasitzen. Vielleicht sind sie damit sogar schlimmer dran als wir; wir vergingen in einem schmerzlosen Blitz, während sich ihre Qual lange hinziehen könnte.«
»Sie haben eine lebhafte Phantasie, Professor«, meinte Tschen, »aber ich kann Ihnen da nicht folgen. Ich sehe einfach keine Chance, daß das Pumpen nur um Ihrer Phantasie willen aufgegeben wird. Wissen Sie denn überhaupt, was die Pumpe für die Menschheit bedeutet? Es dreht sich ja nicht nur um die kostenlose, saubere und überreichlich vorhandene Energie. Versuchen Sie mal weiter zuschauen. Die Pumpe bedeutet auch, daß die Menschheit nicht mehr arbeiten muß. Sie bedeutet, daß die Menschheit zum erstenmal in der Geschichte ihr kollektives Geistespotential aktivieren kann.
Zum Beispiel hat kein medizinischer Fortschritt der letzten zweieinhalb Jahrhunderte dazu beigetragen, die volle Lebenserwartung des Menschen weit über hundert Jahre hinaus zu erhöhen. Die Gerontologen haben uns immer wieder gesagt, daß der menschlichen Unsterblichkeit theoretisch nichts im Wege stünde — doch bisher ist dieser Sache nicht genügend Aufmerksamkeit gewidmet worden.«
»Unsterblichkeit!« erwiderte Lamont ärgerlich. »Das sind doch nur Träumereien!«
»Vielleicht. Sind Sie Experte für Träumereien, Professor?« fragte Tschen. »Ich für mein Teil beabsichtige jedenfalls dafür zu sorgen, daß die Unsterblichkeitsforschung aufgenommen wird. Und das wird nicht der Fall sein, wenn das Pumpen aufhört. Denn dann wären wir wieder bei der teuren Energie, der raren Energie, der schmutzigen Energie. Die zwei Milliarden Bewohner der Erde müßten wieder arbeiten, um zu leben, und die Träumerei von der Unsterblichkeit bliebe eine Träumerei.«
»Das bleibt sie auch, wenn das Pumpen weitergeht. Es wird niemand unsterblich sein. Niemand wird überhaupt seine reguläre Lebensspanne auskosten können.«
»Ah, das ist doch nun wieder Ihre Theorie.«
Lamont erwog die Möglichkeiten und beschloß einen kleinen Einsatz zu wagen. »Mr. Tschen, vorhin habe ich gesagt, ich wäre nicht bereit, mein Wissen über den Wesenszustand der Paramenschen zu erklären. Nun, versuchen wir’s doch einmal. Wir haben Nachrichten erhalten.«
»Ja, aber können Sie sie interpretieren?«
»Wir haben ein Wort in unserer Sprache übermittelt bekommen.«
Tschen runzelte leicht die Stirn. Er schob plötzlich die Hände in die Taschen, streckte die kurzen Beine von sich und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.
»Angst!« Lamont hielt es nicht für nötig, die unrichtige Schreibweise zu erwähnen. »Angst«, wiederholte Tschen. »Und was bedeutet das Ihrer Meinung nach?«
»Ist es nicht klar, daß sie vor dem Pumpphänomen Angst haben?«
»Ganz und gar nicht. Wenn sie sich fürchteten, würden sie den Vorgang unterbrechen. Ich glaube schon, daß sie Angst haben, aber sie haben Angst, daß unsere Seite damit aufhört. Sie haben den Paramenschen Ihre Auffassung irgendwie klargemacht, und wenn wir das Pumpen stoppen, wie Sie es ja von uns wollen, müssen sie auch aufhören. Sie haben selbst gesagt, daß die Paramenschen ohne uns nicht weitermachen können; das Ganze ist eine zweiseitige Sache. Da glaube ich Ihnen gern, daß die Paramenschen Angst haben.«
Lamont schwieg.
»Ich sehe«, sagte Tschen, »daß Sie daran auch schon gedacht haben. Nun, dann setzen wir uns also für die Unsterblichkeit ein. Ich glaube, die Sache findet doch mehr Anklang.«
»Oh, Anklang«, erwiderte Lamont langsam. »Ich wußte nicht, daß Sie das für wichtig hielten. Wie alt sind Sie, Mr. Tschen?«
Einen kurzen Moment blinzelte Tschen ihn an und wandte sich ab. Mit schnellen Schritten verließ er den Raum. Seine Fäuste waren geballt.
Lamont schlug später die Lebensdaten nach. Tschen war sechzig, und sein Vater war mit zweiundsechzig gestorben. Aber es war egal.
9
»Du machst nicht gerade den Eindruck, als hättest du Glück gehabt«, sagte Bronowski.
Lamont saß in seinem Laboratorium, starrte auf seine Schuhe und registrierte am Rande, daß sie ungewöhnlich ausgetreten waren. Er schüttelte den Kopf. »Nein.«
»Sogar der große Tschen hat sich dir verschlossen?«
»Er wollte nichts unternehmen. Auch er will Beweise. Alle verlangen Beweise, doch was man ihnen bietet, wird abgelehnt. In Wirklichkeit wollen sie nur ihre verdammte Pumpe, oder ihr Ansehen oder ihren Platz in der Geschichte. Tschen will Unsterblichkeit.«
»Was willst du denn, Pete?« fragte Bronowski leise. »Die Sicherheit der Menschheit«, antwortete Lamont. Er erwiderte den fragenden Blick des anderen. »Du glaubst mir nicht?«
»Oh, ich glaube dir schon! Aber was willst du wirklich?«
»Also, bei Gott!« und Lamont schmetterte seine Hand auf den Tisch, »ich will recht behalten, und das werde ich auch!«
»Bist du sicher?«
»Ich bin sicher! Und ich mache mir überhaupt keine Sorgen, denn ich will gewinnen. Weißt du, als ich von Tschen fortging, war ich nahe daran, mich selbst zu verachten.«
»Du?«
»Ja, ich. Warum nicht? Ich mußte immer wieder denken: An jeder Ecke hält Hallam mich auf. Solange mich Hallam bekämpft, hat jeder eine gute Entschuldigung, mir nicht zu glauben. Solange mir Hallam wie ein Felsen im Weg steht, kann ich nichts erreichen. Warum arbeite ich also nicht mit ihm zusammen, warum schmiere ich ihm keinen Honig ums Maul, warum manövriere ich ihn nicht so herum, daß er mich unterstützt, anstatt ihn zum Widerstand zu reizen?«
»Meinst du, du hättest das fertiggebracht?«
»Nie. Aber in meiner Verzweiflung dachte ich… nun, alle möglichen Dinge gingen mir durch den Kopf. Daß ich vielleicht auf den Mond gehen könnte. Als ich mich zuerst mit ihm anlegte, ging es natürlich noch nicht um den Untergang der Erde, aber als diese Frage dann aufkam, habe ich extra dafür gesorgt, daß es noch schlimmer wurde. Aber wie du sagst — nichts hätte ihn gegen die Pumpe stimmen können.«
»Im Augenblick scheinst du dich nicht gerade zu verachten.«
»Nein. Weil meine Unterhaltung mit Tschen Früchte getragen hat. Sie hat mir gezeigt, daß ich nur meine Zeit verschwende.«
»Den Anschein hat es jedenfalls.«
»Ja, sinnloserweise. Nicht hier auf der Erde ist die Lösung zusuchen. Ich sagte Tschen, daß unsere Sonne vielleicht explodieren würde, nicht aber die Parasonne; daß die Paramenschen aber trotzdem nicht gerettet wären, denn wenn unsere Sonne explodierte und unseren Teil der Pumpe stoppte, würde auch ihre Seite aufhören. Sie können ohne uns nicht weitermachen, verstehst du?«
»Ja, natürlich verstehe ich.«
»Warum denken wir dann nicht an das Gegenteil? Wir können nicht ohne sie weitermachen. In welchem Fall es doch egal ist, ob wir die Pumpe anhalten oder nicht. Bringen wir die Paramenschen dazu, die Sache zu stoppen!«
»Ah, aber tun sie das auch?«
»Sie haben uns geschrieben — ANGT. Und das bedeutet, daß sie sich fürchten. Tschen meinte, sie fürchten uns, sie fürchten, wir würden die Pumpe anhalten, aber ich kann das einfach nicht glauben. Sie haben Angst. Ich habe nichts gesagt, als Tschen seine Gedanken entwickelte. Er meinte, er hätte mich in die Ecke getrieben. Das war aber ein Irrtum. Ich dachte in diesem Augenblick nur daran, daß wir die Paramenschen dazu bringen müssen, die Pumpe anzuhalten. Und das müssen wir, Mike, ich gebe jetzt alles auf außer dir. Du bist die Hoffnung der Welt. Du mußt irgendwie an sie herankommen.«
Bronowski lachte, und eine fast kindliche Freude lag in diesem Lachen. »Pete«, sagte er, »du bist ein Genie.«
»Aha. Das hast du also endlich bemerkt.«
»Nein, ich mein’s ernst. Du errätst, was ich sagen will, noch ehe ich den Mund aufmachen kann. Ich habe eine Botschaft nach der anderen ausgeschickt und dabei die Parasymbole so benutzt, daß sie sich nach meiner Auffassung auf die Pumpe bezogen; außerdem habe ich das eine Wort in unserer Sprache mit durchgegeben. Und ich war bemüht, die in all den Monaten zusammengekratzten Informationen einzusetzen und die fremden Symbole so zu gebrauchen, daß sie Mißbilligung anzeigten, und habe wieder ein Wort in unserer Sprache hinzugefügt. Ich hatte keine Ahnung, ob ich damit durchkam oder kilometerweit danebenschoß, und die Tatsache, daß ich nie eine Antwort bekam, hat mich natürlich wenig ermutigt.«
»Du hast mir ja gar nichts gesagt von deinen Plänen!«
»Nun, dieser Teil des Problems ist mein Bier. Du kannst deine Zeit damit zubringen, mir die Paratheorie zu erklären.«
»Was ist also geschehen?«
»Also — da habe ich gestern genau zwei Worte losgeschickt in unserer Sprache: PUMPE SCHLECHT.«
»Und?«
»Und heute morgen erhielt ich endlich eine Antwort, die ganz einfach und direkt war. Sie lautete: JA PUMPE SCHLECHT SCHLECHT SCHLECHT! Hier, schau’s dir an.«
Lamonts Hand, die die Folie hielt, zitterte. »Kein Irrtum möglich, wie? Das ist eine Bestätigung, nicht wahr?«
»Kommt mir jedenfalls so vor. Wem wirst du das zeigen?«
»Niemandem«, erwiderte Lamont entschlossen. »Ich argumentiere nicht länger. Man wird mir sagen, ich hätte die Nachricht gefälscht, und es ist sinnlos, mir das anzuhören. Laß doch die Paramenschen die Pumpe stoppen, dann ist auch auf unserer Seite Schluß, und wir können einseitig überhaupt nichts tun, um sie wieder in Gang zu bringen. Anschließend wird sich die ganze Station die Hacken ablaufen, um zu beweisen, daß ich recht hatte und die Pumpe tatsächlich gefährlich ist.«
»Wie kommst du darauf?«
»Weil sich die Leute nur auf diese Weise vor dem aufgebrachten Mob schützen könnten, der die Pumpe zurückverlangt und sie nicht bekommt… Meinst du nicht?«
»Nun ja, vielleicht. Aber etwas macht mir Sorge.«
»Und das wäre?«
»Wenn die Paramenschen so davon überzeugt sind, daß die Pumpe gefährlich ist, warum haben sie sie dann nicht längst gestoppt? Ich habe vor einiger Zeit mal nachgesehen; die Pumpe arbeitet ganz schwungvoll.«
Lamont runzelte die Stirn. »Vielleicht wollen sie keinen einseitigen Stopp. Sie sehen uns als ihre Partner an und stellen sich eine gegenseitige Übereinkunft vor, die die Zusammenarbeit beendet. Glaubst du nicht, daß es so sein könnte?«
»Könnte sein, gewiß. Aber es könnte auch bedeuten, daß die Verständigung alles andere als perfekt ist; daß sie die Bedeutung des Wortes SCHLECHT noch nicht verstanden haben. Aus den Symbolen, die ich vielleicht etwas durcheinandergebracht habe, lesen sie möglicherweise heraus, daß SCHLECHT das bedeutet, was wir mit GUT bezeichnen.«
»O nein.«
»Nun, das ist deine Hoffnung, aber Hoffnungen bringen uns nicht weiter.«
»Mike, du mußt weitere Nachrichten schicken. Du mußt möglichst viele der von ihnen gebrauchten Worte immer wieder verwenden und variieren. Du bist da der Fachmann, und es liegt in deinen Händen. Mit der Zeit kennen sie dann genügend Worte, um etwas ganz Klares und Unmißverständliches zu sagen, und danach erklären wir ihnen, daß wir bereit sind, die Pumpe anzuhalten.«
»Uns fehlt aber die Vollmacht, eine solche Erklärung abzugeben.«
»Ja, aber das weiß die andere Seite nicht, und am Ende sind wir doch die Helden der Menschheit.«
»Auch wenn wir vorher hingerichtet werden?«
»Auch dann… Es liegt in deiner Hand, Mike, und ich bin sicher, daß es nicht mehr lange dauert.«