»Und du hast welchen getrunken?«
»Ich war neugierig. Er schmeckte bitter und metallisch. Gefiel mir ganz und gar nicht. Dann sagte ich ihm, daß Rassenmischung gegen die lunarischen Gesetze verstieße, und da wurde er auch ganz bitter und metallisch.«
»Das hast du mir ja noch gar nicht erzählt. Er hat doch nicht etwa versucht…«
»Das geht dich doch wohl kaum etwas an. Aber nein, er hat nichts versucht. Es wäre auch die falsche Schwerkraft für ihn gewesen, und ich hätte ihn von hier bis in Korridor I hinuntergestoßen. Oh. Ich habe heute ein anderes Erdchen an Land gezogen«, fuhr sie fort. »Er wollte unbedingt bei mir am Tisch sitzen.«
»Und was bot er dir für das Pimpern, das du so zartfühlend mit du-weißt-schon umschreibst?«
»Er saß einfach nur da.«
»Und starrte deine Brüste an?«
»Dazu sind sie da — aber das hat er gar nicht getan. Er starrte auf mein Namensschild… Was kümmern dich außerdem seine Gedanken? Die Phantasie ist frei, und ich brauche seine Träume ja nicht wahr werden zu lassen. Was, meinst du, wünsche ich mir denn? Mit einem Mann von der Erde ins Bett zu gehen? Mit all dem Brimborium, das man von jemandem erwarten muß, der sich in einer fremden Schwerkraft bewegt? Ich will ja nicht behaupten, daß es das noch nie gegeben hat, aber nicht mit mir, und etwas Gutes habe ich auch noch nicht darüber gehört. Ist das also erledigt? Kann ich wieder auf den Mann zurückkommen? Der fast fünfzig ist? Und der offenbar schon mit zwanzig nicht besonders gut aussah… Allerdings eine interessante Erscheinung, das muß ich ihm zubilligen.«
»Schon gut, ich brauche deine Beschreibung nicht. Was ist denn mit ihm?«
»Er fragte nach dem Protonensynchrotron.«
Neville fuhr auf, ein wenig schwankend, wie es nach einer schnellen Bewegung in der niedrigen Schwerkraft fast unvermeidlich war. »Was wollte er denn darüber wissen?«
»Nichts. Warum bist du so aufgeregt? Du hast mich gebeten, dich über alles zu unterrichten, was mir bei den Touristen irgendwie auffällt — und das schien mir absonderlich genug. Bisher hat sich noch keiner nach dem Protonensynchrotron erkundigt.«
»Schon gut.« Er schwieg einen Augenblick und fuhr mit normaler Stimme fort. »Warum interessiert er sich für das Synchrotron?«
»Ich habe nicht die geringste Ahnung«, antwortete Selene. »Er fragte mich nur, ob er es sehen könnte. Vielleicht ist er ein Tourist, der sich zufällig auch für die Wissenschaften interessiert. Kann genausogut sein, daß er nur mein Interesse erwecken wollte.«
»Nehmen wir einmal an, das hat er geschafft. Wie heißt er?«
»Ich weiß es nicht. Ich habe ihn nicht gefragt.«
»Warum nicht?«
»Weil ich kein Interesse an ihm habe. Wie hättest du’s gern? Außerdem zeigt seine Frage, daß er wirklich Tourist ist. Als Physiker würde er doch nicht fragen — er wäre längst dort.«
»Meine liebe Selene«, sagte Neville. »Laß dir mal etwas erklären. Unter den gegebenen Umständen ist jeder Bursche, der das Protonensynchrotron sehen möchte, interessant genug, daß wir mehr über ihn wissen möchten. Und warum fragt er ausgerechnet dich?« Mit schnellen Schritten lief er ein paarmal hin und her, als wollte er ein wenig Energie abreagieren. Dann fuhr er fort: »Du bist doch Expertin für diesen Unsinn. Findest du ihn interessant?«
»Sexuell?«
»Du weißt, was ich meine. Laß deine Spielchen, Selene!«
Selene antwortete mit deutlichem Widerstreben: »Er ist interessant, sogar irgendwie aufregend. Ich weiß nicht, warum. Er hat überhaupt nichts gesagt oder getan.«
»Interessant und aufreizend, soso? Dann triffst du dich noch einmal mit ihm!«
»Um was zu tun?«
»Wie soll ich das wissen? Das ist deine Aufgabe. Stell seinen Namen fest. Versuch alles über ihn herauszubekommen. Du hast doch Köpfchen, also übe es zur Abwechslung mal ein wenig in nützlicher Neugier.«
»Na schön«, sagte sie, »Befehl von ganz oben. Schon gut, schon gut.
3
Schon in der Größe unterschied sich die Unterkunft des Hochkommissars nicht von den Wohnräumen anderer Lunarier. Es gab einfach keinen Platz auf dem Mond, nicht einmal für die terrestrischen Abgesandten; keine luxuriöse Verschwendung, nicht einmal als Geste gegenüber dem Heimatplaneten. Auch hätte sich selbst für die Größten der Erdgeschichte jene überwältigend klare Tatsache nicht ändern lassen — daß der Mond eine Untergrundwelt mit sehr niedriger Schwerkraft war.
»Der Mensch ist noch immer das Ergebnis seiner Umgebung«, seufzte Luis Montez. »Ich bin nun zwei Jahre auf dem Mond gewesen, und es hat Augenblicke gegeben, da ich gern länger geblieben wäre, aber… Die Jahre warten nicht. Ich habe gerade meinen vierzigsten Geburtstag hinter mir, und wenn ich überhaupt wieder auf die Erde zurück will, muß es jetzt geschehen. Warte ich noch länger, gewöhne ich mich nicht wieder an die volle Schwerkraft da unten.«
Konrad Gottstein war erst vierunddreißig und sah womöglich noch jünger aus. Er hatte ein breites, rundes, großflächiges Gesicht — die Art Gesicht, die man bei den Lunariern nicht zu sehen bekam, wie sie hier aber auf jeder Erdchen-Karikatur zu sehen war. Er war nicht sonderlich füllig von Gestalt — es hatte keinen Sinn, schwere Männer auf den Mond zu schicken, und sein Kopf machte den Eindruck, als wäre er zu groß für den Körper.
Er sagte (und er sprach die Planetarische Standardsprache mit einem merklich anderen Akzent als Montez): »Das klingt ja fast wie eine Rechtfertigung.«
»Ist es auch«, erwiderte Montez. Während Gottsteins Gesicht durch und durch gutmütig wirkte, gewann Montez’ Gesicht mit seinen langen dünnen Linien fast tragikomische Züge. »Und zwar in doppelter Hinsicht. Ich bedaure es, den Mond zu verlassen, da er eine attraktive, erregende Welt ist. Und ich bedaure mein Bedauern; ich bin beschämt, daß es mir widerstrebt, die Bürde der Erde wieder auf mich zu nehmen — die Schwerkraft und alles andere.«
»Ja, ich kann mir vorstellen, daß es nicht leicht ist, die anderen fünf Sechstel wieder hinzunehmen. Ich bin erst ein paar Tage auf dem Mond, und das eine Sechstel gefällt mir schon ausgezeichnet.«
»Das wird sich ändern, wenn die Verstopfung einsetzt und Sie von Rizinus leben«, seufzte Montez, »aber es geht vorbei… Und bilden Sie sich bitte nicht ein, die Gazelle spielen zu können, nur weil Ihnen so leichtfüßig zumute ist. Die Sache ist eine Kunst.«
»Das habe ich schon mitbekommen.«
»Sie glauben, daß Sie es mitbekommen haben, Gottstein. Haben Sie schon einmal ein Känguruh laufen sehen?«
»Im Fernsehen.«
»Das gibt Ihnen noch nicht das richtige Gefühl. Sie müssen es selbst versuchen. Das ist nämlich die beste Art, eine ebene Mondfläche mit größtmöglicher Geschwindigkeit zu überqueren. Die Füße bewegen sich gemeinsam nach hinten und stoßen Sie hoch — etwas, das auf der Erde ein einfacher Sprung wäre. Während Sie in der Luft sind, bewegen sich die Beine nach vorn, fahren aber schon wieder nach hinten, ehe sie den Boden berühren, und halten Sie auf diese Weise oben — und so weiter. Bei der niedrigen Schwerkraft erscheint der Vorgang sehr langsam, aber mit jedem Sprung legt man über sechs Meter zurück, und es ist nur sehr wenig Muskelkraft erforderlich, um den Körper in der Luft zu halten — wenn es da Luft gäbe. Es ist, als ob man fliegt…«
»Haben Sie’s schon versucht? Können Sie es?«
»Ich habe es versucht, aber im Grunde bringt es kein Erdenbürger fertig. Ich habe bis zu fünf Sprünge hintereinander geschafft was ausreicht, um einen auf den Geschmack zu bringen, aber dann kommt die unweigerliche Fehlberechnung, eine Nachlässigkeit des körperlichen Ablaufs, und man überschlägt sich und gleitet einige hundert Meter weit dahin. Aber die Lunarier sind höflich und lachen Sie niemals aus. Natürlich fällt ihnen selbst das Laufen leicht. Sie erlernen es mühelos schon im jüngsten Alter.«