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»Es ist ja auch ihre Welt«, sagte Gottstein und lachte leise. »Überlegen Sie nur mal, wie sie sich auf der Erde anstellen würden.«

»Undenkbar. Sie können nicht auf die Erde. Das mag ein Vorteil für uns sein. Wir können uns sowohl auf dem Mond als auch auf der Erde bewegen. Sie sind an den Mond gefesselt. Wir vergessen das leicht, weil wir die Lunarier oft mit den Immis verwechseln.«

»Womit?«

»So werden hier die Immigranten von der Erde genannt; jene Menschen, die mehr oder weniger ständig auf dem Mond leben, die jedoch auf der Erde geboren und großgezogen wurden. Die Immigranten können natürlich zur Erde zurückkehren, aber die richtigen Lunarier haben weder die Knochen noch die Muskeln für die irdische Schwerkraft. In der Geschichte des Mondes hat es darum schon einige Tragödien gegeben.«

»Oh?«

»Ja. Leute, die mit ihren mondgeborenen Kindern zurückkehrten. Wir hatten diese Opfer schnell vergessen. Wir hatten auf der Erde immerhin unsere Krise, und angesichts der gewaltigen Verluste im späten zwanzigsten Jahrhundert und in den folgenden Jahren waren ein paar sterbende Kinder nicht weiter wichtig. Hier auf dem Mond jedoch erinnert man sich an jeden Lunarier, der der Erdschwerkraft zum Opfer fiel.«

Gottstein runzelte die Stirn. »Ich glaubte, ich wäre wirklich gut vorbereitet, aber es sieht so aus, als hätte ich noch viel zu lernen.«

»Auf der Erde läßt sich unmöglich alles über den Mond erfahren. Ich habe Ihnen daher einen vollständigen Bericht hinterlassen — wie es auch schon mein Vorgänger tat. Sie werden den Mond bestimmt faszinierend finden und in mancher Beziehung auch unmöglich. Ich bezweifle, daß Sie auf der Erde schon mit lunarischer Nahrung in Berührung gekommen sind; wenn Sie also nur durch Beschreibungen darauf vorbereitet sind, stehen Ihnen noch einige Überraschungen bevor… Aber Sie werden es lernen müssen, das Zeug zu mögen. Es macht nur böses Blut, wenn man Dinge von der Erde heraufbringen läßt. Wir müssen schon mit den örtlichen Lebensmitteln und Getränken vorliebnehmen.«

»Wenn Sie zwei Jahre lang durchgehalten haben, werde ich es auch überleben.«

»Es hat durchaus Unterbrechungen gegeben. In regelmäßigen Abständen bin ich auf der Erde gewesen. Das muß sein, ob man will oder nicht. Ich bin sicher, man hat Ihnen die Gründe erklärt.«

»Ja«, erwiderte Gottstein.

»Trotz der Gymnastik, die Sie hier vielleicht treiben, müssen Sie sich von Zeit zu Zeit der vollen Schwerkraft aussetzen, um Ihre Knochen und Muskeln mal merken zu lassen, wie das so ist. Und bei dieser Gelegenheit schlagen Sie sich auch richtig voll. Gelegentlich wird auch etwas mit heraufgeschmuggelt.«

»Mein Gepäck wurde natürlich sorgfältig untersucht«, sagte Gottstein. »Aber es stellte sich heraus, daß da in meiner Manteltasche noch eine Dose Cornedbeef war, die ich übersehen hatte. Die Lunarier ebenfalls.«

Montez lächelte. »Und Sie wollen mir jetzt anbieten, die Dose mit Ihnen zu teilen?«

»Nein«, antwortete Gottstein verständnisvoll und kräuselte seine Knopfnase. »Ich wollte Ihnen mit aller tragischen Vornehmheit, die mir zu Gebote stand, die Dose anbieten und sagen: »Hier, Montez, nehmen Sie alles! Ihre Not ist größer denn die meine!«

Montez lachte und wurde wieder ernst. Er schüttelte den Kopf. »Nein. Nächste Woche kann ich essen, soviel ich will. Sie aber nicht. In den kommenden Jahren werden Sie nur wenige gute Bissen vorgesetzt bekommen und würden Ihre heutige Großzügigkeit zu sehr bedauern. Behalten Sie die Dose ruhig… ich bestehe darauf. Ich würde mir nur ex post facto ihren Haß zuziehen.«

Er schien es ernst zu meinen. Er hatte Gottstein die Hand auf die Schulter gelegt und schaute ihm in die Augen. »Außerdem möchte ich noch etwas mit Ihnen besprechen, das ich so lange hinausgeschoben habe, weil ich nicht recht weiß, wie ich es Ihnen beibringen soll. Das Fleisch wäre nur eine Entschuldigung, weiter darum herumzureden.«

Gottstein steckte die Dose sofort weg. Seine Stimme war ernst und gemessen, als er sagte: »Gibt es etwas, das Sie in Ihren Depeschen nicht erwähnen konnten, Montez?«

»Es gibt da etwas, das ich deutlich zu machen suchte, Gottstein, aber da ich nicht recht wußte, wie ich es formulieren sollte und die Erde mich nicht begreifen wollte, lief es darauf hinaus, daß wir einfach keinen Kontakt fanden. Vielleicht geht es Ihnen da besser. Ich hoffe es jedenfalls. Einer der Gründe, warum ich nicht um eine Verlängerung hier oben gebeten habe, ist die Tatsache, daß ich dieses Unvermögen nicht länger verantworten kann.«

»Das hört sich aber sehr ernst an.«

»Ich wünschte, ich könnte Ihnen die wirkliche Tragweite verständlich machen. Ehrlich gesagt klingt es wie dummes Geschwätz.

Es gibt etwa zehntausend Menschen in der Lunar-Kolonie. Weniger als die Hälfte sind eingeborene Lunarier. Ihre Möglichkeiten sind gering, sie haben wenig Platz, sie stehen einer unfreundlichen Umwelt gegenüber — und doch… und doch…«

»Und doch?« fragte Gottstein aufmunternd.

»Es geht etwas vor hier oben — ich weiß nicht genau was, das gefährlich werden kann.«

»Inwiefern kann es gefährlich werden? Was könnten sie tun? Einen Krieg gegen die Erde anzetteln?« Gottsteins Mundwinkel zuckten am Rande eines Lächelns.

»Nein, nein, die Sache geht tiefer.« Montez legte die Hände vor das Gesicht und rieb sich ungeduldig die Augen. »Ich möchte offen sein. Die Erde hat ihren Schwung verloren.«

»Was soll das heißen?«

»Nun, wie würden Sie es nennen? Etwa zu der Zeit, da die Lunar-Kolonie gegründet wurde, erlebte die Erde ihre Große Krise. Darüber brauche ich wohl nichts weiter zu sagen.«

»Allerdings nicht«, sagte Gottstein düster.

»Die Erde hat nun wieder zwei Milliarden Bewohner, nachdem die Höchstbevölkerungszahl vor der Großen Krise sechs Milliarden betrug.«

»Und die Erde ist damit nun viel besser dran, nicht wahr?«

»Oh, zweifellos, obwohl ich wünschte, es hätte eine andere Art der Bevölkerungsreduzierung gegeben… Jedenfalls hat die Epoche ein unausrottbares Mißtrauen vor aller Technologie hinterlassen; eine allseitige Trägheit, Veränderungen zu riskieren, weil das Nebenwirkungen haben könnte. Große und möglicherweise gefährliche Unternehmen wurden eingestellt, weil mehr die Gefahr gefürchtet als die Größe erstrebt wurde.«

»Ich vermute, Sie meinen das genetische Formungsprogramm.«

»Das ist natürlich der spektakulärste Fall, doch nicht der einzige«, entgegnete Montez erbittert.

»Offen gesagt kann ich mich nicht besonders über den Abbruch des genetischen Formungsprogramms aufregen. War doch nur eine Kette von Fehlschlägen.«

»Aber wir ließen damit unsere Chance auf den Intuitionismus fahren.«

»Es fehlt jeder Hinweis darauf, daß der Intuitionismus wirklich so wünschenswert ist — eher gibt es Anzeichen für das Gegenteil… Was ist außerdem mit der Lunar-Kolonie, die doch gewiß kein Symptom für eine Stagnation auf der Erde ist?«

»O doch!« widersprach Montez heftig. »Die Lunar-Kolonie ist ein Überbleibsel, ein letzter Rest aus der Zeit vor der Krise; etwas, das als letzter trauriger Vorstoß der Menschheit gelten kann, ehe dann der große Rückzug einsetzte.«

»Sie sehen das zu dramatisch, Montez.«

»Ich glaube nicht. Die Erde hat sich zurückgezogen. Die Menschheit hat sich überall zurückgezogen — nur nicht auf dem Mond. Die Lunar-Kolonie ist das menschliche Grenzland jetzt nicht nur physikalisch, sondern auch psychologisch. Hier haben wir eine Welt ohne Lebensfäden, die unterbrochen werden könnten; einen Lebensbereich ohne komplizierte Umwelt in empfindlichem Gleichgewicht, das gestört werden könnte. Alles hier auf dem Mond, das überhaupt dem Menschen nützt, ist von ihm selber hergestellt. Der Mond ist eine von Grund auf konstruierte Welt ohne jede Historie. Es gibt keine Vergangenheit.«