Выбрать главу

»So etwas gibt es manchmal. Es gibt jedenfalls Immis, die sagen, sie hätten kein Heimweh. Sie sind natürlich in der Minderzahl, und bisher hat noch keiner herausfinden können, was diese Minderheit gemein hat. Die Vermutungen gingen von ernsthaften Emotionsstörungen — Mangel an Gefühl überhaupt — bis zum ernsthaften gefühlsmäßigen Exzeß — Angst, das Heimweh zuzugeben, damit es nicht zu einem Zusammenbruch kommt.«

»Mein Fall dürfte ganz klar liegen. Über zwei Jahrzehnte lang war mein Leben auf der Erde nicht sehr angenehm, während ich hier endlich auf einem Gebiet arbeiten kann, das ich mir angeeignet habe. Und dabei habe ich deine Hilfe… Noch mehr, Selene, ich habe deine Gesellschaft.«

»Es ist nett von dir«, sagte Selene ernst, »daß du Gesellschaft und Hilfe in eine solche Beziehung setzt. Viel Hilfe scheinst du aber nicht zu brauchen. Gibst du um meiner Gesellschaft willen vor, sie zu brauchen?«

»Ich weiß nicht, welche Antwort dir mehr schmeicheln würde.«

»Versuch’s mal mit der Wahrheit.«

»Die Wahrheit läßt sich nur schwer bestimmen, wenn ich beides so hochschätze.« Er wandte sich wieder dem Pionisator zu. »Die Feldstärke hält sich immer noch, Selene.«

Selenes Helmscheibe schimmerte im Erdlicht. »Barron meint, daß ein Mangel an Heimweh ganz natürlich ist und einen gesunden Geist verrät«, sagte sie. »Er meint, daß der menschliche Körper zwar die Oberfläche der Erde gewöhnt war und sich auf den Mond einstellen mußte, daß das beim menschlichen Gehirn aber nicht erforderlich war. Das Menschenhirn unterscheidet sich qualitativ so sehr von allen anderen Gehirnen, daß man es als ganz eigenes Phänomen ansehen kann. Es hat im Grunde keine Zeit gehabt, an die Erdoberfläche gebunden zu werden, und läßt sich daher ohne Umstellung in andere Umweltordnungen verpflanzen. Barron meint, daß das Eingeschlossensein in den Mondhöhlen vielleicht sogar die natürlichste Lebensweise ist, entspricht sie doch in größerem Maßstab dem Eingeschlossensein in der Höhlung des Schädels.«

»Glaubst du das?« fragte Denison amüsiert.

»Barron kann einem die Dinge sehr plausibel machen.«

»Es ließe sich wohl ebenso plausibel sagen, daß die Behaglichkeit der Mondhöhlen eine Erfüllung des menschlichen Dranges ist, in den Mutterleib zurückzukehren.« Nachdenklich fuhr er fort: »Angesichts des gesteuerten Klimas und der Art und Verdaulichkeit der Nahrung ließe sich tatsächlich mit einiger Berechtigung die Lunar-Kolonie — verzeih mir, Selene — Lunar-City als eine absichtliche Nachbildung der fötalen Umwelt ansehen.«

»Da dürfte dir Barron kaum zustimmen«, entgegnete Selene.

»Das glaube ich auch.« Denison schaute zur Erdsichel auf, beobachtete die fernen Wolkenbänke am Horizont. Er schwieg gedankenverloren, in den Anblick versunken. Als Selene wieder an den Pionisator trat, rührte er sich nicht.

Er beobachtete die Erde in ihrem Sternennest und schaute auf den zackigen Horizont, wo er von Zeit zu Zeit kleine Staubwolken vielleicht kleine Meteoritentreffer — wahrzunehmen glaubte.

Er hatte Selene in der letzten Lunarnacht mit Besorgnis auf ein ähnliches Phänomen hingewiesen.

»Aufgrund der Mondschwankung bewegt sich die Erde etwas am Himmel, und von Zeit zu Zeit gleitet ein Strahl Erdlicht über eine Erhöhung und trifft auf den darunterliegenden Boden«, hatte sie erklärt. »Der wird dann wie eine winzige aufsteigende Staubwölke sichtbar. Kommt oft vor. Wir achten schon nicht mehr darauf.«

Denison hatte erwidert: »Aber das kann doch manchmal auch ein Meteorit sein. Prallen denn niemals Meteoriten auf?«

»Natürlich. Auch du wirst wahrscheinlich oft getroffen. Dein Anzug schützt dich.«

»Ich meine keine winzigen Staubpartikel. Ich meine faßbare Meteoriten, die den Staub wirklich in die Höhe treiben würden. Meteoriten, die dich töten könnten.«

»Nun, die fallen hier natürlich auch, aber sie sind seltener, und der Mond ist groß. Bis jetzt ist noch niemand getroffen worden.«

Und während Denison den Himmel beobachtete und über Selenes Antwort nachdachte, nahm er eine Erscheinung wahr, die er im ersten unkonzentrierten Augenblick für einen Meteoriten hielt. Doch einen Lichtstreifen konnte es dabei nur auf der Erde geben, in der Erdluft — und nicht auf dem luftlosen Mond.

Das Licht am Himmel war künstlich, und Denison hatte seine Eindrücke kaum bewältigt, als es auch schon zu einem kleinen Raketenfahrzeug heranwuchs, das neben ihm landete.

Eine Gestalt im Raumanzug trat heraus, während der Pilot zurückblieb — ein dunkler Punkt zwischen den Lichtflecken der Landschaft.

Denison wartete. Die Etikette des Raumanzugs erforderte es, daß sich jeder Neuankömmling einer Gruppe näherte und sich bekannt machte.

»Hochkommissar Gottstein«, sagte die neue Stimme, »wie Sie wahrscheinlich schon an meinem wackligen Gang erkennen.«

»Ben Denison.«

»Ja. Das dachte ich mir.«

»Suchen Sie mich?«

»Natürlich.«

»Mit einem Raumgleiter? Sie hätten…«

»Ich hätte«, sagte Hochkommissar Gottstein, »Ausgang P-4 benutzen können, der nicht einmal tausend Meter entfernt ist. Ja, das hätte ich. Aber ich habe nicht nur Sie gesucht.«

»Nun, ich will nicht fragen, was ich darunter verstehen soll.«

»Ich brauche nicht um den heißen Brei herumzureden. Sie nehmen sicher nicht an, daß mich Ihre Experimente hier an der Mondoberfläche nicht interessieren.«

»Die sind kein Geheimnis, und jeder kann sich dafür interessieren.«

»Und doch scheint niemand die Einzelheiten so recht zu kennen. Außer daß Sie sich irgendwie mit Problemen befassen, die mit der Elektronenpumpe zu tun haben.«

»Das ist eine logische Vermutung.«

»Wirklich? Mir will scheinen, daß Versuche dieser Art, wenn sie überhaupt einen Sinn haben sollen, eine ziemlich umfangreiche Apparatur erfordern. Das entspringt nicht meinen eigenen Kenntnissen, verstehen Sie. Ich habe Leute gefragt, die es wissen müssen. Es ist aber ebenso offensichtlich, daß Sie eine solche Apparatur nicht haben. Es kam mir daher der Gedanke, daß mein Interesse an Sie vielleicht verschwendet ist, daß — während meine Aufmerksamkeit auf Sie gerichtet ist — andere sich mit wichtigeren Dingen beschäftigen.«

»Warum sollte ich wohl zur Ablenkung dienen?«

»Ich weiß es nicht. Wenn ich es wüßte, wäre ich weniger besorgt.«

»Also habe ich unter Beobachtung gestanden.« Gottstein lachte leise. »O ja. Seit Ihrer Ankunft. Und seit Beginn Ihrer Versuche hier haben wir das ganze Gebiet in jeder Richtung kilometerweit beobachtet. Seltsamerweise hat es den Anschein, als wären Sie, Dr. Denison, und Ihre Begleiterin die einzigen Menschen an der Mondoberfläche, die nicht nur einfache Routinearbeiten verrichten.«

»Warum ist das seltsam?«

»Weil es bedeutet, daß Sie mit Ihrem verrückten Apparat wirklich etwas zu erreichen hoffen — was das auch immer sei. Da ich Ihnen Unfähigkeit nicht zutraue, dachte ich mir also, daß ein kleines Gespräch mit Ihnen ganz nützlich wäre, wenn Sie mir sagen würden, was Sie da tun.«

»Ich unternehme paraphysikalische Versuche, Hochkommissar wie die Gerüchte schon besagen. Wozu ich nur noch sagen kann, daß meine Experimente bisher bloß zum Teil erfolgreich gewesen sind.«

»Ihre Begleiterin ist wohl Selene Lindstrom L., eine Touristenführerin?«

»Ja.«

»Ungewöhnliche Assistentin.«

»Sie ist intelligent, arbeitswillig, interessiert und sehr attraktiv.«

»Und bereit, mit einem Mann von der Erde zusammenzuarbeiten?«

»Und durchaus bereit, mit einem Immigranten zusammenzuarbeiten, der Lunarbürger sein wird, sobald er sich für diesen Status qualifiziert.«