»Aber wieso? Ich meine, wieso wollen Sie den Mond fortsteuern?«
»Das müßte doch klar sein. Wozu brauchen wir die erdrückende Nähe der Erde? Wir haben alle Energie, die wir brauchen, wir haben eine bequeme Welt, die uns zumindest in den nächsten Jahrhunderten Raum zur Ausbreitung bietet. Warum sollen wir nicht unseren eigenen Weg gehen? Und das werden wir. Ich möchte Ihnen heute in aller Eindringlichkeit sagen, daß Sie uns nicht aufhalten können, und Ihnen von Gegenmaßnahmen abraten. Wir werden eine Impulsübertragung vornehmen und dann verschwinden. Wir wissen genau, wie man eine Kosmei-Pumpstation baut, und werden die Energie für eigene Zwecke benutzen und einen gewissen Überschuß produzieren, um damit die Veränderungen zu neutralisieren, die Ihre Energiestationen erzeugen.«
»Es ist nett von Ihnen, daß Sie einen Überschuß erzeugen wollen«, warf Denison sarkastisch ein, »aber das tun Sie natürlich nicht unseretwegen. Wenn unsere Elektronenpumpen die Sonne zur Explosion bringen, haben Sie nämlich das innere Sonnensystem noch längst nicht verlassen — und würden auf der Stelle mit vernichtet.«
»Vielleicht«, entgegnete Neville, »aber wir produzieren eben einen Überschuß, damit es nicht dazu kommt.«
»Sie können das nicht tun!« Gottstein war erregt. »Sie können nicht abziehen. Wenn Sie sich zu weit entfernen, kann die Elektronenpumpe durch die Kosmei-Pumpe nicht mehr neutralisiert werden, wie, Denison?«
Denison zuckte die Achseln. »Wahrscheinlich dann nicht mehr, wenn der Mond etwa auf der Saturnlaufbahn angekommen ist sofern meine schnelle Berechnung jetzt stimmt. Aber der Flug dorthin wird auf jeden Fall viele Jahre dauern, und dann haben wir bestimmt auf der ehemaligen Mondumlaufbahn Raumstationen gebaut und Kosmei-Stationen darauf eingerichtet. Tatsächlich brauchen wir den Mond nicht. Er kann ruhig verschwinden — nur wird er das nicht.«
Neville gestattete sich ein kurzes Lächeln. »Und wie kommen Sie zu der Auffassung? Wir lassen uns nicht aufhalten. Die Erde hat keine Möglichkeit, uns ihren Willen aufzuzwingen.«
»Sie werden nicht fortfliegen, weil das schlicht und einfach sinnlos wäre. Warum den ganzen Mond mitschleppen? Die Mondmasse auf vernünftige Beschleunigung zu bringen, muß Jahre dauern. Sie können anfangs ja nur kriechen! Bauen Sie doch lieber Sternenschiffe — kilometerlange Einheiten, die mit Kosmei-Impulsantrieb betrieben werden und eine eigene Ökologie haben. Mit einem Kosmei-Impulsantrieb könnten Sie dann Wunder tun. Auch wenn Sie für den Bau des Schiffes zwanzig Jahre veranschlagen, ist die Beschleunigung hinterher so groß, daß Sie den Mond in einem Jahr überholt hätten, selbst wenn er heute zu beschleunigen begänne. Die Schiffe könnten außerdem Kurswechsel vornehmen in einem Bruchteil der Zeit, die der Mond dafür brauchen würde.«
»Und die frei arbeitenden Kosmei-Pumpen? Was würden die dem Universum antun?«
»Die Energie, die für ein Schiff oder auch mehrere Schiffe erforderlich ist, kann niemals den Bedarf eines ganzen Planeten erreichen und wird sich über weite Striche des Universums verteilen. Es können Millionen Jahre vergehen, ehe sich überhaupt eine wesentliche Veränderung ergibt. Das ist die gewonnene Beweglichkeit durchaus wert. Der Mond kann sich nur ganz langsam bewegen — da sollten Sie ihn lieber an Ort und Stelle lassen.«
»Wir haben es nicht eilig — außer von der Erde fortzukommen«, erwiderte Neville verächtlich.
Denison fuhr fort: »Die Nachbarschaft der Erde hat auch ihre Vorteile. Da wäre der Zustrom der Immigranten. Dann der kulturelle Austausch. Eine Planetenwelt mit zwei Milliarden Bewohnern dicht unter dem Horizont! Wollen Sie wirklich auf das alles verzichten?«
»Mit Freuden!«
»Ist das die Ansicht aller Mondbewohner? Oder nur Ihre Einstellung? Sie machen einen leicht fanatischen Eindruck auf mich, Neville. Sie wollen nicht an die Oberfläche gehen. Andere Lunarier tun das. Sie mögen es nicht besonders, aber sie tun’s. Das Innere des Mondes ist nicht ihr Mutterleib, wie in Ihrem Falle. Es ist nicht ihr Gefängnis. Sie haben etwas Neurotisches an sich, das den meisten anderen Lunariern abgeht oder bei ihnen sehr viel schwächer zum Ausdruck kommt. Wenn Sie den Mond von der Erde fortführen, machen Sie ihn damit zu einem Gefängnis für alle. Er wird zu einem Planetengefängnis, dem kein Mensch — und nicht nur Sie allein — entfliehen kann, nicht einmal so weit, daß er sich eine andere bewohnte Welt am Himmel anschauen könnte. Vielleicht ist das Ihre Absicht.«
»Ich will Unabhängigkeit, eine freie Welt. Eine Welt, die von außen in Ruhe gelassen wird.«
»Sie könnten Schiffe bauen, jede Menge. Sie könnten fast mit Lichtgeschwindigkeit davonfliegen, sobald sie den Impuls in das Kosmei übertragen. Sie könnten im Laufe eines Menschenalters das ganze Universum erforschen. Würde Sie das nicht reizen?«
»Nein«, sagte Neville angewidert.
»O wirklich? Oder könnten Sie es nicht aushalten? Ist es nicht vielmehr so, daß Sie den Mond mitnehmen müssen, wohin Sie gehen? Warum müssen sich die anderen Ihrem Bedürfnis unterwerfen?«
»Weil es eben so sein wird.«
Denisons Stimme blieb ruhig, doch er wurde rot im Gesicht. »Wer gibt Ihnen das Recht zu einer solchen Antwort? Es gibt viele Bürger in Luna-City, die vielleicht nicht Ihrer Meinung sind.«
»Das geht Sie nichts an.«
»Doch, das geht mich sehr viel an. Ich bin ein Immigrant, der sich bald für die Einbürgerung qualifiziert. Ich möchte nicht, daß mir die Entscheidung von jemandem abgenommen wird, der nicht an die Oberfläche steigen kann und der sein persönliches Gefängnis in ein Gefängnis für alle umwandeln will. Ich habe die Erde für immer verlassen, doch nur um zum Mond zu gehen, nur um vierhunderttausend Kilometer vom Heimatplaneten entfernt zu leben. Ich habe mich nicht verpflichtet, an einer endlosen Reise teilzunehmen.«
»Dann kehren Sie doch zur Erde zurück«, erwiderte Neville gleichgültig. »Noch ist es Zeit.«
»Und was ist mit den anderen Luna-Bürgern? Mit den anderen Immigranten?«
»Die Entscheidung ist gefallen.«
»Sie ist nicht gefallen. — Selene!«
Selene trat ein. Ihr Gesicht war ernst, und in ihren Augen stand ein trotziger Ausdruck. Neville nahm die Beine auseinander. Er setzte hörbar die Füße auf.
»Wie lange bist du schon nebenan, Selene?« fragte Neville.
»Seit Beginn des Gesprächs, Barron«, antwortete sie.
Neville schaute von Selene zu Denison und wieder zurück. »Ihr beide…« begann er und ließ seinen Finger zwischen Selene und Denison wandern.
»Ich weiß nicht, was du mit ihr beide meinst«, sagte Selene, »jedenfalls hat Ben die Sache mit dem Impuls schon vor einiger Zeit herausgefunden.«
»Es war nicht Selenes Schuld«, warf Denison ein. »Der Hochkommissar entdeckte ein fliegendes Etwas — zu einer Zeit, da seine Anwesenheit noch unentdeckt war. Ich überlegte, daß Selene vielleicht etwas ausprobierte, an das ich noch nicht gedacht hatte, und da bin ich nach einiger Zeit auf die Impulsübertragung gekommen. Und da war alles klar…«
»Na, dann wußten Sie es also«, meinte Neville. »Ist ja auch egal.
»Es ist nicht egal, Barron«, widersprach Selene. »Ich habe mit Ben darüber gesprochen. Und ich machte mir klar, daß ich nicht immer tun mußte, was du sagst. Es mag ja sein, daß ich nie zur Erde reisen kann. Vielleicht will ich das auch gar nicht. Aber mir wurde bewußt, daß sie mir gefällt da oben am Himmel, wo ich sie sehen kann, wenn ich hinschauen möchte. Ich will keinen leeren Himmel. Ich habe nun mit anderen aus der Gruppe gesprochen. Nicht alle wollen fort. Die meisten würden lieber Schiffe bauen und die Leute fliegen lassen, die unbedingt wollen, und selbst zurückbleiben.«