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Er wandte den Kopf und ließ den Blick an der schwarzen Mauer des Waldes emporwandern. Die Bäume, so groß und kräftig sie auch waren, wirkten auf eigenartige Weise verkrüppelt und krank. Ihre Stämme strebten zehn, fünfzehn Meter weit in die Höhe und gabelten sich dort zu wuchtigen, breit ausladenden Ästen, die Kim an kraftvolle, einwärts gekrümmte Finger erinnerten, und die Schatten zwischen den Bäumen schienen ihm unnatürlich leer und schwarz, gar nicht wie Schatten, sondern wie glatte, konturlose Flächen, als wäre dieser ganze Wald eine Attrappe, die man vor einer undurchdringlichen Wand errichtet hatte.

Die Lichtung begann sich allmählich zu füllen. Kim zählte insgesamt sechzehn der riesigen, in schimmerndes Schwarz gehüllten Gestalten, die nach und nach aus dem Wald auftauchten und zu ihren Pferden gingen. Er schauderte. Etwas an der Art, wie sich die Krieger bewegten, kam ihm seltsam vor; es dauerte eine Weile, bis er merkte, was es war: Sie bewegten sich absolut zielstrebig. Es war nicht einer unter ihnen, der die kleinste überflüssige Bewegung machte - und sei es nur ein Fingerschnippen. Wieder mußte er an Roboter denken, und bei diesem Gedanken lief es ihm kalt den Rücken hinunter.

»Trinkt das«, sagte Kart, »es wird Euch guttun und wieder zu Kräften bringen.« Der schwarze Ritter war an den Wagen herangetreten. Er hielt eine Schale mit einer farblosen, dampfenden Flüssigkeit in Händen.

Kim rümpfte mißtrauisch die Nase. »Was ist das?«

»Etwas, was Euch helfen wird«, antwortete Kart. Er machte eine herrische Bewegung, und Kim griff automatisch nach der Schale und setzte sie an die Lippen, zögerte aber noch, zu trinken.

»Hat Themistokles gesagt, wie es meiner Schwester geht?« fragte er, um Zeit zu gewinnen.

»Davon weiß ich nichts. Ich habe Befehl, Euch nach Morgon zu geleiten, sonst nichts. Unser Herr erwartet dich. Er wird dir alles Nötige mitteilen. Trink jetzt.«

Die letzten Worte hatten scharf und befehlend geklungen, und der unvermittelte Wechsel der Anrede ließ Kim stutzig werden. Er hatte mit einem Mal das Gefühl, daß es besser war, zu tun, was der schwarze Ritter von ihm verlangte. Vorsichtig kostete er die Flüssigkeit. Sie schmeckte würzig und angenehm, ein bißchen wie Hühnersuppe, aber mit einem fremdartigen, rauchigen Beigeschmack, den Kim nicht identifizieren konnte. Er trank mit langsamen, kleinen Schlucken, setzte die Schale ab, um Luft zu holen, und leerte sie dann mit einem Zug.

»Danke«, sagte er. »Das war nicht schlecht.«

Kart nahm ihm die Schüssel aus den Händen und warf sie achtlos hinter sich. »Wenn du bereit bist, brechen wir auf«, sagte er. Seine Stimme hatte jede Spur von Freundlichkeit verloren und klang jetzt schneidend und kalt.

Kim starrte in das ausdruckslose Metallvisier des schwarzen Riesen. Angst begann in ihm hochzukriechen. Seine Hand glitt automatisch zum Gürtel und tastete nach der Laserwaffe. Erleichtert atmete er auf, als er den Kolben des Strahlers unter den Fingern fühlte. Er wußte nicht, was hier nicht stimmte, was ihn bedrohte. Aber diese schwarzen Ritter würden ihr blaues Wunder erleben, wenn sie glaubten, einem wehrlosen Opfer gegenüberzustehen.

Karts Blick war seiner Bewegung gefolgt. Einen Atemzug lang stand er bewegungslos da, trat dann mit einem schnellen Schritt zurück und sah Kim durchdringend an. Kim erwartete, daß er die Waffe von ihm fordern würde. Aber der schwarze Ritter begnügte sich damit, zu seinem Pferd zurückzugehen und sich in den Sattel zu schwingen.

Ein kurzer Befehl, und sie brachen auf. Die Pferde formierten sich zu zwei Doppelreihen, die den Wagen in die Mitte nahmen. Sie holperten ein Stück durch den Wald, und Kim biß jedesmal schmerzlich die Zähne zusammen, wenn der Wagen über eine Unebenheit, ein Loch oder querliegende Wurzeln und Äste rollte und die Stöße fast ungemildert auf seinen Körper übertrug. Dann wichen die Bäume zur Seite, und die Kolonne bog in einen schmalen, morastigen Weg ein.

Lähmende Müdigkeit hatte Kim erfaßt. Hinter seiner Stirn summte es wie von einem Bienenschwarm, und seine Glieder fühlten sich bleischwer an. Nebel lag wie ein knöcheltiefer grauer Teppich über dem Weg, und aus dem Wald schienen unsichtbare dunkle Finger nach ihm zu greifen. Kim schüttelte benommen den Kopf und fuhr sich mit der Hand über die Augen. Aber die Müdigkeit ließ sich nicht wegwischen, im Gegenteil. Ein Gefühl, als hätte er Fieber, breitete sich in seinen Schläfen aus, und das dumpfe Trommeln der Pferdehufe wurde von hallenden Echos begleitet.

Kim stöhnte. Seine Kehle war wie ausgetrocknet und fühlte sich pelzig an. Er hatte Durst, aber er war zu schwach, einen der Ritter um einen Schluck Wasser zu bitten. Ein bleicher Halbmond schien auf das Land herunter, und irgendwo schrie ein Nachtvogel; ein hoher, krächzender Schrei, der Kim einen eisigen Schauer über den Rücken jagte.

Der Wald verschwamm vor seinen Augen. Bäume, Zweige und Unterholz, ja, selbst die Schatten zwischen den knorrigen Stämmen überzogen sich mit einem nebeligen Schleier. Kim warf sich hin und her. Er stöhnte und versuchte die Hände zu bewegen, aber es ging nicht. Seine Glieder schienen von unsichtbaren Stricken gefesselt zu sein. Der Wald trat zurück, machte einer felsigen, lebensfeindlichen Einöde Platz, die von böigem Wind und eisiger Kälte erfüllt war. Dann war ihm, als ob es bergauf ginge. Der Wagen knarrte, und manchmal stieß etwas hart gegen den Boden. Einer der schwarzen Ritter drehte sich halb im Sattel herum und starrte Kim durch die schmalen Schlitze seines Visiers an. Kim bekam eine Gänsehaut. Die Augen des Ritters waren schwarz; vollkommen. Keine Pupille, keine Iris, kein Augapfel war zu sehen, nur zwei schwarze, grundlose Tümpel. Und doch hatten sie eine hypnotische Kraft, die es Kim unmöglich machte, dem blicklosen Gesicht auszuweichen.

Kim verfiel in fiebrigen, von Schüttelfrost und Alpträumen geplagten Halbschlaf. Der Wagen quälte sich holpernd und quietschend über unebenen Boden und Geröll. Kim vermeinte durch eine bizarre Landschaft aus brodelnden Sümpfen, Steinwüsten und windumtosten, felsigen Abhängen zu fahren. Nach einiger Zeit wurde die Luft merklich dünner, und gleichzeitig wurde es noch kälter. Der Bodennebel war nun so dicht, daß der Wagen und seine schwarzen Begleiter auf einer unendlichen weißen Wolkenfläche dahinzugleiten schienen.

Das Fieber sank erst, als die Sonne aufging. Das wattige Schwarz der Nacht wich allmählich einer grauen, von unsicheren Schatten erfüllten Dämmerung, und der Nebel kroch langsam und widerwillig zurück in die Löcher, aus denen er gekommen war.

Kart zügelte sein Pferd, lenkte es vom Weg herunter und wartete, bis die Reiter an ihm vorübergezogen waren.

»Wir sind am Ziel«, sagte er. »Burg Morgon.«

Kim hob müde den Kopf und folgte mit dem Blick Karts ausgestrecktem Arm. Die kleine Kolonne bewegte sich einen steilen, gewundenen Bergpfad hinauf. Der Fels wirkte glatt wie Glas, und zwischen den zyklopischen Trümmern, die rechts und links des Weges lagen, wuchs kein Halm. Im Tal unten dämmerte bereits der Morgen, aber hier oben herrschte noch immer diesiges Grau, als weigere sich der Tag, in diese Enklave der Nacht vorzudringen.

Und am Ende des Pfades, schwarz und drohend, ragte die Burg.

Kims Finger krampften sich um den Wagenrand. Die Burg war riesig. Ihre schwarzen, senkrecht abfallenden Wände schienen mit der Nacht zu verschmelzen. Es gab keine Fenster oder Balkone, nur ein riesiges, halbrundes Tor, aus dessen oberem Ende die rostigen Zähne eines Fallgitters hervorbleckten, und daneben eine Reihe schmaler, nach oben spitz zulaufender Schießscharten.