Выбрать главу

Morgon... der Name hatte in Kims Ohren einen düsteren, bedrohlichen Klang angenommen. Kim schloß die Augen und versuchte sich Themistokles vorzustellen. Aber das Bild des gütigen Alten schien einfach nicht zu dieser finster dräuenden Burg dort oben zu passen.

»Das ist...«

»Morgon«, bestätigte Kart. Die Ungeduld in seiner Stimme war nicht zu überhören. »Die Burg unseres Herrn.«

»Aber es ist... alles so... so anders, als ich es mir vorgestellt habe«, sagte Kim.

Kart nickte. »Natürlich. Aber wir müssen uns schützen. Du wirst die Schönheit unseres Landes noch kennenlernen. Morgon jedoch ist anders.« Er zögerte einen Moment, machte mit der Rechten eine unbestimmte Geste und fuhr dann fort. »Es ist unser Schutz, verstehst du? Unsere letzte Bastion. Ein Ort, der sicher ist vor unseren Feinden. Gäbe es Morgon nicht, wären wir hilflos.«

Kim schwieg betroffen. Was Kart gesagt hatte, klang logisch. Themistokles hatte davon gesprochen, daß es auch böse Mächte in diesem Land gab, vor denen sie sich schützen mußten. Vielleicht hatte der schwarze Ritter recht. Vielleicht war Morgon der Tribut, den Märchenmond dem Bösen zahlen mußte. Eine Burg, die der Verteidigung und dem Kampf diente und nicht schön sein konnte. Dennoch wuchs seine Angst, je mehr sie sich dem Burgtor näherten.

Er setzte sich auf und versuchte durch den Torbogen ins Innere der Burg zu schauen. Aber außer schwarzen Schatten und nebelhaften Umrissen konnte er nichts erkennen.

Der Wagen rollte unter dem Fallgitter hindurch. Kim stellte fest, daß die Mauern mindestens zehn Meter dick waren. Kart hatte nicht übertrieben - Morgon war wirklich ein Bollwerk. Er konnte sich keine Kraft vorstellen, der diese Mauern nicht standhalten würden.

Die Ritter zügelten ihre Pferde. Der Wagen hielt an. Kart schwang sich aus dem Sattel, trat an den Wagen heran und streckte Kim die Hand entgegen. »Komm. Unser Herr erwartet dich.«

Er öffnete eine niedrige Tür aus eisenbeschlagenen Bohlen und trat wortlos beiseite.

Hinter der Tür lag ein schmaler, niedriger Gang, der von brennenden Fackeln in ein Gewoge aus Licht und Schatten getaucht wurde. Kart legte Kim die Hand auf die Schulter und schob ihn vor sich her in den Gang hinein. Kim stolperte ein paar Schritte über den Steinboden, prallte gegen die Wand und fuhr aufgebracht herum. Der schwarze Ritter zog die Tür hinter sich zu, legte den schweren Riegel vor und wies den Gang hinunter.

»Geh!«

Kim zögerte. Kart war mit einem Schritt neben ihm. Er mußte sich bücken, um nicht mit dem Helm gegen die gewölbte Decke zu stoßen, dennoch überragte er Kim noch um fast einen Meter.

Kims Hand strich über den Kolben der Laserwaffe.

Nein - das hatte keinen Sinn. Vielleicht hatte Kart Grund für sein Benehmen. Vielleicht war in der Zwischenzeit etwas geschehen, was sein Verhalten rechtfertigte.

Kim gab den Widerstand auf und lenkte seine Schritte zwischen den steinernen Wänden den Gang hinunter. Kart folgte ihm in geringer Entfernung.

Nach einer Weile tauchte eine steile Treppe mit schmalen, ausgetretenen Stufen vor ihnen auf. Sie stiegen empor, traten durch eine Tür und standen in einer riesigen leeren Halle.

»Warte hier«, befahl Kart. »Ich werde dich unserem Herrn melden.« Ehe Kim antworten konnte, war Kart durch eine Tür in der gegenüberliegenden Wand verschwunden.

Kim blickte ihm verwundert nach. Seine anfängliche Furcht schlug in Zorn um. Themistokles würde ihm einige wirklich unangenehme Fragen beantworten müssen!

Wütend starrte er die Tür an, hinter der der schwarze Ritter verschwunden war. Er spielte kurz mit dem Gedanken, Karts Befehl zu mißachten und ihm zu folgen, ließ den Gedanken aber gleich wieder fallen. Wer weiß, ob Themistokles tatsächlich hinter dieser Tür wartete. Und Kim hatte keine Lust, sich in den düsteren Gängen der Burg zu verirren. Neugierig begann er sich in der Halle umzusehen.

Viel gab es nicht zu entdecken. Der Boden war mit schwarzen, spiegelnden Kacheln ausgelegt, die sich unter Kims Schuhen wie Glas anfühlten und ihm sein eigenes, verzerrtes Spiegelbild zeigten.

Kim erschrak, als er sich sah. Seine Uniform war zerrissen und mit Schmutz und Blut durchtränkt. Sein Gesicht wirkte hohlwangig und müde, und um seinen Hals lag ein enger, blutiger Verband. Kim hob die Hand, tastete über den Stoff und wunderte sich, daß er keinen Schmerz spürte. Kart hatte irgend etwas mit der Wunde gemacht, daran erinnerte er sich. Dann hatte er ihm dieses Zeug zu trinken gegeben, und danach waren das Fieber und die Alpträume gekommen. Aber die Wunde schien verheilt zu sein.

Kim ließ sich auf die Knie nieder, löste den Verband und befühlte mit den Fingern seine Haut. Eine dünne, kaum noch spürbare Narbe zog sich über die linke Seite des Halses fast bis zum Ohr hinauf.

Kim stand auf. Er warf den Verband in eine Ecke und leistete Kart in Gedanken Abbitte. Eine Nacht Fieber und Alpträume waren ein geringer Preis für eine so schnelle Heilung.

Ein heller Trompetenton wehte durch die Halle. Kim drehte sich überrascht um und hielt nach der Quelle des Geräusches Ausschau. Die Wände der Halle schienen aus dem gleichen lichtschluckenden schwarzen Stein wie die Außenmauern Morgons zu bestehen, aber an einer Seite befand sich ein hohes, schmales Fenster, durch das man die gegenüberliegenden Burgmauern erkennen konnte. Kim ging hin, stützte sich auf den Fenstersims und schaute hinaus. Das Fenster blickte auf einen weitläufigen Innenhof hinunter. Der Himmel war noch immer dunkel, aber das steinerne Viereck dort unten wurde von einer Unzahl schwelender Fackeln und glühender Kohlenbecken fast taghell erleuchtet. Eine Abteilung schwarzgepanzerter Ritter marschierte über den Hof und begann zu exerzieren. Eine dunkle Stimme brüllte Befehle, dann erschienen noch mehr Ritter, mehr und immer mehr, bis der Hof schwarz von großen, gepanzerten Gestalten war.

»Du kannst jetzt kommen.«

Kim fuhr erschrocken herum. Kart stand wenige Schritte hinter ihm. Sein Blick wanderte zwischen Kim und dem Fenster hin und her. Es war unmöglich zu erkennen, was er dachte.

»Der Herr erwartet dich«, sagte Kart.

Kim ging an dem schwarzen Ritter vorbei zur Tür. Hinter dieser Tür war wieder ein Gang, eine weitere Treppe, dann eine kleine Kammer, deren ganze Stirnseite von einem schweren Vorhang aus schwarzem Samt eingenommen wurde. Kart schlug den Vorhang zurück und machte eine einladende Handbewegung.

Kim trat in den dahinterliegenden Saal.

Der Raum war gigantisch. Hohe, glatte schwarze Säulen trugen die gewölbte Decke. An den Wänden hingen dunkle Vorhänge und Waffen, und vor jeder Säule stand bewegungslos und stumm ein schwarzer Ritter. Der ganze Raum schien von Kälte und Ablehnung erfüllt zu sein.

All das nahm Kim jedoch nur am Rande wahr.

Sein Blick wurde wie hypnotisch von dem mächtigen schwarzen Thron angezogen, der an der Rückwand des Saales stand. Eine Anzahl hoher, wuchtiger Stufen, deren Kanten schief und verzerrt wirkten, als wären sie nach den Regeln einer dem Menschen fremden Geometrie errichtet, führten zu ihm empor. Und dort oben...

Kim näherte sich dem Thron bis auf wenige Schritte. Dann blieb er stehen, ballte die Fäuste und starrte den weißhaarigen, bärtigen alten Mann auf dem Thron ungläubig an.

Das Gesicht des Mannes war das von Themistokles. Das weiße Haar, der Bart - jede kleinste Falte, jede Einzelheit stimmte.

Und doch war es nicht Themistokles.

»Du bist nicht Themistokles«, sagte Kim.

Der alte Mann starrte ihn sekundenlang schweigend an.

»Das ist richtig«, sagte er dann.

Kim zog scharf die Luft ein. Jetzt, endlich, wurde ihm alles klar. Die schwarzen Ritter. Das Land mit seiner Kälte, seinen Sümpfen, dem Nebel und der Dunkelheit, diese schreckenerregende Burg - alles bekam mit einem Mal einen Sinn. Ihm fiel auf, wie still es plötzlich in der Halle geworden war. Noch nie in seinem Leben hatte Kim eine solche Stille erlebt.