Выбрать главу

»Hat... hat dein Vater das gesagt?«

Ado nickte.

»Wir werden kämpfen«, murmelte er. »Eines Tages werden wir aufstehen und uns von Boraas befreien.«

»Wir?« fragte Kim. »Wer ist ›wir‹?«

Ado schwieg. Sein Blick irrte über den See, den Wald und den Himmel. »Es muß noch andere geben«, sagte er. »Boraas kann sie nicht alle getötet haben. So, wie Vater und ich überlebten, müssen auch andere überlebt haben. Wenn ich erwachsen bin, werde ich losziehen und sie suchen. Ich werde sie finden. Die Vertriebenen. Die Überlebenden. Ich werde sie finden, und ich werde ein Heer aufstellen, dem Boraas nichts entgegenzusetzen hat. Und wenn ich sie nicht finde, werde ich allein kämpfen.«

Es gab viel, was Kim hätte antworten können, aber er wußte auch, daß es zu voreilig gewesen wäre. Er hatte Ado plötzlich von einer Seite kennengelernt, die er bei diesem lustigen, aufgeweckten Jungen nicht erwartet hätte.

Und wie war das mit ihm selbst? Hatte er, Kim, ein Kind noch wie Ado, nicht einen ähnlichen Entschluß gefaßt? War er nicht sogar schon ein Stück weiter auf dem Weg? Seinem Weg. Aber vielleicht glaubte er das auch nur zu sein.

Gleichzeitig sagte er sich, daß Ado auf dem falschen Weg war. Ado suchte Gewalt mit Gewalt zu beantworten, und das war gewiß keine Lösung.

Aber laut sagte Kim nichts von all dem.

»Ich sitze oft hier und träume von früher«, fuhr Ado nach einer Weile fort. Er zog die Beine an den Körper, umschlang sie mit den Armen und stützte das Kinn auf die Knie. »Vater hat mir so viel davon erzählt, daß es für mich ist, als hätte ich es selbst erlebt. Ich brauche nur die Augen zu schließen, um den See zu sehen, wie er einmal war. Und ich schwöre, daß er irgendwann wieder so sein wird.«

Kim berührte es seltsam, daß jemand so gefangen sein konnte von etwas, was er nie kennengelernt hatte, was immer nur ein Traum gewesen war und es vermutlich auch bleiben würde. Im Grunde wußte Ado wohl, wie aussichtslos die Sache war, wie sinnlos sein Vorhaben, sich gegen die allgegenwärtigen Schwarzen zu stellen. Aber waren es nicht zu allen Zeiten die Träume gewesen, die Menschen dazu brachten, das Unmögliche zu tun?

»Ich habe dich gestern abend beobachtet«, sagte Ado, »als mein Vater heimgekommen ist. Du hattest Mühe, dir das Lachen zu verbeißen.«

Kim wich beschämt seinem Blick aus. »Ich... äh...« stammelte er.

Ado grinste ein bißchen. »Weißt du, daß er sich den Namen Tümpelkönig selbst gegeben hat?«

Kim glaubte es zu wissen. Und er glaubte auch zu wissen, warum. Es war seine Art des Widerstandes gegen Boraas und dessen schwarze Reiter. Die einzige Möglichkeit, die ihm geblieben war. Wer sich freiwillig, vor sich selbst und vor anderen, der Lächerlichkeit preisgibt, genießt Narrenfreiheit - und ist dadurch stark.

»Wo wirst du jetzt hingehen?« fragte Ado unvermittelt.

»Hm?«

»Hier kannst du nicht bleiben«, erinnerte ihn Ado. »Ich wünschte, du könntest es. Aber Vater hat recht - die Schwarzen würden dich früher oder später finden.«

»Ich weiß«, seufzte Kim. »Aber ich könnte sowieso nicht bleiben. Ich muß weiter.« Er deutete mit einer Kopfbewegung nach Westen.

»Über die Schattenberge?«

Kim nickte.

»Aber das ist unmöglich.«

»Nein. Ich habe sie schon einmal überwunden, und meine Schwester auch.«

»Das war etwas anderes«, widersprach Ado. »Du konntest sie überwinden, weil du deine Flugmaschine hattest, und deine Schwester fand den Weg, weil Boraas es so wollte.«

»Aber das ändert nichts an der Tatsache, daß es einen Weg gibt. Ich muß - und ich werde ihn finden.«

»Und wenn du ihn gefunden hast, was dann?«

»Das weiß ich noch nicht. Ich werde Themistokles suchen. Gemeinsam werden wir einen Weg finden, Boraas zu besiegen.«

Nach langem Schweigen sagte Ado: »Nimmst du mich mit?«

Auf diese Frage war Kim nicht vorbereitet. Jetzt war er es, der schwieg.

»Nimmst du mich mit?« wiederholte Ado. »Ich kenne dieses Land besser als du. Vielleicht finden wir zu zweit einen Weg.«

Kim überlegte noch. »Es wäre zu gefährlich«, antwortete er schließlich. »Dein Vater würde es niemals zulassen.«

Ado sagte mit einer wegwerfenden Handbewegung: »Nicht gefährlicher, als hierzubleiben. Boraas wird in seinem Zorn alles zerstören, wenn er begreift, daß du ihm endgültig entkommen bist. Ich könnte mit Vater reden. Vielleicht schließt er sich uns sogar an. Zu dritt hätten wir eine Chance.«

»Boraas wird uns jagen wie die Hasen«, entgegnete Kim. »Ihr wärt nirgendwo sicher. Ich habe euch schon genug in Gefahr gebracht. Und ich könnte es mir nie verzeihen, wenn euch etwas zustieße.«

»Es ist mir egal, wenn ich sterbe«, sagte Ado, und man hörte ihm an, daß es ihm vollkommen ernst war. »Wenn ich wenigstens ein paar von diesen schwarzen Teufeln mitnehmen kann, dann hat es sich gelohnt.«

Kim antwortete nicht. Ado würde ihn nicht begleiten. Der Tümpelkönig würde es niemals zulassen, und sosehr sich Kim davor fürchtete, dieses Alptraumgebirge im Westen allein zu überqueren, Ados Sicherheit war ihm wichtiger. Er mochte diesen Jungen, der so anders war als er selbst und doch die gleichen Träume träumte. Wenn sie beide, er und Ado, sich an einem anderen Ort und unter anderen Umständen kennengelernt hätten, wären sie bestimmt Freunde geworden.

»Es geht nicht«, sagte er endlich.

Ado schnaubte. »Sei doch ehrlich - du willst mich nicht mitnehmen, weil du mir nichts zutraust. Erzähl mir nicht, daß du um mich besorgt bist. Das wäre auch gar nicht nötig. Ich fürchte mich nicht vor Boraas und den Schwarzen.«

»Das glaube ich dir«, sagte Kim. »Und gerade deshalb ist es wichtig, daß du hierbleibst. Du hast mir erzählt, wie es früher hier war, und ich möchte genau wie du, daß es wieder so wird. Du bist der Letzte deines Stammes, nur du kannst dieses Land noch retten, deinen Traum und den deines Vaters wahr machen. Wenn du von hier weggehst, ist das genauso, als würdest du einen guten Freund im Stich lassen. Dieses Land braucht dich, Ado. Dich und deine Träume.«

Er schwieg. Ein dunkler Schatten hatte sich unbemerkt zwischen ihn und Ado geschoben. Leises Rascheln ließ Kim herumfahren. Der Tümpelkönig stand hinter ihnen. Er stand schon lange da und hatte ihr Gespräch mit angehört.

»Kim hat recht, Ado«, sagte er ernst. Er legte seinem Sohn beschwichtigend die Hand auf die Schulter. »Ich verstehe deine Gründe gut, aber es ist genauso, wie Kim gesagt hat. Du darfst ihn nicht begleiten.«

Ado schüttelte die Hand seines Vaters trotzig ab, sprang auf die Füße, und ohne Kim noch eines Blickes zu würdigen, tauchte er mit einem Hechtsprung ins Wasser.

Der Tümpelkönig schüttelte den Kopf.

»Du mußt ihm vergeben, Kim«, sagte er. »Er ist noch sehr jung. Er versteht es noch nicht anders. Später wird er dir dankbar sein, daß du dich geweigert hast, ihn mitzunehmen.« Er bedeutete Kim, ihm zu folgen. »Es ist besser, du gehst jetzt gleich«, murmelte er. »Bevor er wiederkommt.« Kim hätte sich gerne von Ado verabschiedet, aber er sah ein, daß sein Vater vermutlich recht hatte.

»Ich begleite dich aus dem Sumpf heraus«, sagte der Tümpelkönig. »Der Wald wimmelt von Schwarzen, aber ich kenne Wege, die selbst Boraas noch nicht entdeckt hat. Ich werde dich sicher bis an die Grenze meines Reiches geleiten. Danach mußt du aus eigener Kraft weitergehen.« Er seufzte und fügte mit bewegter Stimme hinzu, die seine Sorge und sein Mitgefühl erkennen ließ: »Der Weg, den du gehen willst, ist lang und voller Gefahren.«

»Ich weiß«, murmelte Kim.

Der Wald nahm sie auf. An der Seite des Tümpelkönigs fühlte sich Kim beschützt und geborgen. In diesem Moment beneidete er Ado, der jederzeit in diese Geborgenheit zurückkehren konnte.

»Das Land ist in Aufruhr«, fuhr der Tümpelkönig fort. »Baron Kart hat all seine Reiter losgeschickt, nach dir zu suchen. Vertraue niemandem. Halte dich abseits der Wege, und meide Städte und Dörfer. Das Böse schläft nicht, und Boraas' Spitzel sind überall.«