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Länger als eine Stunde gingen Kim und der Tümpelkönig Seite an Seite in vertrautem Schweigen durch den Wald. Als sie schließlich den Rand des Sumpfgebietes erreichten, war die Nacht hereingebrochen.

»Hier trennen sich unsere Wege«, sagte der Tümpelkönig. »Ich wünsche dir viel Glück, Junge.«

»Ich komme wieder«, versprach Kim.

VI

Fast eine Woche war Kim unterwegs, ehe er, bei Sonnenuntergang, die ersten Ausläufer der Schattenberge erreichte. Er war durch Täler und Sümpfe marschiert, hatte steinige Ebenen und hitzedurchglühte Wüsten durchquert, hatte sich durch Wälder voller fleischfressender Pflanzen gekämpft und einmal, auf der Flucht vor einem Wolfsrudel, eine ganze Nacht frierend und zitternd vor Angst auf einem Baum zugebracht. Die hungrigen Tiere waren erst in der Morgendämmerung abgezogen, und Kim hatte noch eine ganze Stunde abgewartet, ehe er sich hinunterwagte. Und immer wieder hatte er den Weg der schwarzen Reiter gekreuzt. Er war Städten und Ansiedlungen aus dem Weg gegangen, wie der Tümpelkönig es ihm geraten hatte; trotzdem war er oft auf die Spuren ihrer großen, häßlichen Pferde gestoßen, und ein paarmal hatte ihn nur sein Glück vor Entdeckung und Gefangenschaft bewahrt. Zu Anfang hatte er gehofft, daß die Gefahr geringer würde, je weiter er sich dem Schattengebirge näherte, aber das Gegenteil war der Fall gewesen. Je näher er der gigantischen grauen Mauer im Westen kam, desto häufiger stieß er auf Anzeichen der schwarzen Reiter, und schließlich wurde es so schlimm, daß er sich tagsüber versteckte und nur noch nachts weiterwanderte. Boraas mußte sein ganzes Heer ausgeschickt haben, um einen kleinen, hilflosen Jungen zu fangen. Aber so gewaltig seine Streitmacht auch sein mochte, so verlor sie sich doch in der unendlichen Weite des Landes. Dennoch war Vorsicht geboten, und Kim fühlte sich alles andere als sicher, als er aus dem Wald heraustrat und den schmalen steinigen Pfad musterte, der sich vor ihm den Hang hinaufschlängelte.

Der Wald hörte wie abgeschnitten auf, und der moosbewachsene Boden ging unmittelbar in eine Geröllhalde über, die mit gigantischen Steintrümmern übersät war, als hätte ein Riese einen Berg zerschmettert und die Reste mit weitausholender Gebärde über das Land verstreut. Der Hang stieg vor Kims Augen sanft an, wurde steiler und immer steiler und verlor sich schließlich in den titanischen, schneegekrönten Berggipfeln, die scheinbar in die Unendlichkeit emporwuchsen. Selbst die nebelverhangenen Pässe und Schluchten, die noch mit freiem Auge zu erkennen waren, lagen Tausende Meter hoch. So hoch, daß die Luft dort oben vermutlich zu dünn zum Atmen war und jeder, der versuchte, das Gebirge auf diesem Wege zu überqueren, qualvoll ersticken mußte, wenn er nicht schon vorher vor Erschöpfung gestorben oder in der Eiswüste dort oben erfroren war. Und doch bildeten diese Gipfel nur die Vorhut, eine erste, vergleichsweise niedrig zu nennende Mauer, hinter der sich, durch die Entfernung nur als schemenhafte graue Umrisse zu erkennen, das eigentliche Schattengebirge erhob. Kims Mut sank, als ihn der Anblick mit voller Wucht traf.

Dennoch mußte es einen Weg hinüber geben! Seine Schwester hatte ihn gefunden, Rebekka, ein kleines, vierjähriges Kind, das diese Berge niemals aus eigener Kraft überquert haben konnte. Es mußte einen anderen Weg geben.

Kim schob den Gedanken von sich - was half's, da er des Rätsels Lösung doch nicht fand. Er marschierte los. Seine Schritte erzeugten zwischen den steil emporstrebenden Felswänden ein seltsames, hallendes Echo. Nach einigen hundert Metern blieb er stehen und drehte sich noch einmal um, um einen letzten Blick ins Tal hinunterzuwerfen. Der Wald dort unten, grau und feindselig, wie er war, von dornigen Büschen, giftigem Moos und heimtückischen Sumpflöchern durchsetzt, beherrscht von fleischfressenden Pflanzen, Spinnen und Gewürm, erschien ihm fast freundlich gegen das, was jetzt vor ihm lag. Das Gebirge vor ihm war kahl, bar jeden Grüns, ohne eine Spur von Leben.

Er schüttelte sich, rammte die Hände tiefer in die Taschen und ging weiter. Der Weg schlängelte sich zwischen Felsen und scharfkantigen Steintrümmern hindurch, führte in unberechenbaren Windungen manchmal ein Stück zurück in die Richtung, aus der er gekommen war, brachte ihn aber allmählich weiter nach Westen. Es wurde jetzt rasch dunkel, und das Grau des umliegenden Felsens wanderte langsam in Schwarz hinüber. Kim war ungefähr eine halbe Stunde gelaufen, als er ein Geräusch hörte.

Er brauchte nicht lange, um den Laut zu identifizieren. Er hatte ihn während der letzten Tage gründlich kennen und fürchten gelernt.

Hufschlag!

Er duckte sich instinktiv hinter einen Felsen und schaute mit zusammengekniffenen Augen ins Tal hinunter. Eine Abteilung schwarzer Reiter näherte sich aus südlicher Richtung. Es waren viele, dreißig, vielleicht vierzig, und nicht alle waren menschlich. Kim hatte die Schwarzen während seiner Wanderung bis an den Fuß des Schattengebirges mehrmals beobachten können und festgestellt, daß Boraas' Armee nicht nur aus den schwarzen Panzerreitern bestand. Offensichtlich hatte Baron Kart auf Morgon so etwas wie eine Elitetruppe der größten und stärksten Ritter um sich geschart. Auch bei dieser Gruppe hier befanden sich einige Riesen, aber sie waren in der Minderzahl, und ihre hünenhaften Gestalten ragten über die der anderen hinaus. Es gab Reiter, die nicht größer als normale Menschen waren, und auch einige, die kaum Kims Größe erreichten. Die meisten saßen lässig, ja fast elegant auf ihren großen schwarzen Pferden, aber manche hockten sehr seltsam in den Sätteln, so als wäre ihr Körper nicht für eine Fortbewegungsart wie das Reiten geeignet. Kim war sich ziemlich sicher, daß nicht alles, was sich unter den glänzenden schwarzen Rüstungen verbarg, menschlich war.

Er beobachtete mit angehaltenem Atem, wie die Gruppe in gemäßigtem Tempo am Waldrand entlangritt und dann zum Stehen kam. Der Anführer, ein Riese, der auf einem noch riesigeren schwarzen Pferd saß und selbst die Größten noch um Kopfeslänge überragte, hob die Hand und rief ein paar Worte, die Kim über die Entfernung nicht verstehen konnte. Die Gruppe teilte sich in vier Abteilungen auf. Eine blieb dort unten an Ort und Stelle zurück und begann Feuerholz zusammenzutragen und ein Lager zu errichten, während die drei anderen in verschiedenen Richtungen weiterritten.

Kims Herz hörte einen Moment auf zu schlagen, als eine Gruppe sich genau in seine Richtung in Bewegung setzte.

Er sah sich vergeblich nach einem geeigneten Versteck um, überlegte nicht lange und rannte los. Er konnte sicher sein, daß seine Verfolger gründlich zu Werke gingen. Sie würden jeden Stein umdrehen und in jede Felsspalte sehen, die groß genug war, einen Jungen von seiner Größe aufzunehmen.

Er lief ein Stück weiter hangaufwärts, sah sich hastig um und erschrak. Er selbst hatte eine halbe Stunde gebraucht, um hier heraufzugelangen, aber die Schwarzen trieben ihre Pferde unbarmherzig an und hatten schon fast die Hälfte des Weges zurückgelegt. In wenigen Augenblicken würden sie ihn sehen. Er mußte ein Versteck finden!

Ein Stück vor ihm gabelte sich der Weg. Kim rannte ohne zu überlegen nach rechts. Eine schmale Schlucht mit glatten, senkrecht aufstrebenden Wänden nahm ihn auf. Der Weg machte einen Knick - und Kim stand vor einer senkrechten, glatten Wand!

Für einen Augenblick lähmte ihn der Schreck. Ungläubig und nahe daran, vor Verzweiflung laut aufzuschreien, blickte er an der Wand empor und ballte in hilfloser Wut die Fäuste. Der Weg war eine perfekte Falle. Und er war aus eigener Kraft hineingelaufen!

Die schwarzen Reiter hatten mittlerweile die Weggabelung erreicht. Die meisten ritten geradeaus weiter, ohne der schmalen Schlucht mehr als einen flüchtigen Blick zu schenken. Kim begann bereits zaghaft wieder Hoffnung zu schöpfen, als eine kleine, schwarzgepanzerte Gestalt ihr Pferd verhielt, eine Weile unschlüssig in seine Richtung starrte und dann an den Zügeln zog. Das Pferd wieherte zornig, drehte sich halb herum und trabte langsam in die Schlucht hinein.