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»Du weißt es nicht?«

Kim schüttelte den Kopf. »Ich, äh... ich war lange weg«, sagte er.

Tak nickte. Er schwieg fast eine Minute lang und seufzte dann wieder. »Ayyah. Man sagt, es geschehen schreckliche Dinge. Wir leben hier sehr ruhig und abgeschieden, aber man hört so manches.«

»Was für schreckliche Dinge?« bohrte Kim.

»Schreckliche Dinge, mein Sohn. Man sagt, es gäbe Krieg. Krieg und noch Schlimmeres. Aber Nachrichten brauchen lange, um bis zu uns heraufzukommen. Wenn du mehr wissen willst«, fügte er nach einer Pause hinzu, »wirst du wohl ins Tal hinuntergehen müssen.«

Kim nickte. »Das werde ich wohl.«

»Aber nicht sofort«, mischte sich Frau Tak energisch ein. »Zuerst ruhst du dich noch ein paar Tage aus und ißt anständig.« Sie knuffte Kim schmerzhaft zwischen die Rippen. »An dir ist ja überhaupt nichts dran. Wenn du mein Sohn wärst...« Sie schüttelte mißbilligend den Kopf. »Du gehst hier nicht weg, bevor du wieder anständig Fleisch auf den Rippen hast«, sagte Frau Tak bestimmt.

Und dabei blieb es.

Am nächsten Abend nahmen ihn die Dachse mit auf die Jagd. Kim fühlte sich längst noch nicht kräftig genug für ein solches Unternehmen, aber Tak bestand darauf, daß er mitkam, und Kim hätte es als undankbar empfunden, ihm diesen Wunsch abzuschlagen.

Seine Meinung über die Dachse änderte sich gründlich, als er sie auf der Jagd erlebte. Daheim in der Höhle waren Tak, Tak, Tak, Tak, Tak, Tak, Tak und Tak, die jungen Dachse, unausstehliche Quälgeister, richtige Frechdachse eben. Auf der Jagd verwandelten sie sich in disziplinierte, folgsame Kinder, deren Blicke wie gebannt an jeder Bewegung ihres Vaters hingen und die auch nicht das mindeste überflüssige Geräusch verursachten. Sie streiften einen halben Tag durch den Wald, ehe sie auf Beute stießen. Als es schließlich soweit war, ging alles so schnell, daß Kim kaum wußte, was geschehen war, als der alte Tak schon mit einem geschlagenen Kaninchen in der Schnauze angelaufen kam.

Kim freute sich für die Taks, aber er konnte sich eines leisen Gefühls des Bedauerns nicht erwehren, als er den reglosen Kaninchenkörper betrachtete. Tak bemerkte seinen Blick.

»Dir tut das Langohr leid, wie?« sagte er.

Kim druckste herum und nickte dann. »Aber es muß wohl sein«, murmelte er.

»Ayyah, es muß sein«, bestätigte Tak. »So ist das nun mal. Man frißt oder wird gefressen. Bei euch Menschen ist es auch nicht anders.«

Kim wußte nicht, worauf Tak hinauswollte. Er wartete schweigend, bis der Dachs nach einer Weile fortfuhr.

»Siehst du, Kim«, sagte er, »die Natur hat es nun einmal so eingerichtet, daß der Starke den Schwachen frißt und der Schwache den Schwächeren. Und solange jeder das tut, weil er Hunger hat oder weil er für seine Jungen sorgen muß, ist das auch ganz in Ordnung. Es ist das System, und solange sich alle daran halten, bleiben die Dinge im Gleichgewicht.« Er legte den Kopf auf die Seite und betrachtete Kims schwarze Rüstung. »Das sieht nicht schön aus, was du da anhast«, stellte er fest und musterte Kim mit zusammengekniffenen Augen. »Heute früh bin ich noch einmal aus der Höhle gegangen«, fuhr er fort. »Und da habe ich viele Männer gesehen. Männer auf Pferden wie dem deinen. Und auch ihre Rüstungen waren so wie die, die du trägst. Waren das deine Leute?«

Kim war über diese Eröffnung so erschrocken, daß er nicht gleich antworten konnte.

»Viele... Männer?« stotterte er.

Tak nickte. »Sehr viele. Sie haben mir nicht gefallen. Ayyah, gar nicht, mein Sohn. Gehörst du zu ihnen?«

Kim schüttelte energisch den Kopf. »Nein. Bestimmt nicht. Ich... ich habe mich unter sie gemischt, aber sie sind meine Feinde. Und eure auch, glaube ich. Was haben sie gemacht?«

»Nichts. Sie zogen vorbei. Suchen sie dich?«

»Ich glaube schon«, murmelte Kim. »Aber sie sind nicht bloß aus diesem Grund gekommen. Wohin sind sie geritten?«

»Ins Tal«, antwortete Tak. »Sie schienen es nicht eilig zu haben. Was waren das für Leute?«

Kim überlegte eine Weile, ehe er antwortete. Er hätte viel erzählen können, von Flucht und Verfolgung, von Baron Kart, von Boraas und seinem finsteren Begleiter, aber er hatte den Eindruck, daß Tak das alles bereits wußte.

»Gestern hast du mir erzählt, daß man von Krieg spricht«, sagte er, »erinnerst du dich?«

Tak nickte.

»Die Reiter, die du gesehen hast, sind hierhergekommen, um dieses Land zu erobern«, sagte Kim. Er erwartete, daß Tak Erschrecken oder zumindest Überraschung zeigen würde, aber der alte Dachs nickte nur wieder, als hätte er nichts anderes erwartet.

»So hat er es denn getan«, murmelte Tak.

»Wer hat was getan?«

»Boraas«, antwortete Tak. »Wir wußten schon lange, daß er Eroberungspläne schmiedet. Doch bisher hat er sich nicht getraut, uns offen anzugreifen. Es gab Gerüchte.«

»Gerüchte?«

Tak antwortete nicht sofort. Schließlich sagte er: »Es ist nicht immer etwas dran an Gerüchten, mein Sohn. Aber es ist auch nicht immer nichts dran, wenn du verstehst, was ich meine. Es heißt, daß Boraas einen mächtigen Verbündeten gefunden hat, durch dessen Hilfe es ihm möglich war, das Schattengebirge zu überwinden und mit seinem Heer in das Land einzufallen. Ayyah. Es werden schlimme Zeiten kommen. Ich spüre es in meinen alten Knochen.«

»Du... du solltest fliehen«, sagte Kim. Ohne es begründen zu können, fühlte er sich mitschuldig an dem, was geschehen war.

Tak schüttelte den Kopf. »Ich fürchte nicht um mich, Kim«, sagte er. »Ich bin alt, und einen alten Baum soll man nicht verpflanzen. Ich habe lange und glücklich gelebt, und wenn es mich trifft, so trifft es mich eben, egal, wo ich gerade bin. Und es wird noch lange dauern, bis die Schwarzen auch hier ihre Herrschaft errichtet haben. Nein - ich denke nicht an mich. Aber ich mache mir Sorgen um Tak und die anderen Taks, meine Jungen. Sie haben kein so glückliches Leben vor sich. Das stimmt mich traurig, auch wenn sie selbst noch zu jung und ungestüm sind, um es zu begreifen. Jemand muß ihnen helfen.«

»Und... dieser Jemand soll ich sein?«

Tak nickte ernst.

»Aber was kann ich tun?« fragte Kim. »Ich bin selbst nur ein kleiner schwacher Junge, und die Schwarzen sind so viele...«

»Du magst ein kleiner Junge sein«, sagte Tak, »aber es kommt nicht darauf an, was du bist, sondern darauf, was du tust. Boraas mit all seiner Macht vermag nichts gegen dich auszurichten, wenn du wirklich fest entschlossen bist, ihm zu widerstehen.« Tak schwieg, aber Kim hatte den Eindruck, daß der Dachs ihm noch nicht alles gesagt hatte. Und tatsächlich fuhr er nach einer Weile fort. »Du hast noch einen weiten Weg vor dir, Kim. Einen Weg voller Gefahren, wogegen die, die du überstanden hast, harmlos sind. Aber du kannst ihn gehen, wenn du es wirklich willst. Ich weiß es.« Der Dachs schwieg wieder, und diesmal fühlte Kim, daß es sein letztes Wort war und alles gesagt war, was es zu sagen gab. Kim stand ruckartig auf, hängte sich das Kaninchen an den Gürtel und pfiff Junge - er hatte beschlossen, das Pferd immer so zu rufen - herbei. Er schwang sich in den Sattel und ritt in gemächlichem Tempo zur Dachshöhle zurück, während ihm die Taks wie ein Schwarm kleiner, schwarzweißer Schatten folgten.

Taks Worte gingen Kim nicht aus dem Sinn. Er saß hier oben und ruhte sich aus, während rings um ihn herum die schwarzen Reiter bereits in das Land eingefallen waren und Boraas vielleicht schon in diesem Moment damit begann, auch hier seine Schreckensherrschaft zu errichten. Er mußte an Ado und dessen Vater, den Tümpelkönig, denken, und als Kim auf die quicklebendigen, verspielten Dachsjungen herunterblickte, wurde ihm erst richtig klar, welch großer Verlust den Tümpelkönig getroffen hatte. Es würde nicht mehr lange dauern, und dieses Land würde dem Schattenreich gleich werden. Und schließlich würde aus Tak ein verbitterter böser alter Dachs geworden sein und aus seinen Jungen verbitterte böse junge Dachse, die nichts als Groll im Herzen trugen und einer Zeit nachtrauerten, die sie kaum oder gar nicht erlebt hatten. Nein - so weit durfte es nicht kommen.