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Dann teilte sich die Reihe, und eine weißgekleidete, bärtige Gestalt trat auf Kim zu.

Kim lächelte, als er Themistokles erkannte. Er stand schwankend auf, bückte sich nach seinem Schwert und schob es in die Scheide zurück. Seine Hand zitterte.

»Ich weiß nicht, wer du bist«, sagte Themistokles, nachdem er Kim eine Weile wortlos angestarrt hatte, »aber wir danken dir für deine Hilfe.« Er schwieg wieder und schien auf Antwort zu warten, aber Kim erwiderte nur stumm seinen Blick und rührte sich nicht. Er genoß den Moment und wollte ihn so lange wie möglich hinauszögern.

»Ohne dein Eingreifen«, fuhr Themistokles schließlich fort, »wäre es schlecht um uns bestellt gewesen.« Seine Augen verdunkelten sich, und in seiner Stimme schien eine Spur von Mißtrauen mitzuschwingen, als er weitersprach. »Doch sag, wie kommt es, daß sich ein Diener Morgons gegen seine eigenen Kameraden wendet?«

»Vielleicht«, sagte Kim, »weil ich kein Diener Morgons bin.«

Er hob in einer auf Wirkung bedachten Geste die Hände an den Kopf, klappte zuerst das Visier auf und setzte dann den schwarzen Helm ab.

Themistokles verschlug es die Rede. Seine Augen weiteten sich, und der Ausdruck auf seinem Gesicht entschädigte Kim für alles.

Endlich fand Themistokles seine Sprache wieder.

»Kim!« sagte er. »Du...?«

Kim lächelte. »Hast du jemand anders erwartet?« fragte er. »Du sagtest doch, ich sollte kommen. Nun, ich bin da.«

Themistokles schüttelte staunend den Kopf. »Ich muß gestehen, daß ich dich am allerwenigsten erwartet habe. Nicht so und nicht hier!« Plötzlich lächelte er, drehte sich zu den abwartend dastehenden Kriegern um und hob in einer beruhigenden Geste die Hände.

»Es ist alles in Ordnung. Er ist einer der Unseren.«

Die Mienen entspannten sich, und da und dort brach sich ein Seufzer der Erleichterung Bahn. Themistokles wartete einen Moment, deutete dann mit weitausholender Gebärde zum Waldrand und sagte: »Ich werde euch alles erklären. Aber nun laßt mich für eine kurze Weile mit unserem Retter allein. Es gibt viel zu bereden zwischen uns.«

Die Ritter gehorchten, und Themistokles blieb mit Kim allein zurück. »Du«, sagte er noch einmal, als könne er es noch immer nicht glauben. »Nach all der Zeit...« Wieder schüttelte er den Kopf. »Ich hatte die Hoffnung auf dein Kommen bereits aufgegeben. Um so größer ist meine Freude, dich gesund und unverletzt wiederzusehen.«

»Na ja, gesund...« Kim betastete vorsichtig seine rechte Schulter. Der Panzer hatte dem Hieb standgehalten, aber die Schulter war noch immer taub, der Arm wie gelähmt. Plötzlich fiel ihm etwas ein. »Wieso nach all der Zeit?« sagte er. »Ich war doch nur ein paar Wochen weg.«

Themistokles runzelte die Stirn. »Ein paar Wochen?«

Kim überschlug in Gedanken die Zeit, die er in Boraas' Kerker verbracht hatte, die Zeit seiner Wanderung über die Berge und seines Aufenthaltes bei Tak. »Nicht viel mehr als zwei Wochen«, sagte er dann. »Vielleicht ein bißchen länger, aber nicht viel.«

»Zwei Wochen!« entfuhr es Themistokles. Dann fügte er in ruhigem, gefaßtem Ton hinzu: »Die Zeit, Kim, ist ein seltsames Ding. Sie gehorcht nicht überall den gleichen Gesetzen. Im Reich der Schatten mögen zwei Wochen vergangen sein, seit du dort angekommen bist. Aber hier bei uns sind mehr als drei Jahre verstrichen.«

»Drei Jahre!« rief Kim. »Aber das ist unmöglich!«

Themistokles schüttelte sanft den Kopf. »Nichts ist unmöglich«, sagte er.

»Aber drei Jahre... Jetzt begreife ich dein Erstaunen.«

»Um ehrlich zu sein, ich hatte wirklich die Hoffnung aufgegeben, dich jemals wiederzusehen«, sagte Themistokles. »Zu Anfang habe ich gewartet. Jeden Tag habe ich den Himmel abgesucht, und über Wochen und Monate habe ich meine Reiter ausgeschickt, nach dir zu suchen. Aber mit jedem Tag, der verging, wurde die Hoffnung, daß du doch noch kommen würdest, geringer.«

»Hoffentlich hast du nicht geglaubt, daß ich es mit der Angst zu tun bekommen und gekniffen habe«, sagte Kim.

»Ich habe es gehofft«, sagte Themistokles ernst. »Ich habe gehofft, daß du gekniffen hast und daheim geblieben bist. Denn es gab sonst nur eine Antwort auf die Frage nach deinem Verbleib. Boraas.«

Kim nickte grimmig. »Du hast richtig geschlossen. Ich hatte bereits das Vergnügen, ihn kennenzulernen.«

»Ich wußte es in dem Moment, als ich deine schwarze Rüstung sah«, sagte Themistokles. Dann besann er sich. »Verzeih, Kim«, bat er. »Ich bestürme dich mit Fragen, anstatt dir Zeit zum Ausruhen zu gönnen. Komm in den Schatten und erhole dich erst einmal. Und dann erzählst du mir alles.«

Kim folgte ihm über die Wiese zum Waldrand. Das Hochgefühl, das ihn ob des gewonnenen Kampfes erfüllte, wich tiefer Niedergeschlagenheit, als er sah, wie hoch der Blutzoll war, den Themistokles' Männer hatten entrichten müssen. An die dreißig Pferde standen am Waldrand angeschirrt, aber nur zehn der weißen Reiter waren noch am Leben und etliche von ihnen schwer verwundet.

Sie hatten gewonnen, aber Kim wurde des Sieges nicht froh. Er lehnte sich gegen einen Baumstamm, schloß die Augen und überließ sich seinem Schmerz. Rings um ihn herum begannen die Überlebenden, die Körper der Erschlagenen in weiße Tücher zu hüllen und entlang dem Waldrand aufzureihen. Lange saß Kim da und folgte stumm, mit blinden Augen ihrem Tun, ehe er leise und stockend zu erzählen begann.

Er ließ nichts aus und erzählte jede Kleinigkeit, verschwieg auch nicht seine Ängste und die Furcht, die er während seines Versteckspiels inmitten des schwarzen Heeres ausgestanden hatte. Themistokles erwies sich als geduldiger und aufmerksamer Zuhörer. Kim erzählte fast eine Stunde lang, und Themistokles unterbrach ihn kein einziges Mal. Als Kim geendet hatte, verharrten beide eine Weile schweigend. »Dein Bericht«, sagte Themistokles schließlich, »übertrifft meine schlimmsten Befürchtungen.«

»Ich weiß«, antwortete Kim. »Niemand weiß es besser als ich. Ich habe das schwarze Heer gesehen, vergiß das nicht.«

»Es ist meine Schuld«, murmelte Themistokles.

»Deine Schuld?«

»Ja, Kim. Ich habe einen unverzeihlichen Fehler begangen. Ich habe Boraas unterschätzt. Dabei gibt es niemand, der besser als ich weiß, wie böse er ist.«

Plötzlich stand er auf und begann ruhelos im Kreis herumzuwandern. Sein Stab stieß im Rhythmus seiner Schritte gegen den Boden. »Er hat alles so geplant«, sagte er. »Alles ist von Anfang an so gelaufen, wie er es gewollt hat!«

Kim schüttelte den Kopf. »Das stimmt nicht, Themistokles. Dich trifft keine Schuld.«

»Doch!« widersprach der Zauberer. »Ich habe mich zu sicher gefühlt. Wir alle haben geglaubt, daß er hinter dem Schattengebirge gefangen, in seinem Reich der Finsternis auf ewig eingekerkert ist. Aber das war ein Irrtum. Er hat einen Weg gefunden.« Er hörte auf, im Kreis herumzulaufen, stützte sich auf seinen Stock und sah Kim durchdringend an. »Dieser finstere Begleiter, den du zusammen mit Boraas im Heerlager gesehen hast«, sagte er, »wie sah er aus?«

Kim hob hilflos die Schultern. »Wie alle anderen auch«, antwortete er nach einer Weile. »Es war nicht sein Aussehen, das ihn von den übrigen unterschied. Es war...« Er suchte nach dem passenden Wort und spürte einen kalten Schauer über seinen Rücken laufen, als das Bild des kleinen, schwarzgepanzerten Ritters wieder vor seinen Augen auftauchte. »Es war nichts Sichtbares«, sagte er unsicher. »Eher etwas, was man...«

»Mit der Seele spüren konnte«, vollendete Themistokles den Satz. »Eine unsichtbare Kälte, die ihn wie eine dunkle Aura umgab. Etwas Abstoßendes, Böses, Gewalttätiges.«

Kim nickte verblüfft. »Das stimmt«, bestätigte er. »Du kennst ihn?«

Themistokles verneinte. »Der Schwarze Lord«, murmelte er, und seine Stimme bebte vor Grauen. »Es gibt eine Sage, eine uralte, fast vergessene Sage, die berichtet, daß eines Tages ein mächtiger Krieger im Reich der Schatten auftauchen wird. Ein Krieger, der so furchtbar und grausam ist, daß er das Heer der Finsternis durch das Schattengebirge führen kann. Der Schwarze Lord.«