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Kim schaute verlegen zu Boden. Themistokles legte ihm die Hand auf die Schulter und schob ihn vor sich her zum Tisch. Zwei der Stühle waren leer. Sie setzten sich und warteten.

»Deine Verwunderung ist uns nicht entgangen, Kim«, sagte eine tiefe Stimme. Kim sah auf und blickte ins Gesicht eines großen, dunkelhaarigen Mannes, der auf der anderen Seite der Tafel zwischen Priwinn und einem weißhaarigen Alten saß und ihn ernst, doch nachsichtig ansah. »Ich verstehe dein Befremden, ein Kind im Rat der Weisen zu entdecken.« Er lächelte, als Priwinn bei dem Wort »Kind« zusammenzuckte. »Du erwartest eine Runde greiser Männer«, sagte er, »aber du bedenkst nicht, daß es nicht nur die Weisheit des Alters ist, die unsere Geschicke leitet. Die Alten mögen Erfahrung und Abgeklärtheit besitzen, doch damit allein ist es nicht getan. Die Welt braucht das Ungestüm der Jugend, das uns fehlt, genauso wie die Weisheit, die erst im Alter erworben wird. Nur beide zusammen ergeben das rechte Maß, um wichtige Entscheidungen zu treffen. Der eine mag Dinge erkennen, die der andere nicht mehr - oder noch nicht - versteht.« Er lächelte wieder, lehnte sich zurück und sah Themistokles an. »Aber nun zum Grund Eures Kommens, Herr von Gorywynn«, fuhr er mit veränderter Stimme fort. »Mein Sohn berichtete mir, daß Ihr bei einem Zusammenstoß mit schwarzen Reitern schwere Verluste erlitten habt!«

Themistokles antwortete nicht sofort. Er schien jedes Wort genau zu überlegen, ehe er es aussprach.

»Das stimmt, Harkvan. Doch wir sind nicht deswegen hier. Verzeiht meine Direktheit, aber uns bleibt nicht mehr viel Zeit. Vielleicht gar keine mehr. Ich kam, um Eure und die Hilfe Eures Volkes zu erbitten.«

Er machte eine abwartende Pause, doch Harkvan forderte ihn auf weiterzusprechen.

»Märchenmond droht große Gefahr«, fuhr Themistokles fort, »eine größere, als wir noch vor wenigen Tagen angenommen haben. Nur mit vereinten Kräften können wir ihr vielleicht begegnen.«

»Ihr sprecht von den schwarzen Reiterhorden?«

»Es handelt sich nicht um vereinzelte Horden, die da und dort das Land unsicher machen, Harkvan. Es ist etwas geschehen, womit niemand gerechnet hat. Das heißt - eigentlich sind zwei Dinge geschehen. Boraas hat mit seinem gesamten Heer das Gebirge überschritten; das ist die eine Sache. Der große Angriff wird bald erfolgen.«

»Wir wissen das«, mischte sich der weißhaarige Mann neben Harkvan ein. »Auch unser Volk hat das Schwert der schwarzen Reiter bereits zu spüren bekommen. Aber sei unbesorgt, Themistokles. Der Preis, den sie für ihren Überfall bezahlten, war hoch. Boraas wird es sich gut überlegen, noch einmal so etwas zu wagen. Das nächste Mal sind wir gewarnt.«

»Das mag sein. Aber das nächste Mal wird nicht eine Handvoll Reiter, sondern ein ganzes Heer angreifen. Es wird Krieg geben.«

»Ihr vergeßt, Herr von Gorywynn, daß Boraas wie kein zweiter weiß, wie stark Caivallon ist. Wir fürchten uns nicht, und mag er auch mit tausend Reitern angreifen...«

»Er wird nicht mit tausend Reitern angreifen«, fiel ihm Kim ins Wort. Er konnte sich einfach nicht länger zurückhalten, auch wenn es sicher eine ungeheure Frechheit war, den alten Mann zu unterbrechen. »Es werden nicht tausend Reiter kommen«, wiederholte er mit Nachdruck, »sondern zehntausend, vielleicht hunderttausend.«

Zwischen Harkvans Brauen erschien eine steile Falte. »Es wäre besser, wenn du schweigst, solange...«

»Aber ich weiß, wovon ich rede«, ereiferte sich Kim. Themistokles warf ihm einen warnenden Blick zu. Doch Kim sprach unbeirrt weiter. »Verzeiht meine Unverschämtheit, hohe Herren. Aber Ihr scheint keine Ahnung von der Größe der Gefahr zu haben. Ich war drüben, im Reich der Schatten, und ich habe mit Boraas das Gebirge überwunden. Caivallon mag mächtig sein, aber Boraas' Reiter werden es überrennen wie eine Flutwelle, die eine Insel überspült.«

Er hielt inne und wartete auf das Donnerwetter, das nun wahrscheinlich losbrechen würde. Aber zu seiner Verwunderung sagte niemand in der Runde etwas.

Themistokles legte Kim die Hand auf die Schulter. »Die Worte meines jungen Freundes sind leider nur zu wahr, Harkvan«, sagte er.

»Und was erwartet Ihr von uns?« fragte Harkvan nach kurzem Schweigen.

»Eure Hilfe«, wiederholte Themistokles kurz und bündig.

Harkvan schüttelte bedauernd den Kopf. »Ich will ehrlich zu Euch sein, Themistokles. Die Kunde von Eurem Kommen ist Euch vorausgeeilt. Ihr habt viele Länder und Städte bereist.«

»Ich bat um Hilfe«, nickte Themistokles.

»Ihr meint Krieger«, warf Priwinn ein.

Themistokles seufzte. »Die meine ich, Prinz. Wir allein sind schwach, aber ich habe Verbündete gefunden. Gemeinsam könnten wir stark sein. Ich setzte große Hoffnung auf Euch und Euer Volk. Jedermann weiß, wie stark die Steppenreiter sind...«

»Eure Rede«, unterbrach ihn Harkvan, »klingt seltsam, Themistokles, angesichts dessen, was Euer Begleiter berichtet hat. Wie können wir Euch Krieger geben, wenn wir selbst bedroht sind? Wie kann ich tausend meiner besten Reiter entbehren, wenn Boraas mit seinem so mächtigen Heer Caivallon angreifen wird? Ihr verlangt von mir, daß ich meine Männer mit Euch sende und Caivallon ungeschützt zurücklasse?« Er unterbrach sich mit einer beredten Geste. »Denkt an die Frauen und Kinder, Themistokles.«

»Eben an sie denke ich. Und ich weiß auch, daß Ihr nicht einen Mann entbehren könnt.«

»Ich verstehe Euch nicht...«

»Ihr müßt«, Themistokles sah Harkvan fest an, »Ihr müßt Caivallon verlassen.«

Wäre er aufgesprungen und hätte Harkvan ein Messer in die Brust gestoßen, der Schock hätte nicht größer sein können. Sekundenlang sagte keiner ein Wort. Dann stand Harkvan auf.

»Ihr verlangt von uns...«

»Daß ihr Caivallon verlaßt«, bestätigte Themistokles. »Ja. Ihr seid stark, Harkvan, aber gegen Boraas' Heer könnt selbst ihr euch nicht halten. Nehmt eure Frauen und Kinder und kommt mit mir. Gorywynn hat Platz für euch alle.«

»Du redest wirr, alter Mann«, fuhr Priwinn auf. Seine Augen flammten vor Zorn. »Seit ungezählten Generationen sichert Caivallon als Bollwerk im Osten das Reich nach Westen, und noch nie sind wir vor einem Gegner geflohen. Noch nie.«

»Es ist auch noch nie ein Gegner aufgetaucht, der so stark war wie Boraas.«

Priwinn winkte verächtlich ab. »Boraas ist nichts als ein alter, böser Zauberer«, sagte er. »Wir haben keine Angst vor ihm.«

»Auch nicht...« sagte Themistokles mit bewußtem Zögern, »vor dem Schwarzen Lord?«

Priwinn erstarrte. »Was... sagt Ihr da?«

»Ich sprach von zwei Dingen, die geschehen sind«, sagte Themistokles und betonte jedes Wort. »Dies ist das zweite: Boraas ist nicht allein gekommen. In seiner Begleitung befindet sich der Schwarze Lord. Ihr alle wißt, was sein Erscheinen bedeutet.«

»Ein Märchen«, sagte Priwinn unsicher. »Eine alte Sage, wie man sie kleinen Kindern erzählt...«

»Und doch ist sie wahr«, sagte Themistokles hart. »Ihr kennt diese Sage, und Ihr kennt auch die Prophezeiung, die sie beinhaltet.«

»Aberglaube. Niemand hat diesen Schwarzen Lord jemals gesehen.«

»Doch«, sagte Kim leise. »Ich.«

Priwinns Augen wurden rund vor Erstaunen. »Du hast ihn gesehen?«

Kim nickte. »Zweimal. Ich wußte damals noch nicht, wer er war, und ich kannte auch die Prophezeiung nicht, die sich um sein Erscheinen rankt. Aber ich habe ihn gesehen.«

»Du mußt dich getäuscht haben«, warf Harkvan ein. »Vielleicht hast du einen anderen Krieger gesehen. Baron Kart...«

»Ich kenne Baron Kart. Der, den ich gesehen habe, war der Schwarze Lord und kein anderer. Es mag mir nicht zustehen, zu sagen, was Ihr zu tun habt, aber Ihr solltet Themistokles' Rat befolgen und uns nach Gorywynn begleiten.«