Выбрать главу

Seine Knie zitterten noch immer, als er sich aufrichtete und zu Peer und den anderen hinabblickte.

Die Gruppe hatte sich im Halbkreis unter dem Höhlenausgang aufgestellt und blickte zu ihm herauf. Kim hörte, wie Peer etwas rief, konnte aber die Worte nicht verstehen. Schaudernd ließ er den Blick über den See gleiten. Er hatte furchtbare Angst.

Und doch blieb ihm keine Wahl, wollte er nicht zurück in die Höhlen der Zwerge, um dort für ewig Schwerarbeit zu verrichten. Falls ihn nicht schon vorher das schleimige Ungeheuer niederwälzte. Mit einem letzten, entschlossenen Seufzer trat er zurück, rannte los und stieß sich mit aller Kraft ab. Für endlose Schrecksekunden fürchtete er, wie ein Stein in die Tiefe zu stürzen und auf dem Strand zerschellen zu müssen. Da hörte er einen vielstimmigen Aufschrei unter sich und öffnete die Augen. Sein Sprung hatte ihn in einem perfekten Bogen weit über den felsigen Strand hinausgetragen und unter Kim lag nichts als das dunkelblaue Wasser des Sees, auf den er zuflog.

Es dauerte vielleicht eine Sekunde, allerhöchstens zwei, aber Kim starb in dieser Zeit tausend Tode. Einen halben Herzschlag bevor er auf der Wasseroberfläche aufprallte, begann er vor Angst zu schreien, dann klatschte er ins Wasser und hatte das Gefühl, von der Faust eines unsichtbaren Riesen durch eine dicke Glasscheibe geprügelt zu werden. Wie ein Stein wurde er unter Wasser gezogen, riß instinktiv den Mund auf, um zu schreien und sah, wie seine kostbare Atemluft in silbernen Blasen an seinem Gesicht vorbei in die Höhe stieg.

Er paddelte nach Leibeskräften, während er immer noch tiefer sank. Die Oberfläche des Sees war bereits unendlich weit über ihm wie ein silbern spiegelnder Himmel, aber die Wucht des Sturzes war immer noch nicht aufgezehrt. Meterweit wurde er hinabgesogen, bis der Druck auf seine Brust und seine Ohren unerträglich wurde, als es ihm endlich gelang, mit verzweifelten Ruder- und Schwimmbewegungen dem Sturz unter Wasser ein Ende zu bereiten und wieder nach oben zu steigen.

Die Atemnot wurde unerträglich. Es schien, als zerquetschte ihn ein Ring aus Eisen, der sich um seine Brust zusammenzog. Zwar schoß jetzt die Wasseroberfläche auf Kim zu, aber schon versiegten seine Kräfte. Noch eine Sekunde, und er würde den Mund öffnen und zu atmen versuchen, auch wenn das seinen sicheren Tod bedeutete. Dann sah er den Schatten.

Es war nur ein Schemen, ein Gleiten und Wogen im dunklen Blau des Wassers, ein großes Etwas, das eine Woge vor sich herschob, die ihn hilflos wie einen Kreisel herumwirbeln ließ. Es war diese Druckwelle, die ihn plötzlich wie rasend nach oben schleuderte, und ihm damit das Leben rettete. Keuchend durchbrach Kim die Wasseroberfläche, sog die Lungen voller Luft und hustete qualvoll, als er zurückklatschte und Wasser schluckte. Hastig arbeitete er sich wieder an die Oberfläche, rang prustend nach Atem und versuchte gleichzeitig, seiner Panik Herr zu werden und seine wild hin- und herschlagenden Gliedmaßen unter Kontrolle zu bekommen. Dann schwamm er zum Ufer. Der Schatten! Er wußte, daß er dagewesen war. Ungeheuer massig!

»Achtung!« rief er mit letzter Kraft, während er mit verzweifelten Schwimmbewegungen dem Ufer zustrebte. »Rettet euch! Im Wasser ... ist etwas!«

Er wußte nicht einmal, ob Peer und die anderen seine Worte überhaupt verstanden. Und selbst wenn sie ihn verstanden - wohin hätten sie laufen sollen. Es gab nur diesen See und den fünf Meter breiten, kreisrunden Streifen aus Geröll, der ihn umgab.

Da kräuselte sich plötzlich die Wasseroberfläche. Kim spürte sich angehoben und wieder zurückgeworfen, geriet abermals unter Wasser und kam hustend wieder hoch. Und mit einemmal begannen Peer und die anderen am Ufer entsetzt zu schreien und durcheinanderzulaufen. Für den Bruchteil einer Sekunde hatte Kim das Gefühl, einen gewaltigen Schatten unter sich aus der Tiefe des Sees emporsteigen zu sehen - und dann schien der ganze See in einer ungeheuren Woge aus Gischt zu explodieren!

Kim wurde wie ein welkes Blatt in die Höhe geschleudert und wieder aufs Wasser zurückgeworfen. Kochender Schaum schlug über ihm zusammen, und ein ungeheures Brüllen marterte seine Ohren und ließ den steinernen Kessel erbeben. Keuchend und spuckend kam er wieder an die Oberfläche, versuchte, eine Schwimmbewegung zu machen, und wurde gleich wieder unter Wasser gedrückt, als eine zweite, nicht minder große Woge über ihm zusammenschlug. Ein riesiges, schwarzglänzendes Ungeheuer tobte hinter ihm im Wasser, und wie gestern im Tunnel glaubte er, für den Bruchteil einer Sekunde den Blick zweier stechender rotglühender Augen auf sich zu fühlen.

Mit dem letzten bißchen Kraft, das Kim noch blieb, arbeitete er sich wieder hoch und schwamm auf das Ufer zu. Die Woge hatte sich am Fuße der Felswand gebrochen und alle von den Füßen gerissen. Die, welche sich bereits wieder erhoben hatten, standen wie gelähmt da und starrten auf einen Punkt irgendwo hinter Kim auf dem See.

Er drehte sich nicht um. Seine Kräfte waren endgültig erschöpft. Es waren nur noch ein paar Schwimmzüge bis zum Ufer, aber es war gar nicht sicher, ob er sie schaffen würde. Kim ahnte, was hinter ihm war. Er war ein Narr gewesen, dachte er bitter. Wieso hatte er angenommen, daß sich das Unwesen nur im Inneren des Berges aufhielt? Die zahllosen Löcher in der Felswand hätten ihm eigentlich das Gegenteil sagen müssen. Dort drinnen im Berg hatten sie sich wenigstens noch vor ihm verstecken können. Aber hier draußen gab es nichts mehr, das sie schützte. Erschöpft erreichte er das Ufer, kroch auf Händen und Knien ein Stück den steinigen Strand hinauf und drehte sich um.

Sein Herz schien zu stocken, als er sah, was aus dem See aufgetaucht war, riesig und schwarz und glänzend wie nasses Leder. Eine Bestie von unvorstellbarer Kraft und Bosheit. Das war nicht jene Lawine, die sich durch das Labyrinth gewälzt hatte.

Es war der Tatzelwurm!

Kim starrte wie gelähmt auf den droschkengroßen Schädel, der hoch wie eine Kirchturmspitze über ihm emporragte. Der Tatzelwurm! Die größte und gefährlichste Bestie Märchenmonds. Ihre rotglühenden Augen starrten Kim voller unbezähmbaren Haß an, und von ihren mannslangen Zähnen tropfte Geifer und schäumendes Wasser. Und plötzlich begriff Kim, warum das Ungeheuer nicht mehr an seinem angestammten Platz gewesen war. Die Zwerge hatten es hierher gebracht, an diesen unheimlichen Ort im Herzen ihres Reiches. Und nicht nur das. Um den schwarzglänzenden Riesenhals der Kreatur schmiegte sich ein gut meterbreiter Ring aus schwarzem Eisen, an dem eine armdicke Kette aus Zwergenstahl befestigt war. Der Tatzelwurm war ein Gefangener wie sie.

Noch immer auf dem Rücken liegend, kroch Kim weiter den Strand hinauf, ohne den Blick von den glühenden Augen des Ungeheuers zu nehmen. Die Bestie fixierte ihn, und es war, als würden ihre Blicke irgend etwas in Kims Seele berühren und auf der Stelle verbrennen.

Es war nicht das erste Mal, daß Kim diesem Ungeheuer gegenüberstand. Und er hatte den Gedanken kaum gedacht, da blitzte in den riesigen Augen des Tatzelwurms ebenfalls Erkennen auf, gefolgt von einer Woge lodernden, unstillbaren Hasses. Mit einem ungeheuren Brüllen richtete sich der Tatzelwurm auf, entfaltete ein Paar gigantischer, ledriger Fledermausschwingen und stieß sich auf der Wasseroberfläche ab. Sein weit aufgerissenes Maul fuhr in Kims Richtung.